20.12.2017

Faszinierende Vielfalt

Diese Krippe von Gustav Hagelstange entstand nach dem Krieg für den Paderborner Dom. Ausgezehrte Menschen und ein Jesuskind, das den Besuchern freudig die Arme entgegenstreckt. Foto: Heine-Hippler

Erzbistum. Dr. Bettina Heine-Hippler (kleines Bild, Seite 11) ist beim Landschaftsverband Westfalen-Lippe im Denkmalschutz tätig. Sie beschäftigt sich wissenschaftlich mit dem Thema Krippen. Der DOM sprach mit ihr über Krippen im Erzbistum Paderborn.

von Andreas Wiedenhaus

Frau Dr. Heine-Hippler, wie haben Sie das Thema für sich entdeckt? Aus rein beruflicher Sicht oder gibt es auch privates Interesse?

Beides kommt zusammen! Privat gibt es eine sehr frühe Dis­poniertheit, weil sich mein Vater auch sehr für Krippen interessiert hat. Am Wohnort meiner Großmutter in Siedlinghausen im Sauerland gab es ebenfalls eine sehr schöne Krippe, die wir uns als Kinder oft angeschaut haben und zu Hause hatten wir auch immer eine Krippe. Als dann vor 14 Jahren unsere Kirchenkrippe restauriert werden musste, war dies für mich der Anlass, mich näher mit dem Thema ausei­nanderzusetzen. Daraus hat sich ein persönlicher Forschungsschwerpunkt ergeben, den ich hier und da auch beruflich nutzen kann.

Gibt es Aspekte, die für Sie besonders interessant sind?

Krippen sind Teil des Brauchtums. Neben den sachlichen Kriterien, wie dem Alter oder der Herkunft der Krippe, sind es vor allem Fragen des Brauchtums, die mich interessieren. Beispielsweise Fragen, wie die Krippen aufgebaut werden. Die Zeitdauer des Aufbaus, der Umgang mit den Krippen. Besonders interessant sind auf jeden Fall immer die Gespräche mit Gemeindemitgliedern. Dabei stößt man auf unzählige Geschichten, die das Thema neben den künstlerischen Aspekten zu einer wahren Fundgrube machen.

Die Überlieferung der Krippen ist also besonders spannend?

Auf jeden Fall, damit befasse ich mich immer sehr intensiv. Aus Gesprächen mit den Gemeindemitgliedern ergeben sich häufig interessante Erkenntnisse und Informationen, die sich allein durch einen Besuch der Krippen nicht erschließen.

Sie haben ja bereits eine große Zahl von Krippen im Erzbistum inventarisiert. Gab es besondere Entdeckungen?

Es gibt unzählige spezielle Geschichten, die sich gerade mit Krippen verbinden. Aktuell befasse ich mich mit den Krippen im Kreis Paderborn, deren Inventarisierung ich abschließen möchte. In Lichtenau zum Beispiel gibt es in der Kirche St. Kilian eine Krippe von Franz-Josef Picker, die er in den Fünfzigerjahren geschnitzt hat. Er selbst ist 1984 verstorben, aber ich habe seine Familie besucht. Dabei ist mir eine Figur aufgefallen, die perfekt in die Lichtenauer Krippe gepasst hätte – eine Hirtin. Wie mir seine Nichte bestätigte, gehörte diese Figur auch eigentlich dazu, doch Picker musste sie wieder mitnehmen, weil der Pfarrer damals keine Hirtin an der Krippe wollte. Gerade im Kreis Paderborn finden sich sehr viele spezielle Krippen. Neben den traditionellen Formen gibt es im Erzbistum zahlreiche Beispiele dafür, aktuelle Themen in den Krippen aufzunehmen, etwa in Unna oder in Hamm in der St.-Agnes-Kirche.

Was fasziniert Ihrer Einschätzung nach Menschen so an diesen Darstellungen?

Auf den ersten Blick scheint es eine einfache Art zu sein, sich dem Thema der Menschwerdung zu nähern und einen Zugang zu finden. Aber die Bandbreite der Darstellungen ist groß und die Symbolik und Aussage der einzelnen Krippen höchst unterschiedlich. Bei uns im Pastoralverbund haben wir für uns vor Jahren einen alten Brauch wiederentdeckt – das „Krippkes kieken“. Über die Jahre haben wir die unterschiedlichsten Krippen angeschaut – von ganz abstrakten bis hin zu traditionellen und historischen Krippen. Diese Vielfalt der Darstellungen macht den großen Teil des Reizes aus und es ist längst nicht nur eine Frage der Größe oder der Ausstattung der Krippe. In unseren Kirchen gab es früher viel mehr von diesen figürlichen Darstellungen, etwa Figurien zu den Marienfesten oder Ostergräber. Übrig geblieben von diesen szenischen Darstellungen sind eigentlich nur die Krippen. Umso mehr schätzen viele Menschen sie und lassen sich von ihnen anrühren.Gibt es bei Krippen einen „Zeitgeist“?

