Haltgeber in der Not
Bahnunglücke haben etwas Metaphorisches, vielleicht macht sie das so erschütternd. Gleise stehen für Voraussehbarkeit. Sie vermitteln einem das beruhigende Gefühl, ungefähr zu wissen, was auf einen zukommt bwz. wohin das Leben einen bringen wird.
Man sieht immer schon den Standpunkt, den man demnächst einnehmen wird, und den Weg dorthin. Doch dann geschieht irgendetwas, das einen aus dem Gleis schleudert. Wie aus dem Nichts gibt es Gegenverkehr. Menschliches, technisches, eigenes Versagen oder auch etwas ganz anderes wirft einen buchstäblich aus der Bahn und mit voller Wucht schlägt die Erkenntnis zu: Die vemeintliche Sicherheit war nur trügerisch. In jeder Sekunde kann das Leben ganz anders werden.
Es hätte jeden treffen können, sagen sie geschockt in Bad Aibling, aber die Wahrheit ist doch: Es kann jeden treffen. Die Gefahr ist nicht vorbei, bloß weil man gerade nicht in jenem Zug gesessen hat.
Wen es getroffen hat, wen das Leben aus dem Gleis gerissen hat, der braucht Halt und den gibt in der akuten Situation erst einmal kein Gott, kein Glaube, keine Hoffnung, den gibt ein zunächst Mensch. In der akuten Situation braucht es einen, der nicht redet von Gott, vom Glauben, von der Hoffnung, sondern das alles verkörpert und zwar durch stille, pure Gegenwart.
Es braucht einen, an dem man sich festhalten kann, weil er selbst Halt hat; einen, der nicht selbst betroffen, wohl aber berührt ist; einen, der kommt und da ist. „Ich bin der Ich-bin-da“, so heißt unser Gott.
„Seelsorger“ nennt man solche Haltgeber. Man braucht sie nicht nur im Notfall.