25.05.2020

Friede sei mit euch!

Nadine Mersch Foto: Diözesankomitee

„Was war der Moment, an dem du in diesem Jahr, im Corona-Jahr, erkannt hast, dass Ostern ist?“, wurde ich neulich in einem Impuls im Rahmen einer Videokonferenz gefragt. Einige antworteten, sie seien irgendwie am Karsamstag stecken geblieben. Mir kam sofort die Erinnerung an die Osternacht mit dem EKD-Ratsvorsitzenden Heinrich Bedford-Strohm, die ich im Fernsehen angeschaut habe. „Die Lichter brennen!“, rief er in die fast menschenleere Kirche. „Die Osterkerzen erzählen von dem ganz großen Licht, dass die Frauen sehen im Dunkel der Nacht.

Ein Engel begegnet ihnen und sagt: ,Er ist auferstanden von den Toten!‘ Und sie gehen eilends weg vom Grab mit Furcht und großer Freude. Und dann begegnet ihnen Jesus und spricht: ,Fürchtet euch nicht!‘“ Das hat mich sehr berührt und in unser Wohnzimmer zog Ostern ein.

Zudem ist in der Zeit um das Osterfest noch etwas passiert. Die Zeit der coronabedingten Beschränkungen war für uns zwar ungewohnt und besonders für viele Eltern oder Mitarbeitende in karitativen Einrichtungen war und ist sie besonders herausfordernd und anstrengend. Diese Wochen hatten jedoch auch etwas Versöhnendes und Friedvolles. Politikerinnen und Politiker schienen in großer Einmütigkeit Entscheidungen zu treffen. Nachbarn unterstützten sich mit Einkäufen, sangen oder beteten miteinander. Das „Corona-Licht“ leuchtete in vielen Fenstern. Das fehlende Tempo zwischen Terminen und Aufgaben und der Wegfall des Stresses im Straßenverkehr hat viele zur Ruhe kommen lassen.

Die Atmosphäre der Osternacht ist vorüber und wir gehen auf das Ende der österlichen Zeit, auf Pfingsten zu. Pfingsten feiern wir die Gemeinschaft des Gottesvolkes über alle Sprach- und Kulturbarrieren hinweg. Wir feiern den Geburtstag der Kirche und die Gewissheit, dass der Heilige Geist in unserer Welt und in unserem Tun wirkt, uns stärkt. In der biblischen Tradition war den Jüngern in der Zeit zwischen Ostern und Pfingsten Jesus Christus erschienen. Sie erkannten ihn und entschlossen sich, seine Botschaft in die Welt zu bringen, gegen jeglichen Spott und alle Zweifel.

Was ist bei uns in diesem Corona-Jahr seit Ostern passiert?

Die strengen Beschränkungen der Ostertage haben wir verlassen. Wir sind wieder aufgebrochen an unsere Arbeitsplätze, einige auch in die Kirchen, in Restaurants und Geschäfte. „Fürchtet euch nicht“ ist das Gebot der Stunde. Aber seid wachsam, haltet Abstand, achtet auf Anzeichen von Erkrankungen, schützt euch und eure Mitmenschen. Und die Einmütigkeit ist etwas brüchig geworden. Zweifel an den politischen Entscheidungen werden größer. Das Vertrauen in die Wissenschaft wird geringer. Verschwörungstheorien und Pseudowissenschaften wiegen die einen in vermeintlicher Gewissheit, für andere wirken sie verunsichernd und bedrohlich.

Menschen gehen auf die Straßen und prangern Entscheidungen und Sichtweisen von anderen regelrecht an. Sie verunglimpfen medizinische Experten und Expertinnen und die Presse. In den sozialen Netzwerken wird wieder munter drauflos gestritten. Als hätten wir die erschreckenden Bilder, die uns zu einer gewissen Einkehr getrieben haben, schon vergessen. Was ist uns alles erspart geblieben, was Menschen in anderen Ländern ohne frühzeitige Warnung und darauf folgende Schutzmaßnahmen erleiden müssen. Vergessen scheint der Schock über die ersten bekannt gewordenen Corona-Infizierten in Deutschland, die ersten Todesopfer und auch die Berichte derjenigen, die dieses Virus sehr schwer erlitten und es überstanden haben.

Kann Pfingsten uns in dieser Zeit helfen?

