Häusliche Gewalt ist ein Tabuthema

Frauen haben oft das Gefühl, in ihrer Situation allein zu sein. In der Realität wird jedoch fast alle zwei Minuten ein Mensch Opfer von häuslicher Gewalt. Es gibt viele Stellen, die helfen. (Foto: Picture-Alliance)

Täglich versucht ein Mann seine Frau zu töten, jeden dritten Tag gelingt es. Und der Tatort ist oft das eigene Zuhause. Ein Ort, an dem Frauen mit ihren Kindern Schutz vor ­häuslicher Gewalt suchen können, ist ein Frauenhaus, so wie das in Espelkamp.

Paderborn/Espelkamp. Am 25. Januar 2024 tötet ein 18-­Jähriger eine gleichaltrige Mitschülerin mit einem Messer in einer Schule in Baden-­Württemberg. Die beiden sollen in der Vergangenheit eine Beziehung geführt haben. Am 15. Fe­bruar 2024 verletzt ein Mann in Essen seine Ehefrau mit mehreren Messerstichen in der gemeinsamen Wohnung. Sie stirbt noch am Unfallort. Am 21. Fe­bruar 2024 tötet ein Mann in Dortmund seine Ehefrau im gemeinsamen Zuhause durch Gewalt gegen Hals und Brust. Diese Beispiele zeigen, Gewalt gegen Frauen ist leider ganz alltäglich.

Damit Frauen ein ähnliches Schicksal nicht widerfährt, finden sie Schutz in einem der in etwa 400 Frauenhäuser in ganz Deutschland. Der Weg dorthin sei jedoch für viele Frauen mit Scham verbunden, sagt Sabrina Stork. Sie arbeitet seit 2019 im Frauenhaus in Espelkamp, dem sogenannten „Hexenhaus“, und ist dort Bereichsleiterin für den Fachbereich Schutz und Beratung. „Häusliche Gewalt ist noch immer ein Tabuthema“, erklärt sie.

Nach Espelkamp kommen Frauen – unabhängig von Alter, sozialem Status, Herkunft oder Ethnie. Rund 70 Prozent der Frauen haben einen Migrationshintergrund – dazu zählen auch die Frauen, deren Eltern aus einem anderen Land kommen. Der Anteil ist höher, aber nicht durch verstärkte Gewalt, sondern aufgrund geringerer Möglichkeiten für diese Frauen. „Wenn eine deutsche, berufstätige Frau von Gewalt betroffen ist, dann kennt sie die Rechte und die Gesetze“, erklärt Stork. Sie könne sich auch mal ein Zimmer leisten und bei Freunden oder der Familie unterkommen.

Viele sind erst mal in einem Schockzustand

Manche Frauen kommen vorbereitet ins „Hexenhaus“, haben wichtige Papiere bei sich, das Lieblingsspielzeug der Kinder. Andere kommen überstürzt, in einer Nacht- und Nebelaktion – nur mit dem, was sie gerade tragen. Im Frauenhaus wird ihnen dann weitergeholfen. „Viele sind erst mal in einem Schockzustand“, erklärt die Bereichsleiterin, erst in der Ruhe komme das Erlebte richtig an. Nach der Zeit sehe sie es den Frauen an, erzählt sie. Die Geflüchteten würden aufblühen, seien gelöster.

Stork erzählt von einer Frau, die am Anfang überlegt hat, ob die Flucht ins Frauenhaus der richtige Schritt war und ob sie wieder umkehren sollte. Da beobachtete sie, wie ihre Kinder im Innenhof spielten und realisierte, dass das eigentlich das erste Mal sei, dass ihre Kinder richtig spielen dürfen – davor sei dies immer zu laut gewesen. Später sagte diese Frau: Wenn sie gewusst hätte, wie viel Hilfe es gäbe, wäre sie schon viel früher gegangen.

Sabrina Stork, Teamleiterin; Kompetenzzentrum gegen häusliche Gewalt (Foto: privat).

Stork spricht von einem Phasenmodell, das sie mit den Frauen anwenden. In den ersten zwei Wochen werden Anträge gestellt, die Kinder an der Schule angemeldet und die Frauen beim Job-­Center. Danach folgt der Stabilisierungs- und Perspektivplan: Welche Ziele haben die Frauen? Wie erreichen sie diese?

Dass die Frauen beim Job-­Center angemeldet werden, ist wichtig für die Finanzierung: Denn in Deutschland gibt es keinen Rechtsanspruch auf ein Frauenhaus. Wenn eine Frau von ihrem Partner weg möchte, dann muss sie das selbst bezahlen – und zwar für sich und ihre Kinder. Das Frauenhaus in Espelkamp ist vom Land NRW anerkannt, sodass die Frauen nur die Kosten für die Unterkunft zahlen müssen.

