Kirchenaustritte – Ein Drittel in NRW noch katholisch
Andreas Sturm über seinen Kirchenaustritt
Nicht nur für ganz Deutschland, auch für die katholische Kirche in NRW ist es ein erneuter Negativrekord: Die Zahl der Kirchenaustritte ist so hoch wie noch nie. Im Vergleich besonders hohe Werte zeigen sich im krisengeschüttelten Erzbistum Köln.
Bonn (KNA). Auch die fünf katholischen Bistümer in Nordrhein-Westfalen verzeichnen erneut einen Höchststand bei den Kirchenaustritten. 143.408 Menschen kehrten ihnen im vergangenen Jahr den Rücken, wie die Deutsche Bischofskonferenz am Mittwoch in Bonn mitteilte. 2021 waren es 97.896 Katholikinnen und Katholiken, auch damals ein Rekordwert.
Während die Bistümer Aachen, Essen, Münster und Paderborn auf Austritte in der Größenordnung zwischen 1,9 und 2,1 Prozent kommen, sind es im krisengeschüttelten Köln 2,84 Prozent. Allein auf Köln, wo Kardinal Rainer Maria Woelki vor allem wegen seiner Missbrauchsaufarbeitung in der Kritik steht, entfielen rund 36 Prozent aller Austritte in NRW. Das mit rund 1,74 Millionen Mitgliedern größte deutsche Bistum verlor 51.345 Menschen durch Austritt. Münster, die mit 1,71 Millionen Mitgliedern etwas kleinere, zweitgrößte deutsche Diözese, kommt in seinem NRW-Teil auf 33.417 Austritte. Das sind 23 Prozent der landesweiten Austritte.
Kirchenaustritte im Erzbistum Paderborn
Das Erzbistum Paderborn mit nun 1,36 Millionen Mitgliedern verließen 26.911 Menschen. Das Bistum Aachen zählt 18.821 Austritte und nun rund 935.000 Mitglieder. Dem Bistum Essen kehrten 14.093 Menschen den Rücken; hier gehören nur noch rund 680.000 Menschen der katholischen Kirche an. Insgesamt sind in NRW rund 6,1 Millionen Menschen und damit ein Drittel der rund 18 Millionen Einwohner katholisch.
Auch bundesweit traten im vergangenen Jahr so viele Menschen aus der Kirche aus wie nie zuvor. Die Bischofskonferenz verzeichnete 522.821 Kirchenaustritte. 2021 waren es 359.338 Menschen. Insgesamt liegt die Mitgliederzahl nun bei rund 20,9 Millionen. Auch die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) verzeichnete zuletzt steigende Austrittszahlen. Nach EKD-Angaben vom März sank die Zahl der Mitglieder in den 20 Landeskirchen zum Jahreswechsel auf 19,15 Millionen.
Stellungnahme von MSGR. Thomas Dornseifer, Ständiger Vertreter
„Die derzeitige Vertrauenskrise der katholischen Kirche in Deutschland schreitet auch im Erzbistum Paderborn weiter voran – das belegen die erneut dramatisch gestiegenen Austrittszahlen rein quantitativ. Kirche ist von ihrem Wesenskern her Communio, eine Gemeinschaft, in der jede und jeder Getaufte mit seiner Taufberufung zählt. Deshalb ist es ein tiefer Schmerz, wenn jedes Jahr mehr Menschen der Kirche den Rücken kehren – aus den unterschiedlichsten Gründen.
Als einer dieser Gründe gilt absolut nachvollziehbar weiterhin die Missbrauchskrise. Ich bin überzeugt, dass wir in unserer Erzdiözese in Sachen Aufarbeitung konsequent unterwegs sind – seit dem letzten Jahr bestehen im Erzbistum ein Betroffenenbeirat und eine noch durch Erzbischof em. Hans-Josef Becker errichtete unabhängige Aufarbeitungskommission. Zudem wurde der Forschungszeitraum der kirchenhistorischen Missbrauchsstudie der Universität Paderborn in die Gegenwart ausgeweitet. Diesen Weg setzen wir fort.
Die hohen Austrittszahlen allein durch den Missbrauchsskandal zu erklären, würde jedoch die Gesamtperspektive verengen: Die Kirche als institutionell verfasste Gemeinschaft von gelebtem Glauben erfährt aktuell eine enorme Transformation, die sich im Relevanzverlust von Religion äußert und die mit vielen Um- und Abbrüchen im kirchlichen Leben einhergeht. Viele Menschen fühlen sich keiner Kirchengemeinde mehr verbunden, sondern nehmen kirchliche Angebote bedarfsorientiert oder auch gar nicht wahr.
Viele sehen im Angebot der Kirche keine Bedeutsamkeit, geschweige denn eine Hilfe oder einen Wert für ihr eigenes Leben – hier brauchen wir Angebote, die am Leben der Menschen orientiert sind. Ein Trend muss uns als kirchliche Gemeinschaft besonders wachrütteln: Menschen, die im Glauben fest verankert sind, entschließen sich zum Austritt aus der Kirche, weil sie keine Heimat mehr in der Kirche sehen. Allen Menschen, die über einen Austritt nachdenken oder bereits ausgetreten sind, bietet das Erzbistum seit vergangenem Jahr über eine eigene Projektstelle den Dialog an, um so als Kirche selbst zu lernen.
Die oben beschriebenen Prozesse können wir als Kirche nicht verhindern – aber wir können und müssen diese Transformation aktiv gestalten. Auf unserem Diözesanen Weg 2030+ der Bistumsentwicklung schauen wir mit einem ehrlichen Blick vor allem auf die Jahre nach 2030. Als Kirche im Erzbistum Paderborn wollen wir den Herausforderungen mutig und kreativ begegnen, gute Lösungen entwickeln und dadurch Zukunft gewinnen. Unsere künftige Pastoral muss an den Bedürfnissen der Menschen orientiert sein. Denn für die Menschen da zu sein, ist unser Auftrag.
Ich bin überzeugt: Wenn wir als Kirche glaubwürdig für unsere Überzeugung einstehen, haben wir zu jeder Zeit wertvolle Antworten auf komplexe Fragen der sich rasant wandelnden Gesellschaft anzubieten. Als Kirche mögen wir zwar unsere Rolle als großer gesellschaftlicher Player verlieren. Ich glaube jedoch an die darin liegende Chance: Menschen immer wieder neu zu überzeugen, kreative Wege und Formate zu finden, den Glauben zu leben und den Kern unseres Christ- und Kirche-Seins wieder neu zu entdecken: Jesus Christus und seine Frohe Botschaft. Wenn wir diesen Kern wieder authentisch leben, werden wir an neuer Überzeugungskraft gewinnen und – wie Jesus es den Aposteln als Auftrag gegeben hat – zu Menschenfischern werden.“
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