„Im Gebet hat alles Platz“ – Interview mit Christin Gantenbrinker

„Am stärksten und am berührendsten“ sind Christin Gantenbrinker die Gottesdienste in Erinnerung, „die ich draußen gefeiert habe“. (Foto: Sebastian Humbek)

„Wie hältst du es mit der Religion?“, fragt das Gretchen den Dr. Faust. In Zeiten der Kirchenkrise fragen wir in der Fastenzeit bei Menschen der Kirche nach. In dieser Folge bei Christin Gantenbrinker, der DPSG-­Diözesanvorsitzenden. Mit Christin Gantenbrinker sprach Claudia Auffenberg.

Frau Gantenbrinker, gibt es im Glaubensbekenntnis einen Vers, der Ihnen schwer über die Lippen kommt?

Christin Gantenbrinker: „Beim Sprechen gibt es keinen Vers, der mir schwer über die Lippen kommt, aber manches hinterfrage ich schon. Das ändert sich immer mal wieder. Im Moment, in diesen Kriegszeiten oder auch nach dem Hochwasser im Ahrtal, hänge ich am „allmächtigen Gott“. Und ganz schwierig zu greifen finde ich die Formel „zu richten die Lebenden und die Toten“. Damit hadere ich gerade am meisten. Dieses Richten passt gar nicht dazu, wie ich derzeit Glauben erlebe, nämlich als etwas Freies, Lebendiges und Unterstützendes und nicht als etwas Richtendes.“

Seit wann sind Sie katholisch?

Christin Gantenbrinker: „Seit meiner Taufe, wobei ich jetzt mein Taufdatum gar nicht weiß. Seitdem hatte ich immer wieder Berührungspunkte zum Glauben und war mal näher, mal weiter weg vom Katholisch-­sein.“

Gibt es einen Moment, von dem Sie sagen: Seitdem ist mir bewusst, dass ich katholisch bin?

Christin Gantenbrinker: „Tatsächlich schon sehr früh. Ich bin zwar in einer katholischen Gegend am Niederrhein aufgewachsen, aber wir hatten im Nachbardorf eine starke evangelische Gemeinde und meine Großmutter ist evangelisch. Schon in der Grundschule habe ich mich gefragt: Was ist evangelisch, was ist katholisch? Denn die evangelischen Kinder hatten einen anderen Religionsunterricht. Schon da ist mir also aufgefallen, dass es Unterschiede gibt und ich nicht nur Christin, sondern auch katholisch bin.“

Wer hat Sie das Glauben gelehrt?

Christin Gantenbrinker: „Das kann ich nicht an Menschen festmachen, es sind eher Situationen und Begegnungen. Die Pfadfinderei spielt bei mir eine große Rolle in diesem Zusammenhang, weil sie die kon­stante Glaubensanbindung in meinem Leben ist. Auch in der Pubertät, wo ich mich vom Glauben weiter weg gefühlt habe, bin ich dadurch drangeblieben, am Glauben und seinen Riten. Mein Elternhaus war eher christlich, weniger ausdrücklich katholisch.“

Inwieweit prägt das Pfadfindersein Ihren Glauben? 

Christin Gantenbrinker: „Für mich ist Kirche weniger das Gebäude, sondern ich verbinde damit die Feier der Gottesdienste mit den Menschen, die zusammenkommen. Am stärksten und am berührendsten sind mir die Gottesdienste in Erinnerung, die ich draußen gefeiert habe und nicht in einem Kirchengebäude. Diese Kombination aus Natur erleben, Gemeinschaft erleben und das Lagerfeuer hat immer wieder zu Situationen geführt, die ich auf meinen Glauben zurückspielen konnte. Und ich konnte da immer wieder sagen: Das hat etwas ganz allgemein mit Spiritualität und für mich ganz konkret auch mit Gott zu tun.“

Wie kommt man jetzt vom Lagerfeuer zu Gott?

Christin Gantenbrinker: „Einem Lagerfeuer wohnte eine ganz besondere Magie inne, egal, ob man allein oder mit anderen dasitzt und ins Feuer guckt. In so einem Moment empfinde ich ein Gefühl von Geborgenheit und das ist dasselbe Gefühl, das ich auch beim Beten empfinde. Die Gespräche, die am Lagerfeuer stattfinden können, ihre Tiefe und ihre Themen – ganz anders als am Tag – haben für mich sehr viel mit Vertrauen zu tun, eben auch mit Gottvertrauen. Das können schon Situationen sein, in denen ich Gott spüre, auch wenn ich allein dasitze, wenn alle schon im Bett sind. Da kann ich mich ganz auf das Hier und Jetzt konzentrieren: die Ruhe, die Wärme des Feuers auf der einen Seite und die Kälte der Nacht auf der anderen Seite. Das schafft einen Raum für Gott.“

Geben Sie Gott unmittelbar in der Situation Raum oder eher im Nachhinein, also als eine Art Gotteserinnerung?

