„Ich habe mit viel Protest gerechnet“ – Interview mit dem Domprobst

Zu Libori wurde die Krypta im Paderborner Dom wiedereröffnet. Seitdem gibt es viele Diskussionen.

Eine Woche vor Libori wurde im Dom die Krypta wiedereröffnet. Seitdem wird diskutiert: über die Hinweistafel an der Grablege der Erzbischöfe, über den fehlenden Tabernakel und natürlich über die Darstellung des hl. Liborius. Anlass, beim Dompropst noch mal nachzufragen. 

Herr Dompropst, wie war Ihre Libori-Woche?

Domprobst Joachim Göbel: Anstrengend. Viele Leute können sich vermutlich nicht vorstellen, was bei einem so gewaltigen Fest mit so vielen Menschen und geladenen Gästen im Hintergrund alles passieren oder schiefgehen kann. Also, es war anstrengend wie immer, aber ich habe es auch genossen. Libori ist eben … Libori. 

Mit der Eröffnung der Krypta eine Woche zuvor haben Sie sich noch ein weiteres anstrengendes Thema beschert. Gehen wir die diskutierten Punkte einmal durch. Zunächst die Figur des hl. Liborius. Wie gefällt Sie Ihnen?

Domprobst Joachim Göbel: Sehr gut! Religion und Kunst haben etwas gemeinsam: Sie unterbrechen. Dieser Liborius unterbricht meine Sehgewohnheiten. Wie viele andere Menschen habe auch ich, wenn ich an Liborius denke, ihn so vor Augen, wie er zum Beispiel vor der Bonifatiusbuchhandlung steht, also als barocken Bischof. Die neue Figur macht mir klar, dass er so nie ausgesehen hat. 

Die neue Liboriusfigur in der Krypta unterbricht die Sehgewohnheiten. Bisher haben viele, auch Göbel, beim Gedanken an ihn einen barocken Bischof vor Augen, wie er etwa vor der Paderborner Bonifatius-Buchhandlung steht.
Die neue Liboriusfigur in der Krypta unterbricht die Sehgewohnheiten. Bisher haben viele, auch Göbel, beim Gedanken an ihn einen barocken Bischof vor Augen, wie er etwa vor der Paderborner Bonifatius-Buchhandlung steht

Aber so wie die Figur hat er auch nie ausgesehen. 

Domprobst Joachim Göbel: Nein, so hat er auch nicht ausgesehen, aber das zeichnet die Figuren von Stefan Balkenhol aus und das macht sie zur Kunst: Sie lädt ein, sich zu identifizieren. Er ist ein Mann, ein Mensch wie ich und wie viele andere auch. Er ist so angezogen, wie ich auch schon mal angezogen bin. Wenn ich ihn Leuten bei Führungen zeige, dann höre ich manchmal: „Das könnte ja ich sein.“ Genau dazu lädt die Figur ein. Und: Er hat einen Gesichtsausdruck, über den ich mit der Figur ins Gespräch komme. Ich will wissen: Was hat er mir zu sagen, wo schaut er hin, wohin lenkt er meinen Blick? Ich finde die Figur auch deshalb großartig, weil sie die Symbole, die zu Liborius gehören, den Pfau und die Bibel mit den Steinen, hervorhebt. Der Pfau mit diesem himmlischen Blau ist ja der einzige Farbkleks in der Krypta. Für mich ist das eine echte Augenweide, ich kann mich nicht sattsehen, und das ist für mich ein weiteres Kriterium für echte Kunst im Unterschied zu Kunsthandwerk: Kunst wird nie langweilig. 

Aber er ist nicht als Bischof zu erkennen, und das hätte man durchaus zeitgemäß darstellen können. Die Bischöfe heute sind ja auch keine barocken Erscheinungen mehr. 

Domprobst Joachim Göbel: Es gab tatsächlich im ursprünglichen Entwurf von Stefan Balkenhol die Idee, ihm eine Mi­tra aufzusetzen. Bei einem Werkstattbesuch mehrerer Mitglieder des Domkapitels und Domvikare haben wir mit ihm darüber diskutiert. Als er uns seine Idee vorgestellt hat – Liborius, ein Mensch wie du und ich –, kam von uns der Einwand: Warum dann eine Mitra? Zumal der historische Liborius mit Sicherheit keine Mitra getragen hat. So etwas gab es ja erst Jahrhunderte später. Daher haben wir gemeinsam entschieden, darauf zu verzichten. Bischof Franz-Josef Bode hat in seiner Libori-Predigt den hl. Augustinus zitiert: „Für euch bin ich Bischof, mit euch bin ich Christ.“ Und er hat ergänzt, dass der Liborius in der Krypta genau diesen zweiten Teil zeige: Mit euch bin ich Christ. Daher haben wir auf die üblichen Insignien verzichtet. Aber er ist sehr eindeutig als Liborius zu erkennen, man kann ihn mit keinem anderen Heiligen verwechseln. 

