Fasten ohne Gott
Forscher beobachten, dass religiöse und säkulare Praktiken immer mehr Ähnlichkeiten aufweisen und sich mitunter überlappen: „In beiden Fällen geht es um den temporären Verzicht“, sagt Heiser. „Die Grenzen verschwimmen zunehmend.“ (Foto: KNA)
Wer fastet, dem geht es heute meist darum, sich besser zu fühlen. Mit der christlichen Bußzeit hat das wenig zu tun. Dennoch gibt es Ähnlichkeiten. Warum auch glaubensferne Menschen vor Ostern bewusst verzichten.
Bonn/Hagen (KNA). Fasten liegt im Trend. Laut einer Umfrage der DAK von 2020 haben mehr als 60 Prozent aller Befragten schon einmal oder häufiger auf bestimmte Genussmittel verzichtet, Tendenz steigend. Das umfasst nicht nur Nahrungsmittel: Eine Erhebung aus dem Jahr 2023 ergab, dass die meisten Befragten auf Alkohol und Süßigkeiten verzichten würden (jeweils 73 Prozent). Auch Fleisch (55 Prozent), Rauchen (43 Prozent) und Fernsehen (39 Prozent) stehen ganz oben auf der Liste. Eine veränderte Freizeitgestaltung scheint also für viele Menschen in Betracht zu kommen.
Ursprünglich hatte die Fastenpraxis in erster Linie eine religiöse Bedeutung. Im christlichen Glauben dient die Fastenzeit der Vorbereitung auf den Tod und die Auferstehung Christi. Die „christliche Bußzeit“ dauert 40 Tage lang, von Aschermittwoch bis Ostern. Sie hat auch symbolischen Charakter: Jesus fastete 40 Tage in der Wüste, Moses verbrachte 40 Tage bei Gott auf dem Berg Sinai, 40 Tage dauerte die Sintflut. Auch in anderen Weltreligionen spielt Fasten eine zentrale Rolle.
Die konkreten Einschränkungen der Fasten- und Abstinenztage waren noch in der katholischen Fastenordnung aus dem Jahr 1930 streng festgelegt: An Fasttagen war nur einmal pro Tag eine volle Mahlzeit erlaubt. An Abstinenztagen waren Fleischprodukte verboten. Mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965) aber wurden die Regeln gelockert und neue Akzente gesetzt. In der heutigen Fastenordnung heißt es: „Konsequenterweise bilden Gebet, Fasten und Verzicht sowie Freigebigkeit (Spenden) und Fürsorge (Nächstenliebe) drei ineinander verschränkte Elemente dieser Einstimmung.“
Heute fasten viele Menschen auch ohne religiöse Motive.
Heute fasten viele Menschen auch ohne religiöse Motive. „Wie bei manch anderen religiösen Praktiken wie etwa Weihnachten hat sich der religiöse Kontext vom Fasten für viele gelöst“, sagt Patrick Heiser, Religionssoziologe an der Fernuniversität Hagen. „Heute fasten Menschen meistens, um sich körperlich und seelisch besser zu fühlen.“ Die Fastenzeit biete für viele Menschen eine Chance zur Selbstreflexion und Achtsamkeit. „Durch Fasten gewinnen sie eine Distanz zum Alltag“, sagt Heiser. „Für viele Menschen scheint das eine spirituelle Wirkung zu haben.“
Für nicht-religiöses Fasten kann es unterschiedliche Beweggründe geben: Beim Intervallfasten ist Essen nur in bestimmten Zeitfenstern erlaubt. Hier spielen vor allem gesundheitliche Faktoren eine Rolle. Wissenschaftler des Helmholtz-Instituts etwa stellten fest, dass die Methode dabei helfe, den Insulinspiegel zu senken und Diabetes Typ 2 vorzubeugen. Fettpölsterchen werden leichter abgebaut; viele nutzen die Diät während der Fastenzeit deshalb zum Abnehmen.
Ähnliche Motive finden sich beim Verzicht auf Süßigkeiten: Er soll dabei helfen, den Körper zu entlasten und den Stoffwechsel zu regulieren. Die Senkung des Blutzuckerspiegels kann auch zu einem verbesserten Hautbild und Darmflora führen.
Medien und Smartphones sind aus dem Alltag kaum noch wegzudenken. Einige Menschen versuchen in der Fastenzeit deshalb, zumindest 40 Tage auf Social Media oder Fernsehen zu verzichten. Für andere Aktivitäten bleibt plötzlich mehr Zeit.
Verzicht auf Fleisch hat oft ethische Beweggründe
Der Verzicht auf Fleisch hat indes oft ethische Beweggründe: Tier- und Umweltschutz motivieren zumindest zeitweise, die Ernährung umzustellen und bewusster zu essen. Verbände wie WWF und BUND empfehlen 40 Tage Fleisch-Fasten. Auch plastik- und müllfreier Konsum soll zum Umweltschutz beitragen: Einkäufe in der Stofftasche transportieren, scheinbare Küchenabfälle weiterverarbeiten, den Einkauf im Unverpackt-Laden erledigen.
Einige kirchliche Fastenaktionen arbeiten mit einer gelockerten Auffassung von Fasten: Eine kirchliche Initiative von 24 evangelischen und katholischen Partnern etwa regt unter dem Motto „So viel du brauchst“ zum Klimafasten an. Es geht nicht nur um eine umweltbewusste Ernährung, sondern auch um Themen wie Mobilität und Energieverbrauch. Die Fastenaktion des katholischen Hilfswerks Misereor soll Menschen motivieren, sich mit sozial-ökologischen Themen auseinanderzusetzen und sie weiterzuverbreiten. Sie kämpft gegen Hunger und setzt sich für eine gerechtere Verteilung und die Rechte von Kleinbauern ein.
Forscher beobachten, dass religiöse und säkulare Praktiken immer mehr Ähnlichkeiten aufweisen und sich mitunter überlappen: „In beiden Fällen geht es um den temporären Verzicht“, sagt Heiser. „Die Grenzen verschwimmen zunehmend.“
Allerdings folgt daraus für den Religionssoziologen keine Annäherung religionsferner Menschen an die Kirchen. „Für sie wird das Fasten im Alltag kaum Veränderungen bringen“, sagt er. „Wer zuvor schon eine große Distanz zur Kirche hatte, wird auch jetzt nicht in die Kirche gehen.“ Für kirchennahe Menschen könnten Rituale wie gemeinsame Gottesdienste dagegen Halt geben, auch in der Fastenzeit. „Die meisten fasten alleine und haben Schwierigkeiten durchzuhalten“, sagt Heiser. „Ich sehe hier deshalb eine Chance für die Kirche, dem Einzelnen eine Gemeinschaft zu geben und zu zeigen: Du bist nicht alleine.“
Schauen Sie doch mal in die aktuelle DOM-Ausgabe rein. Dort finden Sie eine Vielzahl an Berichten zur katholischen Kirche im Erzbistum Paderborn, deutschlandweit und auch weltweit. Es lohnt sich bestimmt.