Klaus Töpfer: „Wir leben mit einer Wohlstandslüge“
Klaus Töpfer, Politiker und ehemaliger Exekutivdirektor des Umweltprogramms der Vereinten Nationen, am 10. November 2021 in Osnabrück.
Wer ihm zuhört, hat schnell das Gefühl, dass noch nicht Hopfen und Malz verloren ist. Dass es noch Auswege aus der Klimakrise gibt. Klaus Töpfer ist ein Öko-Pionier der CDU. Am 29. Juli wird der einstige Bundesumweltminister 85 Jahre alt.
Herr Professor Töpfer, haben Sie manchmal die Sorge, dass die Welt für kommende Generationen nicht mehr lebenswert sein könnte?
Klaus Töpfer: „Es gibt durchaus Gründe für düstere Prognosen – etwa, dass die Weltbevölkerung schon bald auf 9 Milliarden Menschen steigt und der Mensch immer tiefer in die Natur eingreift. Aber Sorgen helfen ja nicht, wenn sie lähmen. Menschen sind schon immer kreativ gewesen, wenn es darum geht, sich auf neue Verhältnisse einzustellen. Sie haben immer neue technische Möglichkeiten entwickelt und vor allem auch ihr Verhalten – leider auch sehr spät – verändert, um sich zu schützen und ihr Leben zu verbessern. Darauf vertraue ich.“
Sie denken vermutlich an den Kampf gegen das Ozonloch oder das Waldsterben?
Klaus Töpfer: „Das Waldsterben in den 1970er- und 1980er-Jahren haben wir gut in den Griff bekommen. Weil Wissenschaftler nachwiesen, dass Schwefelwasserstoff aus den Kraftwerken große Schäden an Wäldern verursachte, mussten Kraftwerke seit 1983 hocheffiziente Rauchgasentschwefelungsanlagen einbauen. Die Wälder haben sich wieder stabilisiert – und gleichzeitig wurde aus den Rauchgasentschwefelungsanlagen qualitativ hochwertiger Gips produziert. Ein Beispiel der Kreislaufwirtschaft.“
Die Frage ist, ob wir das bei der viel komplizierteren Klimakrise genau so hinbekommen – und vor allem schnell genug?
Klaus Töpfer: „Ich bin kein blauäugiger Optimist. Die Frage ist, ob wir diesen Problemen entsprechende Priorität beimessen und handeln. Der Unterschied zu der erfolgreichen Entschwefelung: Damals handelte es sich um ein regionales Problem – die Klimaproblematik ist letztlich nur global zu bewältigen.“
Wie sehen Sie vor diesem Hintergrund die Aktivitäten der Klimakleber, die durch umstrittene Aktionen Druck machen?
Klaus Töpfer: „Es gehört zur Freiheit in der Demokratie, seine Meinung auch durch Demonstrationen kundzutun. Doch das muss im Rahmen der Gesetze passieren. Das Parlament entscheidet, und wer eine andere Richtung will, muss das demokratisch organisieren. Sonst schadet das auch der Demokratie. Mit dem Festkleben auf Straßen und den Anschlägen auf Kunstwerke haben die Aktivisten sich und der Sache keinen Gefallen getan. Das hat nur zu Verhärtung und neuen Frontenbildungen geführt.“
Sie haben also auch kein Verständnis für das Argument, es gebe sozusagen ein Notwehrrecht der „letzten Generation“; sonst gehe diese Welt unter?
Klaus Töpfer: „Nicht zuletzt die acht Jahre, die ich das Umweltprogramm der Vereinten Nationen in Nairobi geleitet habe, haben meine Überzeugung gefestigt: Angst und Panik sind schlechte Ratgeber. Solch apokalyptisches Denken ist aus meiner Sicht eine Flucht aus der Verantwortung. Weltuntergangsstimmung lähmt die Menschen und verhindert, dass wir etwas verändern. Ich habe als Kind die Schrecken des Krieges erlebt und bin mit meinen Eltern aus Schlesien geflohen. Das war für uns damals ein Weltuntergang. Wir haben unser Leben aber neu in die Hand genommen und es geschafft, dass Deutschland wieder ein weltweit angesehenes Land ist.“
Können Sie dennoch nachvollziehen, wenn die jüngere Generation den Älteren vorwirft, diese kritische Umweltsituation herbeigeführt zu haben?
Klaus Töpfer: „Ich habe drei Kinder und vier Enkelkinder. Die fragen mich heute, was meine Generation getan hat, um die Schöpfung zu bewahren.“
Was sagen Sie ihnen?
