„Katholisch und queer“ – Die katholische Doppelbotschaft
Katholisch und queer
Die Stimmung schwankte zwischen Kritik, Hoffnung und Zukunftszweifel, als es in der vergangenen Woche in einer Diskussionsveranstaltung im Paderborner Liboriusforum um das Verhältnis von katholisch und queer ging. Eingeladen hatte der Bund der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ).
Paderborn. Wäre eine solche Veranstaltung vor einigen Jahren möglich gewesen? Wahrscheinlich nicht. Vor einigen Monaten noch hätte der Begriff „queer“ nach Erklärung verlangt. Aber nachdem zuletzt die Kampagne „“#OutInChurch“ für Aufsehen gesorgt hatte, ist sogar die Bedeutung der komplexen Buchstabenanhäufung LSBTI*Q vielen Katholiken geläufig.
Die Jugendlichen und jungen Erwachsenen aus dem BDKJ, die die Mehrheit des Publikums im Paderborner Liboriusforum ausmachen, wissen natürlich, was sich hinter den sechs Buchstaben verbirgt: „l“ steht für „lesbisch“, „s“ für“schwul“, „b“ für „bisexuell“, „t“ für „transgender“ und „i“ für „intergeschlechtlich“. Das ist die „queere“ (q) Welt, die nicht „cis“, also heterosexuell, ist.
Schilderungen von Diskriminierung und Ausgrenzung
Die Autorin Mirjam Gräve – ganz die Lehrerin, die sie in ihrem Hauptberuf ist – ging die Sache bei ihrem Vortrag im Liboriusforum grundsätzlich an, und erläuterte den Begriff trotzdem, bevor sie zur Entstehungsgeschichte des Buches überging, das sie mit Hendrik Johannemann und Mara Klein geschrieben hat. „Katholisch und Queer“ ist Ende 2021 im Bonifatius-Verlag erschienen. Das Werk versteht sich laut Untertitel als „eine Einladung zum Hinsehen, Verstehen und Handeln“ – beim Umgang der Kirche mit Menschen, die queer sind.
Mirjam Gräve ist nicht nur Lehrerin, sondern auch Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin und Sprecherin des Netzwerkes katholischer Lesben. Entsprechend sensibel lässt sie in ihrem Buch queere Christen von ihren Erfahrungen in katholischen Institutionen erzählen. Das ist sehr nah am Thema und oft bedrückend. Den Berichten im Buch ist deshalb eine Warnung vorangestellt – so drastisch sind die Schilderungen von Diskriminierung und Ausgrenzung in und durch katholische Institutionen.
Angekündigt war die BDKJ-Veranstaltung als Buchvorstellung und Lesung mit Mirjam Gräve. Das hätte inhaltlich ausreichend Stoff zur Diskussion geboten. Doch die Veranstalter hatten zwei weitere Schwergewichte der aktuellen kirchenkritischen Queer-Debatte eingeladen. Birgit Mock ist Vizepräsidentin des Katholischen Deutschen Frauenbundes (KDFB) und seit 2021 Vizepräsidentin des Zentralkomitees deutscher Katholiken (ZdK). Professor Stephan Goertz von der Gutenberg-Universität in Mainz ist ein nicht nur in Fachkreisen geschätzter Moraltheologe.
„Grundlegende Neubewertung von Sexualität“
Birgit Mock ist neben ihren vielen anderen Funktionen im Synodalen Weg aktiv. Zusammen mit Bischof Helmut Dieser leitet sie das Forum „Leben in gelingenden Beziehungen. Liebe leben in Sexualität und Partnerschaft“ – eine Arbeitsgruppe im Synodalen Weg, dem Reformprozess in der katholischen Kirche Deutschlands. Als sie in Paderborn an dem Gespräch teilnahm, stand ein Termin bevor, der über den Erfolg ihrer jahrelangen Arbeit entscheiden würde. Zur vierten Versammlung des Synodalen Weges vom 8. bis zum 10. September stellte das von Birgit Mock mitgeleitete Forum die erarbeiteten Reformvorschläge zur kirchlichen Sexualmoral zur Abstimmung vor.
Sollte die Synodalversammlung den Entwurf annehmen, werde das eine „grundlegende Neubewertung von Sexualität“ in der katholischen Kirche bedeuten, meint Birgit Mock. Konkret müsste sich beispielsweise die kirchliche Grundordnung ändern, Änderungen im Taufregister wären legitim, Segensfeiern von queeren Menschen und ihre Aufnahme in Weiheämter wären dann möglich. Auch der Katechismus müsste in Teilen umgeschrieben werden – ein „historischer Moment“, so Mock, und das Ende einer „dramatischen Scheinheiligkeit“.
Die immer gültige Lehre gibt es nicht
Mit Scheinheiligkeit ist die „katholische Doppelbotschaft“ gemeint, die die katholische Kirche spätestens seit dem 19. Jahrhundert prägt, wie der Mainzer Professor für Moraltheologie, Dr. Stephan Goertz, analysierte. Die Kirche, so Goertz, verurteilt Diskriminierung, diskriminiert jedoch gleichzeitig mit großer Selbstverständlichkeit queere Menschen. Gerechtfertigt wird das auch mit Belegen aus der Bibel – eine wenig objektive Methode, wie Goertz sagt. Jeder könne für seine Urteile und Einstellungen Bibelzitate finden und sie fehlinterpretieren. Die Moral sei autonom, sagt Goertz. Sie setzt das Maß und ist nicht von irgendwelchen Auslegungen des Alten oder Neuen Testamentes abhängig. Es gebe nicht die „immer gültige Lehre“, sondern die Tradition zerfalle in „keineswegs homogene Motivstränge“, schreibt Goertz in seinem Buch „Vom Vorrang der Liebe“.
Auch den Verweis der Amtskirche auf das Naturrecht hält der Moraltheologe für irreführend. Die menschliche Sexualität könne nur im Rahmen von Freiheit und Kultur gelebt werden. Wer also wie die Kirche auf eine natürliche Ordnung verweist, setzt nur die eigene subjektive Interpretation der Natur absolut. Das gelte auch für die kirchliche Sexualmoral, die zeitgebunden ist. Ihre Normen seien längst von der gesellschaftlichen Realität überholt worden.
Kommt die Zeitenwende in der Kirche zu spät?
Wohin es führt, wenn man an den Normen einer vergangenen Zeit festhalten will, wird aktuell deutlich. Wenn die Kirche um Sexualmoral streitet, findet das außerhalb der Kirche kaum Beachtung. Für die Mehrheitsgesellschaft, vor allem die junge Generation, sind diese Normen ohne jegliche Bedeutung. Die jungen BDKJler im Liboriusforum, die aus eigener Erfahrung wissen, wie die Jugend tickt, konnten das bestätigen.
Die große Zukunftsfrage stellte sich also zum Schluss der Veranstaltung: Wenn die Normen der Kirche nicht nur bestritten, sondern in der Mehrheitsgesellschaft bedeutungslos sind: Kommt dann auch die Zeitenwende in der Kirche zu spät?
Karl-Martin Flüter