12.05.2021

„Hinter Ihnen steht ein Engel“

„Omnibuskirche“: Referent Dr. Bernard Konermann gerät in einen Monolog über die zukünftige Rolle der Priester. Foto: Auffenberg

Der Blick aus dem Fenster der Aula geht in den Park rund um das Paderborner Priesterseminar. Die Bäume tragen dieses frische Grün, das es nur im Mai gibt und das von wieder aufbrechendem Leben kündet. Aber dieser Mai ist irgendwie kein Mai, wettermäßig benimmt er sich eher wie April oder Oktober. Gerade hat es noch gehagelt, jetzt fegt der Wind ums Haus, man hört drinnen das Pfeifen und Heulen. Mmh, hat das was zu bedeuten?

von Claudia Auffenberg

Drinnen in der Aula sind die vier Diakone, die am Samstag kommender Woche im Hohen Dom von Erzbischof Becker zu Priestern geweiht werden. Kurz vor jener so wichtigen Station ihres Lebens sind sie noch einmal in Paderborn zum letzten Teil der Ausbildung. An diesem Nachmittag geht es um liturgische Präsenz. Als Referent ist Dr. Bernward Konermann da. Er ist Dramaturg, Regisseur und erstaunlich bibelfest. Na ja, zugegeben, das Staunen entspringt einem Klischee, von dem man sich doch gleich mal trennen kann: dass nämlich Künstler mit der Kirche nix am Hut haben. Konermann kennt sich aus in der Bibel, in der Kirchengeschichte, in der Liturgie, und als Dramaturg hat er einen anderen Blick auf die Inhalte, die die vier jungen Männer in ihrem Theologiestudium natürlich längst kennengelernt haben. 

Es ist faszinierend, wie lebendig und gegenwärtig ein Bibeltext klingt, wie er sich gewissermaßen vom Papier erhebt, wenn einer aus der Welt des Theaters ihn spricht. „Es geht nicht ums Ablesen“, sagt Konermann zu der Übung, die jetzt folgt, „ich möchte Sie zu Zeugen des Textes machen.“ Er verteilt Texte aus der Hl. Schrift, jeder bekommt einen, den er gleich vortragen soll. Bevor der Erste beginnt, stellt sich Konermann vor ihn: „Sind Sie drinnen oder draußen? Wer ist das, der da spricht? Welche Augenfarbe hat er? Und Sie, was haben Sie an den Füßen? Wie ist das Wetter?“ Es geht ihm darum, in den Text zu gelangen oder den Text in sich einzulassen. Rolf Marcel Fischer beginnt, er hat einen Passus aus dem Buch Exodus. Es geht um das Altargesetz. „An jedem Ort, an dem ich meinem Namen ein Gedächtnis stifte, will ich zu dir kommen und dich segnen“, heißt es darin. Mal wieder so ein Bibeltext, den man bewusst noch nie gehört hat. Fischer liest mit kräftiger Stimme. Als er zu diesem Satz kommt, unterbricht Konermann und blickt die vier der Reihe nach an: „Diese Orte“, sagt er, „verwalten Sie demnächst. Bitte weiter.“

Priester von morgen

Fischers letzter Satz lautet: „Du sollst nicht auf Stufen zu meinem Altar hinaufsteigen, damit deine Blöße dabei nicht zum Vorschein kommt.“ Konermann springt auf seinen Stuhl und posiert ein bisschen provozierend vor Jonathan Berschauer, der im Stuhlkreis sein nächster Nachbar ist. „Eine Blöße haben wir alle“, sagt er und wiederholt dann den Bibelvers noch mal: „…nicht auf Stufen zu meinem Altar hinaufsteigen. Überheb dich nicht in deinem Dienst, damit deine Blöße nicht zum Vorschein kommt!“ So geht das bei allen vier. Immer wieder unterbricht Konermann, wiederholt einzelne Sätze. Etwa aus dem Buch Jeremia: „Keiner wird mehr den anderen belehren – aha. Bitte weiter.“  

