Im Rhythmus Gottes
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Könnten die Zehn Gebote Europa helfen, seine Zukunft zu gestalten? Ja, sagt die katholische Theologin Prof. Dr. Elisabeth Jünemann. Sie lehrt an der KatHO NRW Theologische Anthropologie und Theologische Ethik und befasst sich mit der Frage, wie Ethik von den hehren Vorsätzen zur konkreten Tat werden kann. Sie hat die Zehn Gebote auf Europa hin gedeutet. In dieser und den folgenden DOM-Ausgaben geben wir ihre Gedanken wieder.
Du sollst den Sonntag heiligen
Das Volk Israel hielt den siebten Tag heilig. Das war sehr ungewöhnlich, denn weder Mond noch Sonne gaben diesen Rhythmus vor. Es ist Jahwes Weisung, dass sein Volk an diesem Tag innehält und sich erinnert, wer es ist: Gottes Volk. Eine Weisung, die nicht einfach zu befolgen war, schon als das Volk die Gebote empfängt, nach der Befreiung, vor dem Durchqueren der Wüste. Müsste man da nicht zügig durch? Kann es sich die Gruppe leisten, in dieser Situation in regelmäßigen Abständen innezuhalten? Kommt man so ans Ziel? Die Antwort der Bibel lautet klar: Nur so kommt man ans Ziel, nur dann, wenn alle gemeinsam Pause machen. Elisabeth Jünemann spricht von einer Errungenschaft, „die bis heute unsere europäische Kultur menschlicher macht“. Im Sonntagsgebot gehe es jedoch nicht nur um Freizeit, sondern um eine heilige Zeit. „Es muss in modernen, hoch entwickelten und effizient funktionierenden Gesellschaften gesicherte Zeiträume geben, die nicht schon wieder verzweckt sind“, sagt sie. Genau danach sehnt sich eigentlich der Mensch: nach Gemeinschaft und einem verlässlichen Lebensrhythmus. Doch der Sonntag als Antwort auf diese Sehnsucht ist gefährdet. Nicht nur, weil die Menschen offenbar am liebsten sonntags einkaufen, sondern auch, weil viele Menschen auch am Sonntag auf verschiedene Dienste angewiesen sind, sei es in der Medizin und der Pflege, in der Kultur oder auch im Verkehr. Hier fordert Jünemann politische und kulturelle Phantasie von den Europäern, um den Sonntag als besonderen Tag zu bewahren.
Du sollst Vater und
Mutter ehren
In Zeiten des demografischen Wandels ein heikles Gebot, denn wer ist in diesem Fall „Du“? Ursprünglich richtete sich das Gebot an den israelitischen Hausvater und dessen Verhalten gegenüber seinen alten Eltern. Aber heute, wo immer mehr Menschen immer älter werden und es immer weniger junge gibt? Elisabeth Jünemann spricht von der Generationensolidarität. Europa steht in dieser Frage vor enormen Herausforderungen, um Lösungen wird engagiert gerungen: Wer bezahlt die Renten oder die Pflege? Und wer soll überhaupt die Alten und Kranken pflegen? Was heißt Generationenvertrag? „Fragen“, so Jünemann, „die in Europa beantwortet werden müssen – hoffentlich im Sinne des vierten Gebotes, das dem Alter, gleich wie es verläuft, ein Höchstmaß an Freiheit zusichert.“