Libori – „Ein Impuls der Hoffnung“
Über 200 Kilogramm haben die Schreinträger zu tragen. (Fotos: Patrick Kleibold)
Es ist ja zu Libori nicht gerade so, dass man keinen Bischof zu sehen bekäme, im Gegenteil. Rund um den Dom herrscht eine erhöhte Bischofsdichte, und doch fällt in diesem Jahr diese eine Lücke besonders auf. Einer fehlt: der Erzbischof von Paderborn. Es gibt gerade keinen.
Erzbistum. Libori ohne einen amtierenden Erzbischof, das gab es zuletzt 2002. Kardinal Degenhardt war wenige Tage vor der Eröffnung gestorben und so leitete der damals einzige im Amt befindliche Weihbischof die Feierlichkeiten: Hans-Josef Becker.
In diesem Jahr nun übernahmen zwei Priester die Leitung der beiden wichtigsten Gottesdienste: Die Vesper zur Erhebung der Reliquien leitete Diözesanadministrator Michael Bredeck. Dem Pontifikalamt am Sonntagmorgen stand der neue Bischof von Le Mans, Jean-Pierre Vuillemin, vor. Für ihn eine Libori-Premiere, und für Libori selbst dürfte es auch eine Premiere gewesen sein. Denn dass der Nachfolger des heiligen Liborius diesen Gottesdienst mit der Gemeinde feierte, hat es wohl lange nicht, womöglich noch nie gegeben.
Das Schöne an Libori
Ansonsten war vieles wie immer, was ja gerade das Schöne an Libori ist. Und in diesem Jahr ist es auch eine Art Neuigkeit. Zwei Jahre Pandemie, im vergangenen Jahr ein vorsichtiges „Geht es schon wieder?“-Fest, in diesem Jahr nun also tatsächlich alles wie immer, jedenfalls war diese vertraute Libori-Gefühl wieder da.
Am Samstag, schon deutlich vor Beginn der Vesper, ist der Dom rappelvoll. Eine Viertelstunde bevor es losgeht, versucht Domvikar Matthias Klauke, die Leute einzustimmen, die sich aber nicht so richtig einstimmen lassen wollen. Tapfer redet Klauke gegen ein gewaltiges Brummen an, zu dem sich das Gemurmel im Hohen Dom vereint. Nach dem, was man selbst halbwegs verstanden hat, erzählt er die Geschichte des heiligen Liborius, informiert darüber, wie in den kommenden Tagen gefeiert wird, und irgendwie fällt auch das Wort Krypta. Von der neugestalteten Domkrypta wird noch beim Libori-Empfang die Rede sein. Sie ist, um ein viel zitiertes Wort des Dompropstes zu nutzen, die Herzkammer des Erzbistums. Warum, wird zu Libori besonders sichtbar. Doch dazu später.
Zu Beginn der Vesper begrüßt Michael Bredeck als Diözesanadministrator zunächst die anwesenden Gläubigen. Er tut es mit den Worten des emeritierten Erzbischofs Hans-Josef Becker: „Nehmen Sie Platz, sofern es Ihnen möglich ist.“ Der Emeritus ist übrigens auch da, für ihn sei das ein ganz entspanntes Libori-Fest, sagt er nach dem Pontifikalamt, das er in vollen Zügen genieße. „Klar“, schiebt er noch schnell hinterher, „Libori war immer schön, aber …“ Na, man ahnt, was er meint.
„Pax vobis! – Der Friede sei mit Euch!“
Namentlich begrüßt Bredeck neben dem neuen Bischof von Le Mans zwei Bischöfe, die aus der Ukraine angereist sind: Bischof Stanislav Shyrokoradiuk aus Odessa und Bischof Pavlo Gonczaruk aus Charkiw-Saporischschja. Die anwesende Gemeinde spendet beiden langanhaltenden Applaus. Vor dem Hintergrund ihrer aktuellen Lebenssituation war das diesjährige Motto für das kirchliche Liborifest ausgewählt worden: „Pax vobis! – Der Friede sei mit Euch!“
Es ist der Gruß des Auferstandenen an seine Jüngerinnen und Jünger. „Der Auferstandene zeigt seine Wundmale, das Leben kann grausam und friedlos sein“, sagt Bredeck, „aber es gibt immer ein Dennoch – im Leben, in der Welt, in der Kirche.“ Er wünsche sich, dass das Liborifest ein Impuls der Hoffnung für die ukrainischen Gäste sein könne. „Wir beten jedenfalls für euch und fühlen uns euch ganz stark verbunden“, so Bredeck unter dem Applaus der Gläubigen. Mit den alten Worten „Procedamus in pacem“ startet er die Prozession. Aus dem Hochchor macht sich unter den Klängen der Orgel, die an dieser Stelle wirklich das Zeug hat, einen in Trance zu spielen, eine schier endlose Schar von Diakonen, Priestern, Bischöfen, Grabesrittern und Ministranten auf den Weg in die Krypta, also in die Herzkammer, um die Gebeine des heiligen Liborius zu erheben. Erst seit einer Woche sind die wieder an ihrem angestammten Platz.