Wenn man sich Krippen-­Darstellungen in einer Kirche über einen längeren Zeitraum ansieht, kann man einen solchen Wandel durchaus feststellen. Bei den Krippen im Paderborner Dom lassen sich solche Einflüsse beispielhaft aufzeigen: Die erste Krippe im Dom, von der wir genau wissen, welchen Umfang sie hatte und wie sie ausgesehen hat, war eine Krippe von Sebastian Osterrieder, einem Meister der orientalischen Krippe. Er gilt als derjenige, der die Weihnachtskrippe neu entdeckte. Die Neuerung, die sich mit ihm und seinem Schüler Ze­hentbauer verbindet, ist die Art der Darstellungen, die auf Reisen durch den Orient entstanden. Wie andere unternahm auch er Reisen in den Orient, um Land und Leute und die Tiere zu studieren. Das führte zu einer völlig neuen Gestaltung. Leider ist die Osterrieder-Krippe im Zweiten Weltkrieg verbrannt. Nach einer improvisierten Darstellung am ersten Weihnachtsfest nach dem Krieg gab es von Mitte der 1950er-Jahre bis Ende der 1970er-Jahre eine Krippe von Gustav Hagelstange. Vor dem Hintergrund des Erlebten stehen Josef und Maria mit ihrem Kind vor den Ruinen des ausgebrannten Domes. Ausgezehrte Menschen spiegeln die Leiden des Krieges wider, während das Kind voller Freude die Arme den Besuchern entgegenstreckt. Die Krippe ist ein Unikat. Ich habe bisher keine vergleichbare Krippe gefunden.

Ende der Siebzigerjahre empfand man die Darstellung als nicht mehr zeitgemäß. Das Ende der ‚mageren Jahre‘ fand seinen ‚Ausdruck‘ in einer historistischen Krippe. Mitte der 1990er-Jahre entstand die heutige Krippe nach Entwürfen von Hubert Hartmann, die für ihre Zeit wieder ein ganz anderes Bildprogramm enthält, in das die Lebensgeschichten von verschiedenen Paderborner Persönlichkeiten eingearbeitet sind. Wenn man nur diesen kleinen Ausschnitt betrachtet, kann man sehen, dass sich Krippen verändern und weiterentwickeln.

Blicken wir jetzt einmal auf den privaten Bereich: Gab es Zeiten, in denen Hauskrippen besonders aktuell waren?

Eine Zeit, in der Menschen verstärkt selbst anfingen, Krippen zu bauen, waren die 1920er-Jahre. Ausschlaggebend für die Impulse Mitte der Zwanzigerjahre ist die Landesgemeinschaft der Krippenfreunde in Rheinland und Westfalen, die sehr viele Ausstellungen organisierte und über lokale Ortsgruppen Vorträge und Krippenbaukurse anbot. Zahlreiche private Krippenfreunde wurden da­raufhin aktiv. Auch viele Kirchengemeinden kauften aus diesen Ausstellungen Figuren oder beauftragten anschließend Künstler mit dem Bau einer Kirchenkrippe. Das lässt sich für ganz viele Orte in Westfalen/Lippe nachweisen.

Wie sieht Ihre Krippe zu Hause aus?

Bis vor zwei Jahren hatten wir eine große OstheimerKrippe, die ich jedes Jahr mit den Kindern aufgebaut habe. Seit dem Tod meiner Eltern vor zwei Jahren stelle ich nun ihre alte Krippe auf: bekleidete Krippenfiguren der Firma Lang aus Oberammergau, die mein Vater 1960 für das erste gemeinsame Weihnachtsfest mit meiner Mutter gekauft hat. Den Stall hat mein Vater am Morgen des 24. Dezembers selbst gebaut und sich dabei sein neues Hemd zerrissen, als er den Strauch gefällt hat, aus dem die Stützen sind. Und obwohl der Stall eigentlich für die Figurengröße etwas zu klein ist, werde ich ihn so erhalten und die Geschichte natürlich an meine Kinder weitergeben.

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