Der zweite Aufreger ist bzw. war die Hinweistafel an der Grablege der Bischöfe, die zweimal gestohlen worden ist. Wie wird es da weitergehen?

Domprobst Joachim Göbel: Sie ist gleich am ersten Libori-Sonntag gestohlen worden. Der Ständer wurde regelrecht zerstört, ein rabiater Akt, wie ich finde. Uns allen, dem Kapitel wie auch den Betroffenen, ist von Anfang an klar gewesen: Diese Lösung ist halb gut und halb schlecht und kann nur für den Übergang sein. Niemand hat je im Sinn gehabt, die Lebensleistungen der Bischöfe auf die Verfehlungen zu reduzieren. Die Tafel sollte nur die Zeit überbrücken, bis wir einen sehr viel differenzierteren Text haben, zu dem man über einen QR-Code kommt. Aktuell sind wir mit den Betroffenenvertretern im Gespräch darüber, wie es nun weitergeht. Denn angesichts der Stimmung, die in Teilen der Bevölkerung herrscht, ist klar, wenn wir die Tafel mit demselben Text wieder aufstellen, wird sie dort wieder nicht lange stehen. Und ich möchte nicht, dass durch solche Akte von Sachbeschädigung und Diebstahl ein solcher Ort beschädigt wird. Die Leute müssen sich ja auch mal klar machen, was sie da tun neben den verstorbenen Bischöfen, die sie ja wohl schützen wollen. 

Haben Sie mit so etwas gerechnet?

Domprobst Joachim Göbel: Ich habe mit viel Protest gerechnet, mit Auseinandersetzungen, aber dass sich jemand traut, aus einer Grabstätte, einer Kirche etwas zu stehlen, damit habe ich nicht gerechnet. Das war außerhalb meiner Vorstellung. 

Über Jahre, Jahrhunderte ist das Kirchenvolk so erzogen worden, dass die Bischöfe die Oberhirten sind. Nun steht der Liborius nicht mehr als Bischof da und an der Grablege wird auf Verfehlungen hingewiesen. Hätte man nicht mit emotionalen Reaktionen rechnen können? 

Domprobst Joachim Göbel: Mit emotionalen Reaktionen habe ich gerechnet und die haben wir auch bekommen! Das ganze Thema ist emotional. Das Bild der Bischöfe, die viele Leute persönlich gekannt, die sie vielleicht verehrt haben, wird erschüttert. Aber jeder vernünftige Mensch weiß doch: Wer 30 Jahre ein Leitungsamt innehatte und keine Fehler gemacht hat, hat sein Leitungsamt nicht wahrgenommen. Hier haben wir es mit schweren Verfehlungen zu tun, die jedem Menschen sehr nahe ans Gemüt gehen. Man stellt sich Kinder vor, zerstörte Biografien, das macht das alles so emotional. Darüber zu sprechen ist kaum möglich, so schwierig ist es. Viele werden womöglich daran erinnert, dass es auch ein riesiges gesellschaftliches Problem ist und dass vermutlich jeder von uns in der entfernteren Verwandtschaft oder Bekanntschaft jemanden hat, der da schuldig geworden ist, ohne dass es ans Tageslicht kommt. Das ist nicht angenehm, für die Gesellschaft nicht und für die Kirche noch weniger, weil die Fallhöhe einer moralischen Instanz, die wir über Jahrhunderte sein wollten, größer ist.  

Das Münsteraner Domkapitel steht ja vor ähnlichen Fragen. Sind Sie da im Gespräch?

Domprobst Joachim Göbel: Natürlich bin ich mit dem Münsteraner Dompropst im Gespräch. Dort gab es auf eine ähnliche Hinweistafel nicht ganz so emotionale Reaktionen wie bei uns. Die Vorschläge der Betroffenen in Münster sind sehr vielfältig, hier in Paderborn sind wir einvernehmlich auf die Idee gekommen, dass es ein Mahnmal oder ein Denkmal geben soll. Sobald ein neuer Erzbischof da ist, wird es einen Ausschuss geben, der die Sache in Gang setzt. Das Kapitel hat schon Personen dafür benannt und so hoffe ich, dass wir schnell zu einer guten Lösung kommen.  

Ein dritter Kritikpunkt zur Krypta: Es gibt keinen Tabernakel mehr. Warum nicht?