Hoffentlich geht das gut!
Kurz vor Beginn der Vesper hatte Domkapitular Thomas Dornseifer sie in seiner Eigenschaft als Präses der Libori-Schreinträgerschaft aus dem Altar geholt und in den goldenen Schrein gestellt. Rund 200 Kilogramm wiegt der, getragen wird er von acht Männern. Die Prozession zieht aus der Krypta durch den Dom, vorbei an den Schützen, die salutieren, und erklimmt schließlich die Treppe hinter dem Altar hoch zum Chor. Es ist dieser Moment, in dem viele die Luft anhalten, im Sinne von „Hoffentlich geht das gut!“. Aber es ist jedes Mal gut gegangen, auch in diesem Jahr, sie wuchten den Schrein auf den Libori-Festaltar, richten den Pfauenwedel dahinter auf, noch einmal erklingt der Tusch und wieder brandet Applaus im Dom auf.
Eine Szene, die man im Grunde kaum wirklich fotografieren kann, sondern die man eigentlich in Öl malen müsste. Ein Schauspiel jedenfalls, wie es katholischer im besten Sinne des Wortes kaum sein könnte. Für manch einen hat Libori jetzt begonnen, Zeit also, den Dom zu verlassen. Drinnen folgt das Psalmengebet, ziemlich traditionell auf Latein und das ist für nachkonziliare Anwesende durchaus eine Herausforderung. Aber man kann gut beten und singen lassen, denn getragen wird die Liturgie von Menschen, die das beherrschen, und deren Gesang kann man die eigenen Anliegen getrost mitgeben.
Weltliche Eröffnung
Nach der liturgischen Eröffnung eilen zumindest die offiziellen Gäste zum Rathaus, wo Bürgermeister Michael Dreier das Fest auch weltlich eröffnet. Drei Böllerschüsse künden in die Ferne davon, wobei die Fahrgeschäfte auf der Kirmes und die Buden auf dem Pottmarkt längst ihr Geschäft machen.
Dass Libori ein kirchliches und ein weltliches Fest ist, dass hier Erzbistum und Stadt feiern, wird auch am Libori-Sonntag deutlich, als der Schrein nach dem Pontifikalamt in einer Prozession durch die Innenstadt zum Rathaus getragen und dort der Segen über die Stadt und ihre Bewohner gesprochen wird, in diesem Jahr von Weihbischof Dominicus Meyer.
Das Pontifikalamt leitet wie erwähnt der neue Bischof von Le Mans. Seit Mai ist Jean-Pierre Vuillemin im Amt, ein zurückhaltender Mann von eher kleiner Statur, den man in seiner khakifarbenen Jeans kaum als Bischof erkennen würde, wenn man es nicht wüsste. Im Altarraum sitzt er neben Bredeck und nicht auf dem bischöflichen Stuhl. Denn der ist vakant und so wird während der Libori-Woche kein Bischof dort Platz nehmen – anders als sonst. Die Predigt hält Diözesanadministrator Bredeck. Er geht noch einmal auf das Liborimotto „Pax vobis“ ein. Dieser Gruß Jesu sei vor 2.000 Jahren und „leider auch heute in eine unfriedliche Welt hineingesprochen“, so Bredeck.
