„Gott ist in der Welt gegenwärtig”
Erzbischof Becker ruft zur Nächstenliebe auf.
In zwei Videobotschaften wandte sich Erzbischof Becker an die Gläubigen und an die Kommunionkinder dieses Jahres. Zudem äußerte er sich gegenüber dem Dom.
Herr Erzbischof, ein Gottesdienst ist nicht einfach nur eine Versammlung von Menschen, sondern in einem Gottesdienst geschieht Begegnung mit Gott. Was bedeutet es, wenn nun für längere Zeit keine öffentlichen Gottesdienste mehr stattfinden dürfen?
Ich habe bereits in der letzten Woche sehr deutlich gesagt: Es ist mir wichtig, dass wir uns jetzt den Herausforderungen dieser besonderen Situation stellen und unseren Beitrag als Kirche von Paderborn leisten. Wenn wir nun unsere Gottesdienste nicht mehr öffentlich feiern dürfen, dann braucht es in dieser Krise umso mehr das persönliche Beten, das Füreinander-Dasein und das gelebte Zeugnis von Glaube, Hoffnung und Liebe. Ich habe deshalb besonders die Priester und alle Frauen und Männer im kirchlichen Dienst gebeten, in dieser Zeit gerade in der Liturgie und Katechese mit viel Kreativität und Engagement auch neue Wege zu gehen. Es darf jetzt nicht der Eindruck entstehen, dass das kirchliche Leben lahmgelegt ist und wir nicht verfügbar und ansprechbar sind. Im Gegenteil: Die digitalen Möglichkeiten und alternative Wege des solidarischen Betens und Handelns sind jetzt besonders gefragt. Viele dieser Möglichkeiten haben wir bislang auch gar nicht richtig ausgeschöpft. Bewusst danke ich all denen, die das bereits umsetzen und die schon auf sehr unterschiedliche Weise damit begonnen haben. Gerade jetzt sollten wir die modernen Kommunikationsmittel intensiv nutzen. Die Fernsehgottesdienste und der Livestream im Internet sind nur die bekanntesten Beispiele dafür. Unsere Liturgie bietet sehr viele und kreative Formen, die wir auch nutzen sollten.
Hat die aktuelle Situation etwas mit Gott zu tun?
Es gibt keine Situation unseres Lebens oder in der Welt, die nicht auch mit Gott zu tun hätte. Aber ich darf angesichts von Leid und Tod nicht einfach von einer „Strafe Gottes“ sprechen, wie manche das heute auch wieder tun. Vieles, was gerade geschieht, ist für uns rätselhaft, und wir haben unsere Anfragen, warum Gott so etwas zulässt. Und noch etwas: Die Natur, die Schöpfung, kann auch sehr hart sein. Das sehen wir gerade bei der rasanten Verbreitung des Corona-Virus. Wir haben oft ein sehr romantisches Naturverständnis, das mitunter etwas verzärtelt daherkommt. Aber so harmlos, freundlich und „kuschelig“ ist die Natur gar nicht. Pater Anselm Grün hat in diesen Tagen davon gesprochen, dass unser Umgang mit dem Corona-Virus auch eine spirituelle Herausforderung darstellt. Das sehe ich auch so. Es geht jetzt darum, wie wir achtsamer miteinander umgehen und füreinander sorgen. Gott ist in der Welt gegenwärtig, er hat sich in diese Welt hineinbegeben, und darum hat die aktuelle Situation selbstverständlich auch mit Gott zu tun. Deshalb sollen wir sie auch im Gebet vor Gott bringen.
Was können Christen jetzt tun?
Wir können das konkret leben, was uns besonders ausmachen soll: unseren Nächsten lieben wie uns selbst. Ich denke, als Christen sind wir gerade jetzt zu einem guten Zeugnis herausgefordert, in Wort und Tat. Vielleicht können wir gerade in diesen Wochen, in dieser vorösterlichen Zeit, erfahren, dass der Verzicht uns auch etwas geben kann, erfahren, dass es wichtig ist, anderen Menschen in bestimmten Situationen den Vortritt zu lassen und nicht immer zuerst an sich selbst zu denken. Und vielleicht bekommen wir auch etwas Zeit geschenkt, um ein wenig zu „entschleunigen“ und mehr über uns, unsere Welt und Gott nachzudenken. Auf jeden Fall würde ich mir das sehr wünschen. Unser ganzes Dasein ist jetzt betroffen und eingeschränkt. Als Christ bin ich dazu eingeladen, auch neue Wege meines geistlichen Lebens zu entdecken, das Gebet neu zu beleben, in der Heiligen Schrift zu lesen. Auch das Stundengebet der Kirche kann eine Anregung und Inspiration sein.
Was machen Sie jetzt ganz persönlich?
Natürlich bin ich nach wie vor in meinem Verantwortungsbereich sehr eingebunden. Mir wird es gewiss nicht langweilig werden in dieser Zeit! Als Erzbischof werde ich zwar nicht mehr so viele Konferenzen und Treffen haben, aber ich werde natürlich weiterhin meinen Pflichten nachkommen, besonders auch im Bereich der Liturgie. Ich möchte den Menschen Orientierung schenken und bin bereit, dafür auch neue und ungewöhnliche Wege zu gehen. Aber ich glaube auch, dass es in dieser Situation für uns alle gewisse Zeiten der Verlangsamung und Entschleunigung geben kann. Vielleicht nehmen wir dann auch wieder etwas mehr wahr, was unserem Leben eigentlich Sinn und Tiefe verleiht. Das wäre dann vielleicht auch eine Chance in dieser Krise.