„Die Frauenhausunterstüt­zende Infrastruktur setzt sich seit Jahrzehnten für eine ­einzelfall­unabhängige Finanzierung ein“, so Stork. Die ­Frauenhäuser haben einen Schutzauftrag und die Bereichsleiterin betont, dass sie auch Familien aufnehmen, die keinen Anspruch auf Leistungen haben. Dies betrifft berufstätige Frauen und Frauen, die aus der EU stammen, aber noch keine fünf Jahre in Deutschland leben. Aber sie können nicht das ganze Haus nur mit Leuten füllen, die sie selber finanzieren müssen, sagt Stork. Das ­funktioniere nicht. „Dadurch, dass dieser Rechtsanspruch fehlt, sind Frauenhäuser in der wirklich blöden Situation, sich überlegen zu müssen: Können wir es uns leisten, einer Familie Schutz zu bieten, die keinen Anspruch auf Leistungen hat? Und das ist ein Skandal.“

Zugang ist nicht für alle Frauen gesichert

Der Zugang zu Frauenhäusern sei somit nicht für alle Frauen gesichert. Es gebe nicht einmal genügend Plätze. ­Insbesondere Frauen mit Behinderungen haben einen sehr schlechten ­Zugang zum Hilfesystem.

Im Haus sind die Schutzsuchenden automatisch an die Frauenberatung angebunden, um das Erlebte aufzuarbeiten. Gewalt gegen Frauen hat viele Gesichter. Es gibt zum einen die körperliche Gewalt, die sichtbare. Und dann gibt es auch die psychische Gewalt, die keine sichtbaren Spuren hinterlässt: die soziale Gewalt, die ökonomische Gewalt, die digitale Gewalt und die sexualisierte Gewalt.

„Hinter häuslicher Gewalt und diesen verfestigten Gewaltkreisläufen gibt es immer einen Wechsel zwischen guten und schlechten Tagen“, sagt Stork. Diese Phasen gehören zum Gewaltkreislauf dazu und halten letztendlich die Frau in der Abhängigkeit.

Abhängigkeit ist ein großes Stichwort, wenn es um Gewalt gegen Frauen geht. Aus Erfahrung erzählt Stork, dass es öfters vorkommt, dass Frauen wieder zu ihrem gewaltvollen Partner zurückkehren. In der Gesellschaft beobachtet sie in solchen Situationen häufig das „­Victim ­Blaming“, also dass dem Opfer vorgeworfen wird, wieder zurückzukehren und es somit in die Verantwortung genommen wird. Stork betont: „Das sind keine dummen, schwachen, unmündigen Frauen. Das sind intelligente, erfolgreiche, schöne Frauen, die über die Zeit in so eine Spirale gekommen sind.“ Auch wenn die Frau immer wieder zurückkehrt, sei es wichtig, ihr immer zuzuhören.

Wenige bringen die Taten danach auch zur Anzeige. Die Möglichkeit, körperliche Spuren zu sichern, gibt es auch anonym. Besonders schwierig seien aber die Chancen vor dem Gericht, wenn es um das Sorgerecht geht. „Väter haben das Umgangsrecht“, erklärt Stork, „in familiengerichtlichen Verfahren wird häufig zugunsten der Väterrechte entschieden.“ Konkret bedeutet das: Der Vater hat das Recht, die Kinder zu sehen und die Frauen müssen dies ermöglichen und ihrem Täter immer wieder begegnen.

Hier stellt sich die Frage: Wenn der Vater gegenüber der Frau gewalttätig geworden ist, besteht dann nicht auch eine Gefahr für die Kinder? „Häusliche Gewalt ist immer eine mögliche Kindeswohlgefährdung. Das sehen alle Frauen so, mit denen ich bisher in solchen Situationen gearbeitet habe, das sehen auch viele Jugendämter so“, sagt Stork, „doch die entscheiden das am Ende nicht.“ Am Ende müssen für die Entziehung des Umgangsrechts sehr schwerwiegende Beweise dafür vorliegen, dass das Kindeswohl gefährdet wird.

Frauen sollen sich nicht verstecken müssen

Anders als bei vielen anderen Frauenhäusern ist der Standort des „Hexenhauses“ öffentlich bekannt. „Die Frauen sollen sich nicht verstecken müssen. Häusliche Gewalt ist ein Thema, das geht uns alle an und das gehört in die Mitte der Gesellschaft“, erklärt Stork. Zu Problemen habe der öffentliche Standort bisher nicht geführt. Stork hat es zwei Mal mitbekommen, dass hier jemand aufgetaucht sei. Einmal hat ein Mann Blumen vorbeigebracht, ein anderes Mal hat sich eine Schwägerin nach einer Frau erkundigt. Zur Sicherheit arbeitet das „Hexenhaus“ eng mit der Polizei und einer Security-­Firma zusammen. Zudem hat es Kameras, einen geschützten Innenhof und jede Menge Rentner im Umfeld. „Jede Rentnerin, jeder Rentner ist eine bessere ­Security als die ­Security selbst“, sagt Stork. Die würden dann auch mal anrufen, wenn da ein Auto mit einem fremden Kennzeichen steht oder etwas verdächtig erscheint.

Helena Mälck

Info
Frauen, die von Gewalt betroffen sind, erreichen das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ unter der Nummer 11 60 16. Das Beratungsangebot ist anonym, kostenfrei, barrierefrei und in 18 Fremdsprachen verfügbar.

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