Domprobst Joachim Göbel: Darüber haben wir lange diskutiert. Auch im Kapitel gab es Stimmen, die sich für einen Ort der Anbetung, der Stille ausgesprochen haben. Aber die Fachleute für Liturgie und Kirchenbau baten uns sehr, sehr eindringlich darum, im Dom nur einen Tabernakel zu haben. Das hat uns letztlich überzeugt. Ob das aber die Dauerlösung sein wird, ist aus meiner Sicht noch offen. Vielleicht schaffen wir irgendwann in einer Kapelle, die stiller ist als die Krypta, einen Anbetungsort. Das wird die Praxis zeigen. 

Im Augenblick ist der Tabernakel im Hochchor und damit doch weit weg von den Betenden. 

Domprobst Joachim Göbel: Seit Corona haben wir jeden Tag eine halbe Stunde Anbetung im Dom, wo wir das Allerheiligste aussetzen. Ich sage es mal so: Die Zahl der Teilnehmer unterschreitet ganz wesentlich die Zahl derer, die sich darüber beschweren, dass es keine stille Anbetungsmöglichkeit im Dom gebe. Direkt gegenüber in der Gaukirche gibt es übrigens die Möglichkeit zur sehr stillen, sehr privaten, sehr qualitätvollen Anbetung. Anbetung ist aus meiner Sicht auch keine Frage der Entfernung. Weil der Tabernakel 50 Meter weit weg steht, ist mir Jesus ja nicht ferner. 

In der Krypta stellt sich die Frage: Zu wem soll ich beten, worauf kann ich mich konzen­trieren, wenn es keinen Tabernakel gibt?

Domprobst Joachim Göbel: Ich kann das Kreuz empfehlen, was eines der ursprünglichen Anbetungszeichen der Christen ist. Wir sind fast 1 200 Jahre ohne Eucharistieverehrung in der Kirche gewesen. Was haben die Leute in dieser Zeit angebetet und wie sind sie damit umgegangen? In den alten Kirchen war der Tabernakel ein reiner Aufbewahrungsort und stand im Hintergrund oder an der Seite. Wenn ich mit jüngeren Leuten spreche, mit solchen, die nicht sehr katholisch sind oder gar keiner Konfession angehören, für die ist die Krypta schon vor der Renovierung ein wichtiger Rückzugsraum gewesen, ein Meditationsraum, ein Schutzraum, wo sie gern im Laufe des Tages ein paar Minuten verweilten. Für die war der Tabernakel nie ein Thema, sondern denen ging es um den Raum, und den haben wir mit der Renovierung wieder sehr stark gemacht. Aber wie gesagt: Das Kreuz ist da, die Reliquien, eine sehr schöne Marienfigur …

Der Kreuzweg ist nicht mehr da. 

Domprobst Joachim Göbel: Richtig. Schon vor längerer Zeit hatten wir überlegt, dass es unsinnig ist, einen Kreuzweg zu haben, den man nicht gehen kann. Die Andachten in der Fastenzeit, die wir im Kreuzgang halten, sind um einiges besser besucht als vorher in der Krypta. Dort haben die Leute gesessen, der Priester ist mit dem Messdiener die Stationen abgeschritten. Der ursprüngliche Sinn eines Kreuzwegs konnte dort gar nicht stattfinden. Ich finde es gut, dass der Raum von dieser Funktion entlastet ist, auch von der Funktion des Beichtens. Da waren wir alle der Meinung, dass es von der Zugänglichkeit her besser ist, wenn wir die Beichte nach oben in den Dom verlegen. Wir werden bis Ende des Jahres neue Beichtstühle im Pfarrwinkel bekommen. Das ist nah bei der Krypta, wer sich vorher oder nachher dort aufhalten möchte, kann das leicht tun, ohne mit anderen Beichtenden in Konflikt zu geraten. 

Zum Schluss: Sie haben schon von einem neuen Erzbischof gesprochen. Libori ist vorbei, trauen Sie sich ein neues Datum zu nennen, zu dem es ihn geben wird?

Domprobst Joachim Göbel: Da befragen Sie doch Ihren Kaffeesatz vom Frühstück heute Morgen, die Antwort dürfte ähnlich präzise sein …

Mit Dompropst Joachim Göbel sprach Claudia Auffenberg

Info
Stephan Balkenhol (66) gilt als einer der international renommiertesten deutschen Künstler. Das Paderborner Diözesanmuseum bereitet derzeit eine kleine Ausstellung zu ihm vor. Dort werden sämtliche Entwurfs­skizzen zur Liboriusfigur sowie einige weitere Figuren von ihm zu sehen sein. Zudem wird ein Film gezeigt, den die Kommunikationsabteilung des Erzbistums über die Entstehung des Liborius gedreht hat.

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