Kraftquelle für das Dorf
Die Menschen aus Kleinenberg freuen sich über den neuen Treffpunkt in ihrer Stadt. Foto: Flüter
Lichtenau-Kleinenberg. Die Stadt Kleinenberg könnte als Musterbeispiel dafür dienen, dass die Provinz im Vergleich zur Stadt abgehängt wird. Weit entfernt von wirklich großen Städten scheinen die Perspektiven Kleinenbergs gegen Null zu schrumpfen. Wer hier wohnen will, muss zur Arbeit pendeln. Wer studiert, zieht weg. Dennoch hat Kleinenberg in den vergangenen Jahren wieder an Attraktivität gewonnen. Und das hat auch mit Menschen wie Petra Schumacher und Ewald Reichstein zu tun.
von Karl-Martin Flüter
Schon die Bezeichnung „Stadt“ für Kleinenberg scheint völlig in die Irre zu führen, obwohl die erste Erwähnung Kleinenbergs als „oppidum“ – Stadt – fast 800 Jahre zurückliegt. Erst in den letzten Jahrzehnten ist die Titularstadt ein wenig über die mittelalterlichen Grenzen hinausgewachsen. Doch die Bewohnerzahlen bleiben bescheiden.
Etwas mehr als 1 300 Menschen leben in dem Ort, nur unwesentlich mehr als vor 100 Jahren. 1919 zählte die Stadt 1 032 Einwohner. Selbst vor zweihundert Jahren, 1818, lebten in Kleinenberg schon 855 Menschen. Es hat sich wenig getan in der Kleinstadt. Selbst die Bundesstraße führt auf dem uralten Handelsweg in die kleine Stadt hinein und wieder hinaus, wie im Mittelalter. Ist Kleinenberg eine Provinzstadt im Dornröschenschlaf?
Ewald Reichstein sieht das anders. Er hat sein Leben in Kleinenberg verbracht, hat als Kind in der alten Eiche auf dem historischen Kirchhof gespielt, war Kicker in der ersten Mannschaft des SV DJK BW Kleinenberg, ist hier zur Schule gegangen und hat natürlich regelmäßig an der Kleinenberger Wallfahrt zur „Helferin vom kleinen Berge“ teilgenommen.
Reichstein ist seinem Heimatort tief verbunden, auch wenn er weiß, dass man etwas für Kleinenberg tun muss. Er findet zum Beispiel, dass der Marien-Wallfahrtsort mit seiner außergewöhnlich schönen Wallfahrtskirche unterbewertet ist. Vor zwei Jahren bot er zum ersten Mal während der Wallfahrten Pilgerabzeichen an. Danach wendete er sich zusammen mit seiner Frau Petra Schumacher einem neuen, weitaus größeren Vorhaben zu, das Ende vergangenen Jahres an den Start ging: das Pilgercafé.
Ein halbes Jahr später steht das Ehepaar auf der Terrasse ihres Cafés. Es ist ein Freitag, der Tag, den beide für die Arbeit an ihrem Projekt reserviert haben. Morgens um neun Uhr kommt der Eiermann, danach putzen, backen und kochen die beiden für die Gäste, die sie am Wochenende erwarten.
Das Pilgercafé ist durch und durch ihr Projekt. Petra Schumacher ist gelernte Architektin. Sie hat den Umbau des ehemaligen Stalls geplant und dabei darauf geachtet, Elemente der bäuerlichen Bauweise zu bewahren. Eine massive Mauer aus gelbem Sandstein, die früher Stall und Remise trennte, beherrscht jetzt die Innengestaltung. Tische, Stühle, Bänke könnten auch in einem modernen städtischen Café stehen, alles ist barrierefrei zu erreichen. In der Küche blinkt und blitzt eine große italienische Kaffeemaschine. Keine Frage, Petra Schumacher und Erwin Reichstein haben ein Stück urbane Kultur nach Kleinenberg geholt.
Kann das gut gehen in einem Ort, der gerade mal 1 300 Bürger hat? „Das ist schon ein Risiko“, gesteht Ewald Reichstein ein. Aber das Ehepaar hat sich dennoch darauf eingelassen, weil es etwas unternehmen und verändern will – für sich und für ihren Ort.
Ewald Reichstein und seine Frau hoffen auf Pilger, die nach Kleinenberg kommen, Fahrradfahrer und Wanderer, die auf einem der vielen Wanderwege im Naturpark Egge rund um Kleinenberg unterwegs sind. Im Ort selbst ist das neue Café auf viel Interesse gestoßen. Wenn zu „Großmutters Kaffeetafel“ ins Pilgercafé eingeladen wird, sind alle Plätze besetzt. In der vergangenen Woche haben sich zum ersten Mal trauernde Angehörige nach einer Beerdigung im Pilgercafé getroffen. Auch das ist ein Durchbruch.
Den ganzen Text mit mehr Infos und weiteren Bildern finden Sie im DOM Nr. 29 vom 17. Juli 2016