Christin Gantenbrinker: „Beides. Ich empfinde Gott nicht omnipräsent in meinen Gedanken. Es gibt manchmal diese Erinnerungen, aber es gibt auch Situationen, in denen ich unmittelbar das Gefühl habe, dass ich bete, ohne zu beten.“

Und wann beten Sie, indem Sie beten?

Christin Gantenbrinker: „Einmal die Klassiker: morgens, abends, vorm Essen. Oft, wenn ich spazieren gehe, wenn ich jogge sehr häufig. Und wenn ich etwas erlebe, mit dem ich nicht gut zurechtkomme, eine Situation, die ich nur schwer begreifen kann, die sich nicht gut für mich anfühlt, das hat dann auch Platz im Gebet. Und manchmal auch ein Gebet der Dankbarkeit für etwas, was schönes, das mir passiert oder begegnet ist.“

Wie beten Sie?

Christin Gantenbrinker: „Abends bete ich meistens frei. Ich lasse den Tag Revue passieren und überlege, wen ich in mein Gebet einschließe: meine Familie oder Personen, denen ich begegnet bin, oder Situationen, die irgendwie nach Konflikt aussahen, oder wofür ich Danke sagen möchte. Wenn ich sehr erschöpft bin, bleibt es auch mal bei einem Vaterunser. An Tagen, die mich sehr geschafft haben oder an denen es Situationen gab, die ich irgendwie nicht ins Gebet bringen kann, nutze ich dann die vorgefertigten Texte, die man so kennt. Aber lieber bete ich frei, denn ich möchte schon das Richtige sagen und da ist mein Repertoire an fertigen Gebeten nicht groß genug.“

Zu wem beten Sie?

Christin Gantenbrinker: „Zu Gott, wenn es sehr allgemein ist, und zu Jesus, wenn ich konkreten Beistand in einer Situation brauche. Ja, tatsächlich. Wenn ich eine Situation vor mir habe, die mich herausfordern wird, dann bete ich davor zu Jesus und bitte ihn darum, dass er mich begleitet oder unterstützt und mir hilft, die richtigen Worte zu finden. Und ich bete auch zu ihm, wenn es jemanden anderen gibt, der Unterstützung braucht.“

Wie erfahren Sie, ob das Gebet erhört worden ist?

Christin Gantenbrinker: „In Situationen, die mich he­rausfordern, in denen sich meine Gedanken im Kreis drehen, merke ich, dass meine Gedanken ruhiger werden, dass ich irgendwann das Thema gut aufgehoben weiß und ich finde für mich oft Klarheit, wie ich weitermachen kann. Meiner Verantwortung fürs eigene Handeln bin ich mir schon bewusst, aber ich kriege einfach Ruhe hi­nein in die Dinge, die mich gerade beschäftigen. Manchmal habe ich auch das Gefühl, dass ich im Gebet eine Antwort greifen kann. Da spricht niemand zu mir und sagt mir: Mach das oder dies, aber ich erfahre schon, dass Gott mir hilft und ich finde Antworten auf meine Fragen.“

Was Sie da schildern, klingt nicht nach pflichtgemäßem Abhaken eines Gebetes, sondern nach einem ernsthaften Bedürfnis. Woher kommt das, von wem haben Sie das? 

Christin Gantenbrinker: „Mmh, ich weiß es gar nicht … Meine Oma hat mit uns Kindern immer gebetet. Wir sind die ganze Familie durchgegangen. Ich glaube, das war für mich der Impuls, dass man so auch beten kann. In meiner Familie war Glauben immer etwas freies und leichtes und es konnte Platz im Gebet finden, was gerade Platz brauchte. Ich habe Beten schon immer als etwas Freies erlebt, aber genau kann ich es gar nicht festmachen. Die Frage habe ich mir nie gestellt. Ich kann mich auch gar nicht an ein erstes Gebet erinnern, das war irgendwie schon immer eine Lebensbegleitung für mich.“

Wir haben schon über Gott gesprochen: Wie stellen Sie ihn sich vor, wer oder was ist das für Sie?

