Franz Stock – Hoffnungsträger in hasserfüllter Zeit
Primizfeier von Franz Stock in Neheim, Ostermontag 1932.
Der 24. Februar ist das Datum des russischen Überfalls auf die Ukraine vor einem Jahr. Am gleichen Tag vor 75 Jahren starb Franz Stock. Er wurde als deutscher Priester in Frankreich während des Zweiten Weltkrieges zu einem Symbol der Völkerverständigung und ist es bis heute.
Neheim/Paris. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier würdigte Stock am Libori-Fest 2022 mit den Worten: „Wo vieles zerstört wird und alles in Trümmern liegt, wo vieles nicht mehr selbstverständlich ist, da sind es Einzelne, die das gute Werk wieder aufnehmen und weiterführen und eine bessere Zukunft für viele, für uns alle eröffnen.“
Wer war dieser Einzelne? Was war zerstört und lag in Trümmern? Was war das gute Werk? Dieser Einzelne, der in den Jahren von 1941 bis 1944 im besetzten Paris über 2.000 Menschen im Gefängnis auf ihre Hinrichtung vorbereitet und dann auf ihrem letzten Weg begleitet hatte, starb am 24. Februar 1948 im Krankenhaus Cochin (Paris) allein, ohne das Sakrament der Krankensalbung. Die Krankenhausverwaltung hatte ihn wie einen anonymen Gefangenen behandelt und ihn nackt im Leichenschauhaus abgelegt. Später nannte man ihn den Bruder aller Menschen, den „Erzengel in der Hölle“, einen Brückenbauer zwischen den Menschen, sein Name stehe für ein Programm.
Verständigung über Grenzen hinweg
Franz Stock wurde am 21. September 1904 als ältestes von acht Kindern in Neheim (heute ein Ortsteil von Arnsberg) geboren. Er wuchs in einem von starker katholischer Tradition und Offenheit geprägtem Elternhaus auf. Den Wunsch, Priester zu werden, äußerte er mit zwölf Jahren. Auf dem 1961 nach ihm benannten damaligen Realgymnasium war er ein durchschnittlicher Schüler.
Er wuchs auf in einer Zeit, die durch Spannungen unter den Völkern und dem daraus resultierenden Krieg und besonders den Folgen des Friedensvertrages von Versailles 1919 bestimmt war. Für Franz Stock bedeutete dies Einsatz für Verständigung und Frieden, besonders durch Kontakte zu französischen Jugendlichen. Dazu gehört auch sein dreisemestriges Studium am Institut Catholique in Paris.
„Seelsorger in der Hölle“
Die dort entstandenen Kontakte führten auch dazu, dass Franz Stock kurz nach seiner Priesterweihe (12. März 1932) 1934 zum Seelsorger der deutschen St.-Bonifatius-Gemeinde in Paris ernannt wurde. Er war der Initiator eines lebendigen Gemeindelebens und, seinem Wesen nach ein Mittler, er wusste den Franzosen Deutschland und umgekehrt den Deutschen Frankreich aufzuschließen. Nach der Besetzung Frankreichs wurde er erneut am 13. August 1940 zum Seelsorger der Deutschen in Paris ernannt.
Für ihn begann ein völlig neuer Lebensabschnitt, in dem er auf der Grundlage seines Glaubens Kräfte entwickeln musste und entwickelte, die ihm später die Bezeichnung als „Seelsorger in der Hölle“ zukommen ließen. In zunehmendem Maße wurden Menschen jeden Alters, Menschen, die gegen die Nazi-Herrschaft demonstrierten, Widerstandskämpfer, Geiseln, oft unschuldige Menschen, inhaftiert und verurteilt. Auf seine Bitte hin bekam Franz Stock die Erlaubnis, sie zu besuchen und ihnen Beistand zu geben. So begann er Anfang 1941 seine Tätigkeit in den Pariser Gefängnissen Fresnes, La Santé und Cherch-Midi.
„Seminar hinter Stacheldraht“
Ergreifend sind die Zeugnisse seines Tuns, wenn er auf den Anruf mit dem Codewort „Sportfest“ aufbrach, um die zum Tode Verurteilten auf ihrem letzten Weg zu begleiten. Dort, wie auch schon bei dem Beistand im Gefängnis, machte Franz Stock keinen Unterschied zwischen den einzelnen unterschiedlichen konfessionellen oder politischen Einstellungen. Jedem bot er seinen Beistand an.
Seit dem Mittag des 25. August 1944 wehte wieder die Trikolore in Paris. Stock blieb in Paris, um im Lazarett La Pitiè neben 200 Franzosen und Engländern auch etwa 600 deutsche Soldaten zu pflegen. Nach kurzer Gefangenschaft in Cherbourg wurde Stock mit der Leitung eines Seminars betreut, in dem deutschsprachige Seminaristen zusammengeführt wurden, um ihre Ausbildung weiterzuführen. Der Mitinitiator dieses „Seminars hinter Stacheldraht“, der damalige Nuntius in Frankreich und spätere Papst Johannes XXIII., würdigte dieses mehrmals. „Das Seminar von Chartres gereicht sowohl Frankreich wie Deutschland zum Ruhme. Es ist sehr wohl geeignet, zum Zeichen der Verständigung und Versöhnung zu werden.“
Nach der Auflösung des Lagers kehrte Franz Stock nach Paris zurück. Dort verschlechterte sich sein Gesundheitszustand, sodass er nach einem Herzversagen plötzlich am 24. Februar 1948 im Alter von 43 Jahren starb. Als Kriegsgefangener durfte seine Beisetzung nicht bekannt gemacht werden. So folgten seinem Sarg nur wenige; darunter auch Nuntius Roncalli, der bei der Einsegnung folgende umfassende Würdigung fand: „Abbè Stock, das ist nicht nur ein Name. Er ist ein Programm.“
Große Bedeutung in Frankreich
In der Folgezeit erkannte man in Frankreich die Bedeutung des Wirkens von Franz Stock. Für sich spricht die Würdigung auf seinem Grabstein nach der Umbettung in ein würdiges Grab (1951) „… die dankbaren Familien der französischen Gefangenen und Erschossenen“. Am 15. September 1990 wurde der Platz vor dem „Mémorial de la France combattante“ in Suresnes (Paris), das an den gemeinsamen Widerstand aller Franzosen gegen die deutsche Besatzung erinnert und von daher eine immense Bedeutung für das Selbstverständnis der Franzosen hat, umbenannt in „Place de l’Abbè Franz Stock“ und erhielt damit den Namen eines Deutschen, eines katholischen Priesters.
Auch wenn die erhoffte Seligsprechung im Sommer dieses Jahres durch die entsprechende vatikanische Kongregation abgelehnt wurde, so sollte doch sein Beispiel, sein Programm stehen: Umsetzung der Kernaussage christlichen Lebens – „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“.
Thomas Bertram, der Autor ist stellvertretender Vorsitzender des Franz-Stock-Komitees.
Weitere Berichte zu Franz Stick unter www.derdom.de
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