Aus christlichem Geist heraus
„Die Welt, in der wir leben, die Gesellschaft in Deutschland und auch unsere Kirche ist an vielen Stellen nicht von Frieden erfüllt, sondern von Unfrieden, von schweren Auseinandersetzungen, von den Folgen physischer und psychischer Gewalt.“ Die beiden anwesenden Bischöfe aus der Ukraine könnten für ihr Land schmerzlich bezeugen: „Wenn erst einmal Krieg da ist, lässt er sich nicht einfach beenden. Und am Ende gibt es nur Verlierer.“ Weil Kriege und Unfrieden immer im Denken und Sprechen, in Hetze und Hass beginnen, dankt Bredeck ausdrücklich denen, „die sich oft gegen starke Widerstände oder Verdächtigungen engagieren, ganz oft aus christlichem Geist heraus.“
„Zum Frieden gehört auch eine Art von Verletzlichkeit“
Der Diözesanadministrator erinnert daran, dass das hebräische Wort für Frieden Shalom sei, das wiederum mehr bedeute als das deutsche Wort Frieden. Shalom meine einen Zustand des Heils, in dem es Mensch und Natur gut geht, in dem Sicherheit und Ordnung herrschen und Schwache Unterstützung finden. Danach sehnten sich viele Menschen unserer Zeit, ihnen und somit jedem persönlich gelte der Gruß Jesu „Pax vobis“. Doch zum Frieden gehöre auch die Bereitschaft, dem anderen zuzuhören und zu versuchen, seinen Standpunkt zu verstehen. „Zum Frieden gehört auch eine Art von Verletzlichkeit, ein ,Für-den-anderen-da-sein-Wollen‘“, so Bredeck. In diesem Sinne hoffe er, dass das Libori-Motto ein Impuls sein könne, sich selbst zu fragen: „Was kann mein Beitrag zum Pax vobis konkret sein?“
Und nun noch einmal zur Krypta, die wegen der modernen Liboriusfigur und wegen der Hinweistafel an der Grablege seit ihrer Wiedereröffnung für reichlich Diskussionen sorgt. Im Anschluss an das Pontifikalamt lädt das Erzbistum traditionell seine auswärtigen Gäste zu einem Empfang ein. Zu denen gehören in diesem Jahr viele, die an der Neugestaltung der Krypta mitgewirkt haben. In seiner kurzen Ansprache sagt Michael Bredeck, die Neueröffnung dieses historischen Raumes sei für ihn ein Zeichen für Zukunftshoffnung, die man aus dem Alten schöpfen könne: „Die Krypta birgt die Reliquien unseres Bistumspatrons. Sie stehen für den fast 1 200-jährigen Liebesbund zwischen Le Mans und Paderborn.“ Dieser Bund sei nicht nur einfach historisch, sondern weise immer auch in die Zukunft.
Umgestaltung der Krypta
Bei der Umgestaltung der Krypta sei nun mit Respekt vor dem Alten eine Transformation zum Neuen gelungen, nicht einfach modern, sondern würdevoll. „Ich glaube, dass wir als Kirche davon auch für unsere künftigen Herausforderungen viel lernen können.“ Auch aus Fehlern sollte man lernen, so Bredeck, daher habe man die Tafel an der Bischofsgruft angebracht (siehe auch S. 23). Die Diskussionen und Kommentierungen finde er nicht immer sehr erleuchtet, aber manche Rückmeldungen hätten ihn durchaus nachdenklich gemacht. Der Missbrauch werde Teil der Geschichte bleiben, es gelte, eine Gedenkkultur zu entwickeln, „da stehen wir noch ganz am Anfang.“
Das letzte Wort im offiziellen Teil hat schließlich der neue Bischof von Le Mans. In seiner kurzen Amtszeit als Bischof von Le Mans habe er aus Paderborn schon sehr viele Zeichen der Freundschaft erfahren, sagte er. Er freue sich, dass diese Freundschaft auch schwierige Zeiten überstanden habe. Sie wurzele im heiligen Liborius: „Heiligkeit ist ein Weg zur Geschwisterlichkeit.“ Abschließend verspricht er: „Ich bete mit Ihnen für einen guten Erzbischof.“
Der ist noch nicht in Sicht, denn wie man hört, war bis Sonntagmittag noch kein Brief aus Rom in Paderborn angekommen. Zwischen Ostern und Libori, so hatte Michael Bredeck nach seiner Wahl zum Diözesanadministrator gesagt, wenn jemand fragte, wann es denn wohl einen neuen Bischof gebe. Ostern ist vorbei, Libori de facto auch. Vielleicht also wird es zu Kleinlibori was. Aber bitte – auch das ist reine Spekulation.
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