Christin Gantenbrinker: „Die Frage habe ich tatsächlich schon mal von einem Muslim gestellt bekommen und ich habe zunächst versucht, ihn in katholischen Begriffen zu erklären. Das ist zwar alles richtig und passte auch, trotzdem habe ich gemerkt, dass Worte gar nicht ausreichen, um Gott zu beschreiben. Ich habe kein Bild von ihm … also ehrlich gesagt, ich kann es nicht beantworten. Im Zweifel hilft die Dreifaltigkeit ganz gut, weil sie zumindest aussagt, dass eine Beschreibung nicht ausreicht, um Gott zu beschreiben. Auch andere Religionen bringen viele Perspektiven ein, um Gott zu beschreiben. Es reicht eben nicht aus, zu sagen: So ist Gott, sondern da ist immer mehr. Wir haben ja dann auch noch die Heiligen, die uns helfen können, zu beschreiben, was Gott oder Göttlichkeit ist. Also ich sage: Gott ist einfach Gott.“

Das Glaubensbekenntnis spricht von Gott, dem Schöpfer des Himmels und der Erde. Das können Sie als Pfadfinderin sicher gut füllen, oder?

Christin Gantenbrinker: „Ja, auf jeden Fall! Ich glaube, dass die Schöpfung uns sehr viel lehren kann, über das Leben, über uns und über Gott. Das ist bei den Pfadfindern jedenfalls ein wichtiger Aspekt. Wir erleben ja gerade, wie fatal es für die Menschheit ist, nicht im Einklang mit der Schöpfung zu leben und die Natur als selbstverständlich wahrzunehmen.“

Letzte Frage: Haben Sie in der letzten Zeit über einen Kirchenaustritt nachgedacht?

Christin Gantenbrinker: „Es gibt Momente, da hadere ich mit der Institution. Aber ich bin mir so sehr bewusst, dass es Kirche braucht, um den Glauben weitertragen zu können, sodass das für mich keine Option ist. Es braucht eine Kirche, um den Glauben über Generationen weiterzutragen. Daher finde ich es sehr kurz gedacht, auszutreten, weil mir jetzt gerade etwas nicht passt. Die Kirche hat viele Fehler gemacht. Doch die Kirche besteht aus so viel mehr Menschen als denen, deren Fehlverhalten gerade das Gute überschattet. Es passiert viel Gutes in den Gemeinden, in den Verbänden. Kirche sind auch die katholischen Kitas und Seniorenheime, genauso wie die Caritas oder für mich ganz präsent die katholischen Jugendverbände, wie mein Pfadfinderverband. Ich wünsche Menschen, einen Zugang zum Glauben zu bekommen. Sie sollen die Möglichkeiten und Gelegenheit bekommen, gemeinsam zu glauben. Dazu kann ich beitragen, indem ich Kirchenmitglied bleibe. Ich bin als Pfadfinderin, in einem katholischen Jugendverband, selbst so sehr Teil dieser Kirche, dass das für mich keine Option ist. Und auch nicht wird, hoffe ich.“

"Im Gebet hat alles Platz" – Interview mit Christin Gantenbrinker

Zur Person

Christin Gantenbrinker (30) ist aufgewachsen in Kalkar am Niederrhein und lebt seit mehr als zehn Jahren in Hamm. Mit zwölf Jahren ist sie als Jungpfadfinderin bei der Deutschen Pfadfinderschaft Sankt Georg (DPSG) in ihrem Heimatort gestartet. 2010 zog sie aus beruflichen Gründen nach Hamm um und engagierte sich dort in der DPSG Hamm-­Süden erst als Jugendleiterin und später dann im Stammesvorstand als Kuratin. Die Kuratinnen und Kuraten nehmen in den katholischen Pfadfinderverbänden das Amt der geistlichen Leitung wahr. Bei der Ausbildung zur Kuratin lernte Christin Gantenbrinker ihren heutigen Mann kennen. Seit vier Jahren ist sie ehrenamtliche Diözesanvorsitzende der DPSG im Erzbistum Paderborn. 

Info

„Wer soll das noch glauben?“ heißt unsere Interview-­Reihe in der Fastenzeit. Die Kirchenkrise bringt viele Menschen, vor allem ältere, ins Nachdenken: Was hat man uns früher in der Kirche, etwa in der Christenlehre, erzählt? Stimmt das eigentlich alles? Dabei geht es nicht nur um Kirchengebote, die aus heutiger Sicht nicht mehr nachvollziehbar sind, wie etwa das Nüchternheitsgebot, sondern auch um wesentliche Glaubensinhalte und das Gebet. Bücher gibt es zu alldem genug. Wir fragen nach bei Menschen, die ehrenamtlich für diese Kirche stehen.

Weitere interessante Interviews und Berichte finden Sie in der aktuellen DOM-Ausgabe. Schauen Sie mal rein, es lohnt sich bestimmt.

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