„Exerzitien“ im Motorradsattel
Jeden Morgen legen die Teilnehmer aus ihren Helmen ein Kreuz und stellen sich so unter den Segen Gottes.
Paderborn (pdp). Am Anfang stand eine Idee: Pilgern in der Gruppe – auf dem Motorrad und mit spirituellen Erfahrungen im Gepäck. Das Kooperationsprojekt „Pilgern mit PS“ macht es seit 2010 möglich. Das Interesse an dem Angebot ist mittlerweile so groß, dass die Touren in kurzer Zeit ausgebucht sind. Innerhalb weniger Jahre entwickelte sich die Initiative mit großer Eigendynamik zur Erfolgsgeschichte. Dies wird auch darin deutlich, dass immer mehr Ehrenamtliche sich zu Tourbegleitern ausbilden lassen und die Verantwortlichen unterstützen.
Die drei Dekanatsreferenten Peter Pütz (Dekanat Bielefeld-Lippe), Wolfgang Koch (Dekanat Hellweg) und Thomas Mehr (Dekanat Lippstadt-Rüthen) hatten die Idee zu dem Projekt, das seit 2010 beständig gewachsen ist. Für 2016 stehen vier Touren auf dem Programm: Eine führt vom 22. bis 29. Mai zum Katholikentag nach Leipzig, vom 18. bis 26. Juni geht es ins Riesengebirge, vom 6. bis 14. August durch die Julischen Alpen und vom 3. bis 11. September in die Westlichen Alpen.
Die Fahrten für 2016 sind seit Ende 2015 auf der Homepage www.pilgern-mit-ps.de angekündigt. Innerhalb einer Woche war die Fahrt ins Riesengebirge ausgebucht, die zweite mehr als zur Hälfte belegt und auch für die dritte und vierte kommen täglich neue Anmeldungen. Dabei sind unter den Interessenten längst nicht nur „Wiederholungstäter“, die die Touren von „Pilgern mit PS“ bereits kennen und schätzen gelernt haben. Viele der Teilnehmer melden sich auch zum ersten Mal an. „Wir liefern ein Konzept, in das sich die Teilnehmer einklinken können. Bei uns kommen sie in eine Gruppe, in der die Rahmenbedingungen organisiert sind und in der sie sich auf das Wesentliche konzentrieren können“, erklärt Thomas Mehr.
Worin liegt das Wesentliche von „Pilgern mit PS“? Im Grunde geht es um ein „Er-fahren“ im doppelten Sinn – äußerlich um das Fahren durch reizvolle Landschaften und innerlich um die Erfahrung, dabei auf diesem Weg auch Gott und sich selbst ein Stück näher zu kommen. Jeder ist willkommen – unabhängig von Glaube oder Konfession. „Pilgern mit PS – Neue Erfahrungen für Gashand, Geist und Seele“ bringt diesen Anspruch als Leitwort auf den Punkt. „Motorradfahren birgt außerdem letztlich immer ein Risiko und wird damit zur existenziellen Erfahrung. Daraus erwächst bei einer Motorradwallfahrt ganz besonders die Bitte um Schutz und die Hoffnung, dass Gott, vielleicht in Form eines Schutzengels, auf dem Beifahrersitz immer mitfährt“, so Wolfgang Koch.