Die Rolle der zukünftigen Priester ist Konermann ein wichtiges Anliegen. Er zieht einen Tisch in die Mitte, drapiert eine Flasche Wein, ein Brötchen und ein Lektionar darauf. Die jungen Männer sollen mit ihren Stühlen „eine schöne Omnibuskirche stellen“. Es geht um die Eucharistie. Das Thema ist Konermann ein Herzensanliegen, man spürt es ihm an, er ist ergriffen, kommt ins Reden, ein faszinierender Monolog eines faszinierten Menschen ist das, dennoch: Hinterher werden sie ihm sagen, dass diese Einheit in bisschen viel Frontalunterricht und wenig praktisch war. Was auch wieder richtig ist. Doch über die Feier der Eucharistie kommt der Dramaturg zur Lebensaufgabe der Priester. Jedes Mal werden sie die Worte Jesu sprechen: Tut dies zu meinem Gedächtnis. „Das ist ein Auftrag!“, sagt er. Ein Auftrag, den er als Auftrag zur Kreativität versteht. In 20 Jahren werde die Kirche ganz anders aussehen, aber das sei nicht schlimm. Die Blase, in der die jungen Männer jetzt noch lebten, werde es dann nicht mehr geben, dafür ganz sicher eine andere: „Sie werden sich vielleicht eines Tages auch von einer syrophönizischen Frau überzeugen lassen.“ Die syrophönizische Frau, Hilfe, wer war das jetzt noch? Ach ja, es war die heidnische Mutter, die Jesus um die Heilung ihrer Tochter bat und zugleich sein Herz weitete. Denn sie überzeugte ihn, dass er auch zu den Heiden gesandt war. Vielleicht könnte man so sagen: Sie war es, die im Denken Jesu aus dem „Entweder-oder“ ein „Sowohl-als-auch“ gemacht hat. Doch zurück zu Konermann: Die geringe Zahl der Priester mache ihre Aufgabe dringender, referierte er: Die Kirche bauen, das macht Jesus, sagt er. Der Job der vier werde es sein, die Menschen zu inspirieren. „Sie werden nur Priester sein, wenn sie andere zu Priestern machen.“ Denn, so erzählt er von zu Hause: Wenn er andauernd selbst die Spülmaschine einräume, wurden es seine Kinder natürlich nie tun. „Sie machen das, worum es geht, fruchtbar. Sie vergraben das Talent nicht!“, sagt er, und es klingt nach mindestens drei Rufzeichen – nicht laut, aber eindringlich. „Sie stiften Beziehungen. Das ist Ihr Job! Sie sind die Tür, Sie sind die Wegweiser zu Jesus. Sie müssen uns inspirieren, Sie müssen uns selbstständig machen. Sie sind verdammt wenige, aber das war schon immer so!“ Nie habe es genug Arbeiter im Weinberg gegeben, sagt er, schon Jesus habe das beklagt. 

Leibhaftige Erfahrungen

Zu dem, was die Priester geben, gehört der Segen. Das übt er jetzt mit ihnen. Es geht nicht darum, wie man die Hände hält, jedenfalls macht er dazu keine Anweisung im Sinne von „höher“ oder so. Vielmehr macht Konermann jetzt das, was er vorhin als Auftrag der vier formuliert hat: Er inspiriert. Er beschreibt die Haltung, in der sie agieren sollen: „Konzentrieren Sie sich ganz auf den, den Sie segnen. Konzentrieren Sie sich auf den, der Sie segnet.“ Zwei der vier sitzen auf einem Stuhl, die anderen beiden stehen dahinter und legen ihre Hände dort auf, wo sie es für den anderen als angenehm vermuten. Es wird still im Saal. Man traut sich kaum zu atmen, geschweige denn, hin- und herzugehen und ein Foto zu machen. Das Klicken der Kamera ist viel zu laut. Segen erfüllt irgendwie den Raum. Ist das noch eine Übung oder doch mehr? Womöglich sind Engel im Raum. Dieses Bild nämlich gibt Konermann den jungen Männern mit auf den Weg, als er die Segensübung beendet: „Hinter Ihnen steht jetzt ein Engel, und der geht nie wieder weg.“ Wenn sie demnächst einen Menschen oder eine Gemeinde segnen werden, dann also sollen sie nicht einfach losgestikulieren, sondern innehalten und im Geist Folgendes durchgehen: „Wo sind meine Füße? Der Engel kommt. Die Geste. Die Worte.“

Liturgische Präsenz war das Thema dieser Einheit, die Diakone haben eigentlich nichts gelernt, was man nicht, wie Fischer, einer der vier sagt, in jedem dritten Buch lesen kann. Aber hier haben sie es nicht gelesen, sondern am eigenen Leib erfahren, und das ist dann doch etwas Neues. „Ich bin selbst der Empfangende“, sagt Florian Reddeker, das sei ihm hier geradezu körperlich bewusst geworden. Die anderen bestätigen das. Als Merksatz zitiert Stephan Kersting eine alte Schauspielerregel, die Konermann ihnen genannt hat: „Mach was mit deinem Körper, das Gefühl kommt von selbst.“ Jetzt sitzen sie noch ein bisschen zusammen, es gibt Handouts. Wie geht es ihnen wenige Wochen vor der Weihe? Gut, sagen sie, eine Ahnung von Gewissheit komme auf. Sie wollen sich führen lassen durch das, was auf sie zukommt. „Es geht darum, Dinge anzunehmen, die von außen kommen und die man nicht ändern kann“, sagt Stephan Kersting. Eigentlich redet er davon, dass die Priesterweihe coronabedingt ohne große Feierlichkeiten stattfinden wird. Aber das gilt natürlich auch für die Situation der Kirche insgesamt, in die sie sich als junge Priester nun hineinbegeben.  

Der Wind fegt ums Haus. Es fühlt sich an wie April oder Oktober. Aber draußen sieht man die Bäume in diesem speziellen Grün, das es nur im Mai gibt. Das hat doch was zu bedeuten!

Info

Priesterweihe

Erzbischof Hans-Josef Becker wird am Samstag, 22. Mai, die vier Diakone zu Priestern weihen. Die Weiheliturgie beginnt um 10 Uhr und kann über den Livestream im Internet auf der Seite des Erzbistums Paderborn mitgefeiert werden: www.erzbistum-paderborn.de.

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