Ich meine schon. Zur Bestätigung des Ostergeschehens ruft der Auferstandene den Jüngern den Frieden zu. Diesen Frieden tragen die Jünger in die Welt. Eine Welt, die nach der Pfingstbotschaft eine vielfältige ist. In vielen Sprachen und Zungen verstehen sich die Menschen doch im ganz Wesentlichen, sie erkennen die Botschaft und ihren gemeinsamen Glauben.

Furcht und Frieden! Mir ist völlig klar, dass diese Zeit Furcht in uns hervorruft und auch, dass Wut entstehen kann. Die Einmütigkeit, die wir einige Wochen erleben durften, konnte nicht darüber hinwegführen, dass diese Zeit, in der wir stehen, leider keine Zeit der Gerechtigkeit ist. Die einen sind wirtschaftlich extrem bedroht, andere haben nach einigen Wochen nicht mehr die Nerven für die Doppelbelastung von Homeschooling, Homeoffice und Nachbarschaftshilfe. Einsamkeit oder die Sorge um einsame Angehörige lässt sich nach so vielen Wochen nicht mehr übergehen. Es gibt aber auch diejenigen, deren Leben sich kaum verändert hat, die sich sicher fühlen und die Entschleunigung genießen. Es sei ihnen gegönnt. Suchen wir ein anderes Wort für Ungerechtigkeit und versuchen wir es mit dem Wort Vielfalt. Ja, die Lebenssituationen generell– und in der Krise besonders– sind vielfältig. Kann die Pfingstbotschaft uns auch etwas über diese (ungerechte) Vielfalt sagen? Dass wir diese Vielfalt ertragen können und dass wir Zuversicht haben sollen, dass wir zwar vielfältig aber dennoch eins sein können?

Sehr schwer fällt mir das bei manchen Demonstranten und Demonstrantinnen dieser Tage, weil ich die Art ihrer Kritik über die aktuellen Entscheidungen nicht teile. Ich habe kein Verständnis dafür, wenn nachvollziehbare Sorgen und Kritik für menschenverachtende Zwecke ausgenutzt werden. Ebenso habe ich wenig Verständnis für diejenigen, die in Kauf nehmen, dass bei ihren berechtigten Demonstrationen auch solche Menschen ihr Forum finden, die besagte Sorgen ausnutzen.

Gegenüber verstehen

Ein wenig Einigkeit kann ich erkennen mit denen, die z.B. dafür eintreten, dass ihre Kinder wieder fröhlich mit anderen zusammenkommen können, auch wenn ich unsicher bin, ob das alles so richtig ist, wie es läuft. Genauso berührt es mich, wenn ein Ehemann seine demenzkranke Frau seit Wochen nicht sehen kann, obwohl ich selbst nicht in der Situation bin und daher diese Erfahrung im Augenblick nicht machen muss.

Ich versuche immer, etwas zu entdecken, mit dem ich eins sein kann und ich hoffe, dass sich viele Menschen im Lichte von Pfingsten die Frage stellen: Was kann ich an meinem Gegenüber verstehen, auch wenn es mir fremd ist und nicht meiner eigenen Sprache entspricht? Denn das ist unser Auftrag: Gestärkt durch den Heiligen Geist und die Erfahrung, bei aller Vielfalt miteinander eins sein zu können, sind wir gesandt, den Frieden in die Welt zu bringen.

Die Corona-Krise wird vorübergehen, auch wenn wir nicht wissen, auf welche Weise und wann. Ich wünsche uns allen, dass wir die Zeit in Frieden untereinander überstehen. Werden wir zudem ein wenig Ostern und ein wenig Pfingsten herüberretten können in die Zeit nach der Krise? Ich wünsche mir und uns allen, dass wir das Licht der Osterkerze, von mir aus auch der Corona-Kerze, die so viel Verbundenheit, Solidarität und Hoffnung ausgedrückt hat, bewahren können. Bewahren wir die Solidarität mit den Schwächeren und mit denen, die schwierige Entscheidungen treffen müssen. Tragen wir das Pfingsterlebnis mit uns und den Frieden in die Welt. Die Pfingstaktion des Osteuropa-Hilfswerkes Renovabis bringt es auf den Punkt. Das diesjährige Motto seiner Pfingstaktion „Selig, die Frieden stiften– in gemeinsamer Verantwortung für Ost und West“ erklärt das Hilfswerk so: „In der aktuellen Corona-Krise spüren wir, wie wichtig übergreifende Solidarität ist. Wer nicht nur an die eigenen Herausforderungen und Probleme denkt, sondern auch an die Nöte der Menschen in ärmeren Ländern, der dient dem Frieden.“

Der Friede sei mit euch!

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