200 bis 350 Kilometer legen die Motorrad-Pilger im Schnitt täglich zurück. Dabei werden Autobahnstücke weitgehend gemieden, viele Kurven auf kleinen Landstraßen prägen stattdessen das Fahrerlebnis – die Voraussetzung für „Exerzitien“ auf dem Motorradsattel. Peter Pütz: „Unsere Teilnehmer erleben, was es heißt, miteinander unterwegs zu sein und aufeinander Acht zu geben, für den anderen Verantwortung zu übernehmen und sich so als Weggemeinschaft zu erfahren, die für eine Zeit lang ihr Leben miteinander teilt.“
Der Alltag dieser „Weggemeinschaft auf Zeit“ ist klar definiert: Die Fahrer starten jeden Tag in drei Fahrgruppen. Das Etappenziel ist jeweils festgelegt. Ein spiritueller Impuls, der „Zündfunke“, liefert vor Fahrtantritt in der Gesamtgruppe die Fragestellung für den Tag, der jeden Fahrer während der Tages-Tour gedanklich leitet – unter den Eindrücken der durchfahrenen Landschaft und Erlebnisse. Während der Pausen kommen die Kleingruppen im besten Sinne des Wortes über Gott und die Welt ins Gespräch. Am jeweiligen Etappenziel angekommen, werden die Eindrücke des Tages in der „Nachtickerrunde“ in der Großgruppe gemeinsam reflektiert. Ein ganz persönlicher Begleiter während der Tour ist das von den Veranstaltern zusammengestellte „Roadbook der Seele“: Es vereint Gebete, Texte und Lieder – gleichsam der Pilger-Leitfaden, der sich durch die Touren zieht. Die Motorrad-Pilger haben für ihr Projekt ein aussagekräftiges Symbol ausgesucht: ein aus Motorradhelmen gebildetes Kreuz. Jeden Morgen wird es beim „Zündfunken“ aus allen Helmen zusammengelegt. Als stilisiertes Symbol und Logo ziert es auch die „Dienstkleidung“ der drei Projektverantwortlichen.
Da das Interesse an ihrem Angebot in kürzester Zeit so gestiegen ist, freuen sich Wolfgang Koch, Peter Pütz und Thomas Mehr, dass sie inzwischen immer mehr Mitstreiter bekommen, die sich zum ehrenamtlichen Tour-Guide ausbilden lassen. „Dadurch können wir unser Fahrtenangebot ausweiten. Und das Engagement der Ehrenamtlichen versteht sich nicht von selbst: Sie investieren nicht nur selber Geld in diese Ausbildung, sondern auch freie Wochenenden, um zu lernen, wie man bei einer spirituell motivierten Motorradreise eine Gruppe leitet“, erläutert Peter Pütz.
In der ersten Ausbildungsrunde waren zehn Ehrenamtliche dabei. Weitere neun befinden sich gerade in der Ausbildung, die von den drei Projektverantwortlichen vorgenommen wird. Die Ausbildung umfasst die drei Säulen „Organisation“, „Gruppenpädagogik“ und „Spiritualität“. „Gerade der letzte Punkt ist für unser Konzept wichtig, weil eine Verbindung zwischen dem Evangelium und der Lebenswirklichkeit der Teilnehmer geschaffen werden soll“, so Peter Pütz.
So ist es bei jeder Tour die größte Herausforderung, einen roten Faden für die geistliche Gestaltung zu schaffen. „Es geht darum, sprachfähig im eigenen Glauben zu werden. Dazu gehören in der Ausbildung auch Grundlagen zu den Fragen ‚Wie führe ich Gespräche?‘, ‘Wie bringe ich Leute ins Gespräch miteinander‘?“, erklärt Thomas Mehr. Die Ausbildung wird an zwei Wochenenden theoretisch durchgeführt. Der „Praxistest“ erfolgt dann in der Teilnahme als Co-Leiter an einer Tour. Im Anschluss gibt es ein Zertifikat. „Die Fahrt zum Katholikentag wird erstmals alleine unter ehrenamtlicher Leitung stehen“, unterstreicht Wolfgang Koch nicht ohne Stolz, dass das Projekt „Pilgern mit PS“ ans „Laufen gekommen“ ist, auch ohne dass die Projektverantwortlichen bei jeder Tour dabei sind. Thomas Mehr: „Anfangs war für uns gar nicht absehbar, was aus diesem Projekt werden würde. Wir haben einfach angefangen, aber damals nicht im Traum daran gedacht, was daraus werden kann.“
Das Sich-Aufeinander-Einlassen ist der Kern des Projekts. Wolfgang Koch, Peter Pütz und Thomas Mehr machen dies an einem Beispiel deutlich: „Teilweise kommen wir auf unseren Touren durch Orte, beispielsweise in Ostdeutschland, die einzelne Mitfahrer aus ihrer eigenen Biografie kennen. Da heißt es dann schnell: ‚Diesen Berg dort würde ich euch gerne einmal zeigen‘. Und die Gruppe lässt sich darauf ein und sieht so Orte, die wir sonst nie besucht hätten. So entstehen wertvolle Momente, die kein Tourenplan vorhersagen kann. So etwas lässt sich nicht planen oder machen, das sind auch für uns Geschenke“, sind sich die drei Projektverantwortlichen einig.