Haltung bitte!
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Ernst-Wolfgang Böckenförde ist vor ein paar Tagen gestorben, der ehemalige Richter am Bundesverfassungsgericht. Man kennt ihn, weil er einen berühmten Satz formuliert hat, der nach ihm benannt ist: das Böckenförde-Diktum. „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann.“
von Claudia Auffenberg
Wie man diesen Satz verstehen kann, zeigt ein Blick nach Nordkorea. Das Land des Kim Jong Un ist nicht freiheitlich-säkularisiert, es schafft alles selbst: von der Sinngebung für den Einzelnen über die Jugendarbeit bis hin zur Kultur. Was sich gehört oder nicht gehört, definiert der Staat. Auf allen Frequenzen, auf denen ein Mensch sendet und empfängt, trifft er auf den Staat, der das Leben seiner Bürger von der Wiege bis zur Bahre regelt. Darauf verzichtet eine Demokratie, das ist ein Wagnis, sagt Böckenförde. Haltungen, die ein funktionierendes Gemeinwesen von jedem Einzelnen braucht, wie Gewissen, Engagement, Hingabe, Bereitschaft zur Verantwortung, Vertrauen, Glaubwürdigkeit, alles, bis hin zum oder besser gesagt, angefangen beim Menschenbild kann und will der freiheitlich-säkularisierte Staat nicht garantieren, weil er dann kein freiheitlich-säkularisierter Staat mehr wäre. Aber um existieren zu können, braucht er genau das. Man versteht, warum manche das Böckenförde-Diktum auch Böckenförde-Dilemma nennen.
Jetzt in Zeiten der Digitalisierung geht es übrigens genau um diese Fragen. Auch jetzt, gerade jetzt, wo technisch fast alles möglich ist, geht es um die Frage, wie wir miteinander umgehen, auf welchen Werten unsere Gesellschaft ruht. Vorträge über Digitalisierung beginnen oft mit Begriffen wie Vertrauen, Persönlichkeitsrechte und Transparenz. Digitalisierung ist nicht nur ein technisches Thema für Computerleute, sondern auch, vielleicht sogar zuerst und vor allem ein ethisches. Denn in der digitalen Welt lebt ein freiheitlicher, säkularer Staat erst recht von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann.
Eine Gesellschaft braucht Werte, aber woher kommen die? Welche gesellschaftlichen Kräfte können sie schaffen oder wenigstens anbieten? Als katholische Seele hat man natürlich eine Idee, wer das sein könnte – und schon kriegt man das Heulen, angesichts dessen, wie es um die Kirche und ihre Wahrnehmung steht. Denn eine Gesellschaft, in der die Rede vom Gott Jesu verstummt, mag man sich kaum vorstellen. Ergo: Wir, die wir in der Taufe mit Christus zu Priester(innen), König(inn)en und Prophet(inn)en gesalbt worden sind, werden gebraucht. Dringend!