Kirche im Dorf – Wo Kirchen Identität stiften
Prof. Dr. Gerhard Henkel, Dipl.-Ing. Mechthild Clemens, Dr. theol. Kerstin Menzel, Diözesanbaumeisterin Dipl.-Ing. Carmen Matery-Meding und Studienleiterin Prof. Dr. Stefanie Lieb (v.l.).Foto: Katholische Akademie Schwerte
Um Fragestellungen rund um die „Kirche im Dorf“ ging es bei der Tagung „Landliebe – Potenziale ländlichen Kirchen(um)baus“ in der Katholischen Akademie Schwerte. Neben theoretischen Erörterungen gab es auch gelungene Beispiele für Weiternutzungen.
Schwerte. Nach einer kurzen Einleitung von Tagungsleiterin Prof. Dr. Stefanie Lieb, die die emotionalen und identitätsstiftenden Aspekte des „Dorflebens mit Kirche“ hervorhob, berichtete Prof. Dr. Gerhard Henkel von der Universität Duisburg-Essen vor dem Hintergrund seiner jahrzehntelangen humangeographischen Dorfforschung über seit den 1970er-Jahren und der ersten Leerstandsphase entstandene Initiativen zum Dorferhalt und zur ‑wiederbelebung. Bereits damals formierten sich Bürgervereine, die auf ehrenamtlicher Basis für eine bessere Infrastruktur und kulturelle sowie soziale Lebensqualität auf dem Land eintraten.
Trend zu lokalen Eigeninitiativen
Im Rückblick habe sich bewahrheitet, dass die großen Gebietsreformen der 1970er-Jahre in einigen Bundesländern mit der Auflösung der kleinen eigenständigen Lokalstrukturen zu einer Beschleunigung des Dorfsterbens geführt haben, so Henkel. Von diesem zentralistischen Konzept hat sich die Kommunalpolitik inzwischen in Teilen wieder verabschiedet und unterstützt nun seit Längerem die vielen lokalen Eigeninitiativen auf dem Land. Die Dorfkirche ist aus Henkels Sicht bei diesen Prozessen ein wichtiger sozialer Ort. Allerdings drohe dieser aufgrund der „Eingemeindungen“ von Dorfgemeinden zu großen Verbünden unterzugehen, da er dann wegen des noch hinzukommenden Priestermangels zu wenig geöffnet und genutzt werden könne.
Die evangelische Theologin Dr. Kerstin Menzel, die als Mitarbeiterin des DFG-Forschungsprojekts TRANSARA zu Sakralraumtransformationen in Deutschland an der Universität Leipzig forscht, skizzierte nachfolgend Initiativen für den ländlichen Kirchenbau in Mitteldeutschland. Sie sprach über eine spezifische Transformationsentwicklung, die in der Geschichte der evangelischen Kirche zu DDR-Zeiten begründet liegt. Bereits in den 1970er-Jahren existierten Umnutzungsinitiativen für den ländlichen Kirchenbau, die die vom Staat vernachlässigten Sakralgebäude durch neue Nutzungskonzepte zu erhalten versuchten.
Ehrenamt ist wichtige Stütze
Nach der Wende mit den einhergehenden Umbruchszenarien im ländlichen Raum wie Strukturrückbau, einem Bevölkerungsschwund von 20 Prozent sowie der geringen Anzahl von Kirchenmitgliedern mussten neue Wege für den Umgang mit dem hohen Bestand von 3760 Kirchen und Kapellen in Mitteldeutschland – 98 Prozent davon Denkmäler – gefunden werden. Menzel stellte an einigen Beispielen wie der Rittergutskirche in Kleinliebenau bei Leipzig (Pilger- und Fahrradkirche), der Kunstkirche in Bad Berka/Bergern in Thüringen und der ökumenischen Ökokirche in Deutzen unterschiedliche aktuelle Initiativen zum Umgang mit Dorfkirchen vor. Diese können einmal auf übergeordneter Ebene verankert sein, haben aber als Grundvoraussetzung immer das ehrenamtliche Engagement der kirchlichen und bürgerschaftlichen Gemeinden vor Ort.
Als ein Beispiel für eine gelungene Weiternutzung einer Kapelle im ländlichen Raum aus dem Erzbistum Paderborn stellte abschließend Architektin Mechthild Clemens vom Büro clemensundmaas architektinnen, Arnsberg, das Projekt der Rodentelgenkapelle in Arnsberg-Bruchhausen vor. Das aus dem 15. Jahrhundert stammende Sakralgebäude verfiel seit dem Neubau einer benachbarten Pfarrkirche in den 1920er-Jahren zunehmend und wurde nur noch sporadisch genutzt. 2009, nachdem bereits Überlegungen hinsichtlich eines Abrisses laut wurden, gründete sich ein Förderverein, der sich zusammen mit der Kirchengemeinde für den Erhalt einsetzte und mit viel Eigeninitiative die Sanierung in Angriff nahm.
In Zusammenarbeit mit dem Architektinnenbüro clemensundmaas, der zuständigen Denkmalbehörde und dem Erzbistum Paderborn wurde in einem langen Zeitraum von über zehn Jahren die Kapelle zu einem denkmalgerecht umgestalteten Kirchenraum mit multifunktionaler Nutzungsperspektive. Mit der Kurzvorstellung des Umbaus von St. Antonius in Eisborn zog die Architektin ein zweites Beispiel für eine Dorfkirchenneugestaltung heran: Hier galt es, eine Kombination aus neugotischem Längsbau und kreuzendem 1960er-Jahre-Kirchenschiff zu einer neuen liturgischen, kleineren Einheit im Inneren zusammenzuführen. Die Architekten lösten das Problem, indem sie auf der alten liturgischen Achse einen Communio-Raum konzipierten und in den großen Nachkriegskirchenraum einen Gemeindesaal als hölzerne „Box“ integrierten.
Gesamtgesellschaftliche Verantwortung
Bei der anschließenden Abschlussdiskussion verwies Diözesanbaumeisterin Carmen Matery-Meding darauf, dass im Unterschied zu anderen Bistümern im Erzbistum Paderborn als einer per se ländlichen Region die Kirchengebäude in ihrem Bestand nicht so stark auf dem Prüfstand stehen, man aber dennoch von Seiten des Bistums auch die künftige Finanzierung bei fehlenden Mitgliederzahlen und mangelnder Nutzung im Auge behalten müsse. Innovative Projekte mit viel Eigeninitiative wie in Bruchhausen wären diesbezüglich Aushängeschilder und Hoffnungszeichen. Prof. Dr. Barbara Welzel von der TU Dortmund forderte am Schluss der Diskussion, dass die Kirchen in Bezug auf ihre ländlichen Sakralbauten als wichtige kulturhistorische Landschaftsmarkierungen und christliche Zeugnisse im Dorfkontext eine große gesamtgesellschaftliche Verantwortung haben und sie dementsprechend diese Bauten erhalten und durch sinnvolle Umnutzungen pflegen müssen.