Klaus Töpfer: „Dass wir die Kosten unseres Wohlstands verdrängt haben. Wir leben mit einer Wohlstandslüge. Ich mache mir den Vorwurf, dass wir in der Politik unseren Wachstumsglauben zu selten hinterfragt und viel zu häufig über Effizienz geredet haben, aber so gut wie nie über Suffizienz – also über die Frage, wo die Grenzen für Wachstum und Ressourcenverbrauch liegen und wo wir einsparen können und müssen, und zwar sehr schnell.“
Können Sie ein Beispiel nennen?
Klaus Töpfer: „Früher hätten alle gelacht, wenn jemand über Wassermangel in Deutschland geredet hätte. Mittlerweile gibt es auch in diesem Sommer wieder Regionen, die Notfallpläne wegen Wassermangels entwickeln müssen. Das hängt einerseits mit dem Klimawandel und der Trockenheit zusammen. Andererseits aber auch mit unserem immensen Verbrauch von kostbarem Trinkwasser: Wir füllen immer mehr Pools in den Gärten, lassen das gute Wasser durch die Toiletten rauschen. Die Naturkatastrophe erwächst auch aus der menschlichen Nutzung von Natur. Ich habe acht Jahre lang in Afrika gelebt und gearbeitet. Dort hat man viele Erfahrungen, wie man mit der knappen Ressource Wasser umgeht. Wir müssen von den Afrikanern lernen.“
In den letzten Monaten ist in Europa, aber auch in Deutschland und Ihrer Partei viel über eine Renaissance der Atomkraft diskutiert worden. Kann diese Technik die Klimakrise abwenden?
Klaus Töpfer: „Ich bin ein Anhänger des Philosophen Karl Popper. Er hat darauf gedrungen, dass unser Denken und Handeln immer wieder der Kritik unterzogen wird, fehlerfreundlich ist und sich immer korrigieren lässt. Die technischen Lösungen müssen kleinteilig und reparaturfähig sein. Und außerdem globalisierungsfähig. Diesen Anforderungen entspricht die Kernenergie nicht. Ein konkretes Beispiel: Der Atommüll müsste in stets kontrollierbaren und reparaturfähigen Lagerungen erfolgen, die damit auch offen bleiben für technologischen Fortschritt in der Behandlung dieser Abfallstoffe. Die notwendige Endlagerung von Atommüll über Hunderttausende Jahre ist etwas, was diesen Anforderungen nicht gerecht werden kann. In Afrika etwa ist diese Technik nicht angemessen; dort gibt es eine ganz andere Kultur und Herangehensweise an Technologie als bei uns. Die erneuerbaren Energien erfüllen diese Kriterien und bewirken Entwicklungsimpulse in Afrika.“
Sie haben sich immer wieder auch als Katholik engagiert. Gibt es einen Zusammenhang zwischen Ihrem Glauben und Ihrem Einsatz für Klima und Umwelt?
Ich spreche statt von Umwelt lieber von Schöpfung, von der wir Menschen ein Teil sind. Zu meiner Zeit war Umweltschutz ein dezidiert konservatives Thema, verbunden mit Begriffen wie Heimat, Identität und Glauben. Ich würde mir wünschen, dass die Kirchen noch stärker ein Bewusstsein für die Bewahrung der Schöpfung schaffen und für mehr Zusammenhalt sorgen. Wir müssen uns viel stärker fragen, welchen Raum wir Menschen anderswo auf dem Globus und künftigen Generationen lassen. Außerdem: Gelingendes Leben ist viel mehr als die Steigerung des Bruttosozialprodukts.
Zur Person
Klaus Töpfer (* 29. Juli 1938 in Waldenburg, Provinz Niederschlesien) war von 1998 bis 2006 Exekutivdirektor des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP) mit Sitz in Nairobi. Zuvor war er von 1987 bis 1994 Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit in der Regierung von Helmut Kohl.
Bis zum März 2020 war Töpfer ein vom Deutschen Bundestag und Bundesrat gewähltes Mitglied und zugleich einer der Vorsitzenden des Nationalen Begleitgremiums, das gemäß dem Standortauswahlgesetz in Deutschland die Suche nach einem Standort für Endlager für hochradioaktive Abfallstoffe begleitet. Seit seiner Rückkehr aus Nairobi lebt er wieder in Höxter, wo er nach dem 2. Weltkrieg aufgewachsen ist.
Mit Klaus Töpfer sprach Christoph Arens (kna)
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