„Ich bin doch wer!“
Boten in ihren Workshops und im Vortrag verschiedene Zugänge zur Achtsamkeit (v. l.): Gabriele Lüttig, Britta Fackler, Annette Lödige-Wennemaring, Pfarrer Günter Faust, Nina Kolk und Norbert Kremser.
Paderborn. Immer für andere da sein, mit Schmerzen, Leid, Krankheit und Tod konfrontiert sein, den Ansprüchen von Patienten, Angehörigen und Arbeitgebern gerecht werden und nicht zuletzt eine hohe Verantwortung: Wer in der Pflege arbeitet, muss auf vieles achten. Dabei kommt eines häufig zu kurz oder bleibt ganz auf der Strecke: das eigene Wohlergehen. „Achtsamkeit – auch für mich selbst“ war deshalb der erste „Tag für die Pflegenden“ im Erzbistum Paderborn überschrieben, zu dem sich rund 80 in der Pflege Tätige am vergangegen Samstag im Paderborner Bildungshaus Liborianum trafen. In Vortrag, Gespräch und Workshops zeigte die Veranstaltung auf, wie im oftmals belastenden Pflege-Arbeitsalltag die eigene Person zu ihrem Recht kommen kann.
von Andreas Wiedenhaus
Wenn es so einfach wäre: „Gelassenheit to go“ ist auf dem Kaffee-Becher zu lesen, den der Arnsberger Klinikseelsorger Norbert Kremser in der Aula des Liborianums präsentiert. Doch am Automaten kann man die nötige Portion Achtsamkeit sich selbst gegenüber nicht ziehen. Kremser hatte trotzdem für seine Zuhörerinnen und Zuhörer – unter den rund 80 Teilnehmern war ein Mann – eine ganze Reihe von Tipps und Hilfsmitteln parat, die sich gut in den (Arbeits-)Alltag einbauen lassen.
Dabei, so Kremser, müsse man sich allerdings von einem Irrweg verabschieden: „Multitasking“ (Die Erledigung mehrerer Aufgaben und Arbeitsschritte zum gleichen Zeitpunkt) lasse sich gerade im Bereich der Pflege nicht umsetzen. Stattdessen, so der Diplom-Theologe, der sich seit rund 25 Jahren mit dem Thema auseinandersetzt, sei es der richtige Weg, sich zwischendurch immer wieder selbst wahrzunehmen, statt von einer Aufgabe zur nächsten zu hetzen: „Halten Sie für einen kurzen Moment inne, fragen Sie sich, was gerade ist, wo Sie gerade sind und was Sie gerade tun!“ Dabei sei es unerlässlich, offen und ehrlich sich selbst gegenüber zu sein und zu sich selbst zu stehen: „Wenn ich etwas nicht will, dann will ich es nicht – diese Haltung ist nicht egoistisch, sondern eine normale Reaktion; im Privatleben genauso wie im Arbeitsalltag.“
„Ich bin doch wer!“ – Auch diesen Satz, so Kremser, solle man sich immer wieder sagen: „Seien Sie selbstbewusst, stellen Sie Ihr Licht nicht unter den Scheffel!“ Und einen ganz praktischen Ratschlag gab der Seelsorger seinem Publikum noch mit auf den Weg: „Brechen Sie ab und zu aus Ihren Gewohnheiten aus.“ Das sei einfacher als vielleicht gedacht: „Manchmal reicht es schon, einfache Dinge, die man immer mit der rechten Hand erledigt, einmal mit links zu tun, um innezuhalten und sich einmal wieder ganz bewusst mit einer Tätigkeit zu befassen.“
Achtsam mit sich selbst umzugehen – am Anfang dieses Prozesses müsse die bewusste Entscheidung dazu stehen: „Dann kann man die Möglichkeiten, die es im Alltag gibt, entdecken!“
Der Vortrag des Klinikseelsorgers bildete den inhaltlichen Auftakt des Tages. Zuvor hatten die Initiatoren, Dr. Werner Sosna, Referent für religiös-theologische Bildung im Liborianum, Christoph Robrecht, Hausoberer am Brüderkrankenhaus, und Brigitte von Germeten-Ortmann, Leiterin der Gesundheits- und Altenhilfe beim Diözesan-Caritasverband Paderborn, in ihrer Begrüßung kurz umrissen, worum es an dem Tag ging. „Ihr Beruf im Pflegedienst bedeutet jeden Tag aufs Neue, für den anderen da zu sein. Und deshalb soll es heute einmal umgekehrt sein“, so Dr. Sosna.
Robrecht betonte, dass trotz der schwierigen Rahmenbedingungen im Gesundheitssektor die Pflege noch immer größtenteils gut bewertet werde. „Das ist Ihrem großen Engagement zu verdanken, mit dem Sie es schaffen, so viele unterschiedliche Anforderungen zu erfüllen.“
Die Haltung der Achtsamkeit für sich selbst sei wichtig, um einen Pflegeberuf überhaupt als Lebensaufgabe durchhalten zu können, ergänzte Brigitte von Germeten-Ortmann: „Es ist gut, dass das Erzbistum Paderborn mit einem solchen Tag wie diesem, der größten Berufsgruppe in Deutschland eine solche Anerkennung zukommen lässt.“ Der Bogen zum Alltag und zur Praxis, den Norbert Kremser schon geschlagen hatte, bestimmte auch die Inhalte der fünf verschiedenen Work–shops: Hier konnten die Pflegenden kennenlernen, wie man achtsam mit sich selbst umgeht. Die Workshops wurden vormittags und nachmittags angeboten, sodass es möglich war, verschiedene Zugänge zu erproben.
Krankenhausseelsorgerin Nina Kolk sprach darüber, wie trotz hoher Arbeitsbelastung gut für sich selbst gesorgt werden kann, abgerundet durch praktische, leicht in den Alltag zu integrierende Übungen. Praktisch wurde es auch im Workshop von Krankenhausseelsorgerin und Entspannungspädagogin Gabriele Lüttig zur „Kraft der Gegenwart“, also dem bewussten Erleben von Momenten. Um „Entspannung, wenn wenig Zeit ist“ ging es bei Entspannungspädagogin Annette Lödige-Wennemaring. „Was soll ich dir tun?“ – Diese Frage von Jesus bei einer Krankenheilung stand im Zentrum des Workshops von Klinikseelsorger Pfarrer Günter Faust, in dem es unter anderem darum ging, Wünsche und Ansprüche des Gegenübers mit den eigenen Erwartungen in Enklang zu bringen – eine zenrale Frage etwa in der Sterbebegleitung.
Anregungen für eine harmonisierende Klangpause mit besonderem Fokus auf die Atmung gab es bei Britta Fackler. Die Musik- und Klangtherapeutin gestaltete außerdem mit verschiedenen Instrumenten eine musikalisch-meditative Mittagspause.
Dabei wurde der Tag auch für einen regen kollegialen Austausch genutzt. „Die Atmosphäre hier ist sehr familiär und die Veranstaltung ist gut organisiert“, lobte eine Teilnehmerin.