Frauen in Altersarmut -Wenn es einfach nicht reicht

„Luxus“ belegtes Brötchen: Jede zusätzliche Ausgabe muss gut überlegt sein. (Foto: KNA)

Gestiegene Lebensmittelpreise und Energiekosten haben eine Gruppe ­besonders hart getroffen: Rentner in Armut. Warum Frauen armutsgefährdeter sind als Männer und wie eine 81-jährige Berlinerin trotzdem ihr Leben meistert.

Berlin (KNA). Wenn Ina Lemper (Name von der Redaktion geändert) morgens aufwacht, fängt sie als erstes an zu rechnen: Welche Ausgaben fallen heute an? Was brauche ich für Medikamente, die die Kasse nicht bezahlt? Geht womöglich etwas kaputt? Mit zarten Händen umfasst die 81-­Jährige ihre Tasse und lächelt etwas zaghaft. „Also diese Gedankengänge, diese Existenzängste, die prägen schon jeden Tag.“

Dabei hat Lemper – anders als viele andere Frauen, die wegen der Fürsorge ihrer Kinder aufgehört haben zu arbeiten oder in Teilzeit gewechselt sind – ihr ganzes berufliches Leben in Vollzeit gearbeitet. Die Rentnerin lebt in Berlin-­Neukölln, zusammen mit ihrem schwer depressiven Sohn, um den sie sich kümmert. Sie ist 1942 als Tochter einer Verkäuferin und eines Klinikheizers zur Welt gekommen, in einem Dorf in Brandenburg, der damaligen DDR; in einfachen Verhältnissen aufgewachsen.

Heute bekommt Lemper monatlich 1 115 Euro Rente. Sie lebt spartanisch. Was über die Fixkosten – eine kürzlich erhöhte Miete von mehr als 800 Euro, Strom und Gas, Versicherung, Telefon, Rundfunkbeitrag – hinaus­geht, ist nicht mehr möglich. Für einen Teil der Miete erhält sie durch ihren Sohn unterstützend Wohngeld vom Staat. Dennoch könnte sie für Medikamente, Lebensmittel oder Haushaltswaren ohne die finanzielle Unterstützung aus ihrem Familien- und Freundeskreis in der Regel nicht aufkommen.

Jede fünfte Frau ab 65 gilt als armutsgefährdet

Wie Lemper ergeht es vielen: Die Armutsquote der ab 65-­Jährigen lag laut Statistischem Bundesamt mit 22,4 Prozent unter Rentnerinnen und Rentnern zuletzt (2022) auf einem Rekordhoch (18,6 Millionen). In Bremen, Berlin und Nordrhein-­Westfalen ist ihre Lage am prekärsten. Überproportional sind Frauen betroffen: In Deutschland gilt jede fünfte Frau ab 65 als armutsgefährdet. Die Alterseinkünfte von Frauen waren zuletzt durchschnittlich knapp ein Drittel niedriger als die von Männern. Wie im Falle Ina Lemper, die als Zahnarzthelferin gerade einmal 1 200 D-Mark netto verdiente, hängt dies einerseits damit zusammen, dass Frauen häufig in schlechter bezahlten Branchen arbeiten als Männer. ­Kulturwissenschaftlerin Irene Götz hat das Phänomen fünf Jahre lang erforscht und das Buch „Kein Ruhestand – Wie Frauen mit Altersarmut ­umgehen“ ­veröffentlicht. Gerade in Städten kämen Alleinstehende mit einer durchschnittlichen gesetzlichen Erwerbsrente kaum zurecht.

Nach Lempers Rente folgten viele Jahre in Minijobs: als Komparsin, Kinderbetreuerin, als Aushilfe in der Logistik eines Start-­ups, an der Rezeption ihrer ehemaligen Praxis. „Was sich halt so ergeben hat“, sagt die Rentnerin. „Ich habe immer die Augen offen gehalten. Aber je älter ich werde, desto schwieriger wird es.“

Inflation verstärkt die Altersarmut

Durch die Inflation, die 2022 auf dem höchsten Stand seit gut 40 Jahren lag, hat sich Altersarmut stark verschärft. Die Entwicklung der Ausgaben sei höher gewesen als die Anpassung der Rentenzahlungen, erklärt Andreas Aust von der Paritätischen Forschungsstelle für Sozialpolitik. Menschen mit geringen Einkommen sind zudem stärker von der Inflation betroffen. Die Inflationstreiber – Energie und Lebensmittel – machen bei ihnen einen deutlich ­höheren Anteil an den Ausgaben aus.

Ina Lemper sieht man weder ihre Lage noch ihr Alter an. Aufrechte Statur, junge Ausstrahlung, Make-up und die Haare sitzen – man würde sie eher für um die 60 halten. „Höre ich oft“, sagt sie lachend. „Gute Gene!“ Vielleicht liegt es auch daran, dass sie trotz der Existenzängste zufrieden ist mit ihrem Leben. Wie geht das? „Was mir zugutekommt, ist, wie ich aufgewachsen bin. Mein Elternhaus war arm, ich kenne das.“ Sie meint: Zufriedenheit ohne große Ansprüche.

Eine duldsame Haltung hat Armutsforscherin Götz bei vielen Frauen festgestellt. Typischer Satz: „Wenn es euch nur gut geht …“ Die Selbstlosigkeit ist aber vielfach auch mit Scham verknüpft. Kindern und Gesellschaft nicht zur Last fallen zu wollen und nicht über die eigenen sozialen Rechte Bescheid zu wissen – das hängt oft zusammen. Und führt Götz zufolge immer wieder dazu, dass ältere Frauen sich zurückziehen, um ihre Armut zu verbergen. Oder davor zurückschrecken, ihre Rente durch Bürgergeld ­aufzustocken, Wohngeld zu ­beantragen oder andere ­Zuzahlungen in ­Anspruch zu nehmen.

Die Generation, die für den Wohlstand gesorgt habe, lebe jetzt am Rande der Gesellschaft, kritisiert Sandra Bisping, die den Münchner Verein „Ein Herz für Rentner“ gegründet hat. Besonders unter den Frauen, die der Verein unterstützt, hätten viele in Pflegeberufen gearbeitet, sich für andere aufgeopfert, auch ­körperlich. „Heute können sie sich nicht einmal die Schmerzsalbe für ihre Arthrose leisten und stellen dann bei uns einen Antrag.“

Diesen gibt es online, bei Sozialämtern oder Seniorenberatungsstellen. Mit Angaben des Rentenbescheides und Kontoauszügen wird die finanzielle Not festgestellt. Öffentliche Mittel, Grundsicherung und Wohngeld müssen vorher ausgeschöpft sein.

Einmal bewilligt, geht es um schnelle und unbürokratische Soforthilfe nach dem individuellen Bedarf einer Person; der geht weit über das Angebot der Obst- und Gemüsebox hinaus. „Eine Waschmaschine, eine Brille, Medikamente, die neue Bettdecke – das unterstützt das Sozialamt nicht“, so Bisping. Ein Deutschlandticket für acht Monate konnte der Verein allen Rentnern in Deutschland ermöglichen, die er unterstützt. „Damit die einfach mal ihre Enkel sehen, vielleicht mal zum Grab ihrer Eltern fahren oder einen spontanen Ausflug machen können.“

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