Kreuz und queer – Interview mit Rüdiger Althaus
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125 Mitarbeiter der katholischen Kirche haben sich öffentlich geoutet. Damit wollen sie auf die Diskriminierung hinweisen, der sie zum Teil ausgesetzt sind. Die Dom-Redaktion hat mit dem Kirchenrechtler Professor Rüdiger Althaus über das Thema Loyalitätsobliegenheiten in der Kirche gesprochen. Mit Prof. Rüdiger Althaus sprachen Patrick Kleibold und Martin Schmid.
Wenn es um das Thema Loyalitätsfragen geht, geht es immer um Einzelfallumstände? Ist damit nicht auch einer Entscheidungswillkür innerhalb der Kirche Tür und Tor geöffnet?
Rüdiger Althaus: „In der katholischen Kirche haben wir zuerst eine rechtliche Ordnung. Die Grundsache einer jeden Rechtsordnung ist es, dass allgemeine Vorschriften auf Einzelfälle angewandt werden müssen. Ich würde nicht unbesehen von Willkür sprechen. Es geht immer um eine Entscheidung in Anbetracht eines Einzelfalles. Dies kann subjektiv sowohl zum Positiven als auch zum Negativen ausschlagen. Wenn eine Entscheidung nicht nachvollzogen werden kann, rückt oftmals der Gedanke der Willkür in den Blick. Damit möchte ich nicht abstreiten, dass es mitunter Willkür gegeben hat oder vielleicht auch noch gibt.“
Geht es dabei um Recht oder eher um Moral?
Rüdiger Althaus: „Die Frage nach Loyalitätsobliegenheiten ist nicht allein eine Frage des kirchlichen Arbeitsrechtes, denn letztlich liegt dem die katholische Morallehre zu Grunde. Mit Blick auf die Sexualethik ist in den letzten gut 50 Jahren keine tiefer gehende Reflexion erfolgt. Das heißt, neue humanwissenschaftliche Erkenntnisse und daraus resultierende Fragestellungen zu homosexuellen und queeren Themen sind jahrelang nicht weiter reflektiert worden. Das bedeutet nicht, dass man jedem Zeitgeist nachläuft. Vielmehr ist von Bedeutung, dass man sich mit konkreten Herausforderungen auseinandersetzt, da neue Erkenntnisse durchaus Anfragen auch in einem guten Sinne an die kirchliche Lehre bedeuten.“
Ist das eine Diskussion, die nur in Deutschland oder auf Ebene der Weltkirche stattfindet?
Rüdiger Althaus: „Das ist nicht auf Deutschland isoliert zu betrachten. Ich gehe davon aus, dass in vielen Staaten Europas sowie in Nordamerika eine ähnliche Fragestellung – vielleicht mit einer anderen Akzentuierung – diskutiert wird. Doch auch wenn in der Moraltheologie nicht viel passiert ist, so wurde wenigstens die Grundordnung des kirchlichen Dienstes fortgeschrieben. Ursprünglich gab es striktere Loyalitätsanforderungen an jeden Arbeitnehmer, was 2015 personell erheblich beschränkt wurde. Es war auch lange Zeit üblich, wiederverheiratete Geschiedene grundsätzlich zu kündigen, was heute zumeist auf das pastorale Personal beschränkt ist. Die Praxis in den einzelnen Diözesen mag diesbezüglich divergieren.“
Was sind eindeutige Kündigungsgründe?
Rüdiger Althaus: „Die Loyalität ist bei einem Kirchenaustritt überschritten. Bei anderen Gründen sollte man weiter reflektieren und diskutieren. Aber bevor eine Kündigung in Betracht gezogen wird, sollte immer das persönliche Gespräch gesucht werden. – Übrigens hat die Deutsche Bischofskonferenz 2015 einen älteren Beschluss aufgehoben, dass das Eingehen einer gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaft automatisch ein Verstoß gegen die Loyalitätsobliegenheiten sei.“
Es hat den Anschein, dass Laien wegen eines Loyalitätsverstoßes einfach entlassen werden können. Bei Priestern scheint das anders zu sein.
Rüdiger Althaus: „Wir haben bei den Klerikern ein besonderes dienstrechtliches Verhältnis, das dem staatlichen Beamtenrecht angeglichen ist. Das bedeutet aber nicht, dass Loyalitätsverstöße von Klerikern bedeutungslos wären. Für einen Kleriker kommt in Betracht, dass er sein Kirchenamt verliert und auch finanzielle Einbußen hinnehmen muss. Davon zu unterscheiden ist jedoch die Entlassung aus dem Dienstverhältnis, das heißt aus dem Klerikerstand an sich. Das ist nur in besonders schwerwiegenden Fällen möglich.“
Wo liegt das Problem mit homosexuellen Priestern? Da sie sich ebenso wie heterosexuelle Priester dazu verpflichten, zölibatär zu leben, dürfte die sexuelle Grundausrichtung doch keine Rolle spielen.
Rüdiger Althaus: „Beim Zölibat und bei der Keuschheit geht es im Grunde um einen geordneten Umgang mit der eigenen Sexualität, unabhängig von der geschlechtlichen Orientierung. Man kann nicht sagen, es kommt für einen Priester eine heterosexuelle Beziehung in Betracht, eine homosexuelle nicht. Beides muss aufgrund der Verpflichtung zur Enthaltsamkeit als ausgelebte Lebensform ausscheiden.“
Welche Möglichkeiten hat ein Bischof? Kann er entscheiden, ob eine Person weiterhin eingesetzt wird, auch wenn Loyalitätsverstöße offenkundig sind?
Rüdiger Althaus: „Was die Anstellung und Weiterbeschäftigung betrifft, haben in dieser Woche eine ganze Reihe von Generalvikaren gesagt, die sexuelle Orientierung eines Mitarbeitenden sei für sie unerheblich. Das dürfte verbreitete Auffassung sein, ob in allen Diözesen, das vermag ich jedoch nicht zu sagen. Wenn solche medialen Äußerungen der Generalvikare kommen, dann dürfte ein sexuelles Fehlverhalten kein tragfähiger Kündigungsgrund mehr sein. Aber natürlich sind bei den Mitarbeitenden aufgrund der Erfahrungen in der Vergangenheit immer noch sehr viele Ängste da. Wünschenswert wäre eine einheitliche Linie in allen deutschen Diözesen.“
Die Fernsehsendung hat offengelegt, dass sehr viele Menschen in der Kirche Angst haben. Würden Sie sich eine Überarbeitung der Loyalitätsobliegenheiten innerhalb des kirchlichen Arbeitsrechtes wünschen?
Rüdiger Althaus: „Bei jeder Rechtsordnung ist es nach einer gewissen Zeit erforderlich, sie sich einmal genauer anzuschauen, und zwar nüchtern, sachlich und abstrahierend vom mitunter emotionalen Einzelfall. Recht hat keinen Selbstzweck, sondern dient dazu, geordnete Verhältnisse zu schaffen. Dazu gehört, dass man sich auch aktuelle Fragestellungen anschaut, die sich in den letzten Jahren angesammelt haben. Wir müssen die Fragen stellen, inwieweit wird eine bestehende Rechtsgrundlage neuen Phänomenen, aktuellen Anforderungen und vor allem auch den Menschen gerecht? Müssen wir „nachschärfen“ oder auch „liberalisieren“? Und wir müssen stets fragen, ob das, was wir rechtlich vorgesehen haben, der Sendung unserer Kirche entspricht.“