Geschenke: Freuen oder Fürchten?
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Im vergangenen Jahr haben wir die Dom-Ausgaben im Advent gemeinsam mit Prof. Rita Burrichter gestaltet. So halten wir es auch in diesem Jahr. 2020 ging es um Maria, nun wagen wir uns an ein heikles Thema: Geschenke … Oha!
Vor einigen Jahren fiel mir im Advent eine Radiowerbung besonders auf. Eine ganz nette Mädchenstimme deklamierte: „Wer reitet so spät durch Nacht und Wind, zu T-com, wo die Geschenke sind?“ Ich war etwas verdutzt, denn mit „Wer reitet so spät durch Nacht und Wind…“ verbinde ich eher Gruseliges, Furchteinflößendes. Es ist die Anfangszeile von Goethes Gedicht „Der Erlkönig“. Der Ritt durch die Nacht endet bekanntlich mit dem Tod des Kindes. Zwar ist im „Erlkönig“ durchaus auch von Geschenken die Rede, von Blumen und goldenen Gewändern. Aber was sind das für Geschenke, die mit einem „…und bist du nicht willig, so brauch ich Gewalt“ offeriert werden? Ich dachte damals beim ersten Hören: Vielleicht liegt es am Datum? Schließlich fängt jede anständige Weihnachtszeit in der Konsumgesellschaft zwischen Allerheiligen und Totensonntag an und da kann schon mal was durcheinandergeraten mit Halloween und so.
Aber: Je länger ich über einen möglichen Zusammenhang von „Wer reitet so spät durch Nacht und Wind“ und den Geschenken zur Weihnachtszeit nachdachte, umso treffender, einsichtiger, ja gerade von tiefer Weisheit erfüllt erschien mir die Werbeeinblendung. Ist Geschenke machen und Geschenke bekommen nicht immer mit Freude und Furcht gleichermaßen behaftet? Mit dem Theologen Rudolf Otto gesprochen: Sind Geschenke nicht wie das Heilige ein „fascinosum et tremendum“, Entzücken und Schaudern gleichermaßen hervorrufend?
Geschenke machen und Geschenke bekommen
Zum Fürchten sind ja ganz aktuell die Lieferengpässe bei fast allen geschenkfähigen Dingen: Playstation 5 erst im Mai lieferbar – wie sollen Dreizehnjährige Weihnachten überleben? Gut, auf die ganzen Haushaltsgeräte können wir verzichten. Wir haben uns ja wegen Papierknappheit keine Bücher schenken können, die bestellten Mountainbikes kommen auch erst in anderthalb Jahren. Wir haben also nach dem Weihnachtsessen eh nichts Besseres zu tun, da geben wir in der Küche doch gern die auch ohne Chip aus Indien funktionstüchtige Spülmaschine! Aber selbst wenig konsumfreudige und in Sachen Geschenke schon langjährig abgeklärte Menschen haben leise Panik in den Augen, wenn sie jetzt auf die Alle-Jahre-wieder-Frage antworten sollen: „Uuuuuund – hast du schon alles?“
Geschenke machen und Geschenke bekommen, das ist auch jenseits aktueller Herausforderungen (nicht nur) in der Überflussgesellschaft eine sehr komplizierte Angelegenheit und zwar gleich vierfach: persönlich, sozial, wirtschaftlich und religiös. Gut, dass es auch vier Adventssonntage gibt, um in Ruhe darüber nachzudenken!
Schenken ist eine bürgerliche Erfindung
Unser heutiges Schenken ist eine bürgerliche Erfindung. Es hat die Freiwilligkeit der Gabe zur Voraussetzung, es trägt die Struktur der Wechselseitigkeit an sich und ganz wichtig: Es ist „persönlich“. Indem wir es persönlich überreichen, versehen mit einer persönlichen Widmung und eventuell noch einem persönlichen Wort, erwarten wir, dass in ihm sich Gebende und Empfangende begegnen, ja, dass am Geschenk etwas haftet, dass das Geschenk etwas „ist“, das die beiden verbindet. Eine hoch aufgeladene Struktur, die gründlich schiefgehen kann: Hat er sich das gewünscht? Weiß sie nicht, was mir gefällt? Hochachtungsvoll höre ich von Menschen erzählen, die richtig gut schenken können, sich geheime Wünsche merken, das unglaublich Passende auch für gar nicht Nahestehende finden, die noch das Geldgeschenk in ein Origami-Kunstwerk verwandeln.
Aber es kann auch anders wunderbar sein: Mein Doktorvater pflegte zu Weihnachten wahlweise den Eine-Welt-Laden leerzukaufen oder seine Bibliothek auf der Suche nach Dubletten oder Entbehrlichem zu durchforsten, um dann seine Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen zu beschenken und zwar so: Alle dürfen sich was aussuchen. Ich fand das herrlich! Auf diese Weise bin ich an interessante Literatur gekommen, aber auch an ein Paar Topflappen, die ich mir aus dem Eine-Welt-Angebot ausgesucht habe mit der fröhlichen Ankündigung, dass ich es auf jedem feministischen Kongress erzählen werde, dass mein Doktorvater mir Topflappen geschenkt habe. Ich erzähle das auch hier ohne jede Häme und ich bitte Sie zu bedenken: Diese Topflappen erfreuen immer noch mein Herz! Wie vielleicht kein anderes Geschenk sind sie mir durch ihre eigentlich unpersönliche Vorgeschichte zu einem höchstpersönlichen Geschenk geworden.
Über die Autorin
Unsere Reihe im Advent haben wir gemeinsam mit Prof. Dr. Rita Burrichter von der Universität Paderborn konzipiert. Frau Burrichter ist seit 2004 Professorin für Praktische Theologie an der Universität Paderborn. Ihre Forschungsschwerpunkte sind u.a. Bildtheologie und Bilddidaktik, ästhetisches Lernen im Religionsunterricht und Religion in der Popkultur.