Lieb oder allmächtig?
Gottvater im Familienepitaph des Alhard von Brencken in Brenken, um 1571. Foto: Ansgar Hoffmann
Das Lenchen, die hochbegabte Tochter Martin Luthers, ist 13, als sie stirbt. Schon zum zweiten Mal müssen Luther und seine Frau ein Kind zu Grabe tragen. Das zerreißt auch einen wie ihn.
von Claudia Auffenberg
Der Theologe Luther hält daran fest, Gott zu danken dafür, dass das Lenchen nun bei ihm ist, dass sie im Reich Gottes wiedergeboren ist, aber der Vater Luther ist voller Trauer und unfähig zu danken. Drei Tage nach ihrem Tod bittet er in einem Brief seinen Freund Justus Jonas: „Sage du Gott an unserer statt Dank!“
Es ist diese alte und immer wieder aufkommende Frage, ob Gott nun lieb oder allmächtig ist. Beides zusammen kann doch irgendwie nicht sein, oder? Auf christlicher Seite gibt es inzwischen Tendenzen, sich vom allmächtigen Gott zu verabschieden. Aber wollen wir das wirklich? „Abschied vom allmächtigen Gott?“ war dieser Tage das Thema einer Podiumsdiskussion, zu der der Paderborner Theologieprofessor Klaus von Stosch eingeladen hatte. Er leitet an der Paderborner Uni das Zentrum für komparative Kulturwissenschaften (ZEKK), dort lehren und studieren christliche, muslimische und jüdische Theologinnen und Theologen. Zwei Muslime saßen mit auf dem Podium, darunter Hamideh Mohagheghi von der Uni Paderborn. Sie sagte, der Begriff „allmächtig“ sei ein christlicher, ein westlicher Begriff, im Arabischen verstehe man es eher so, dass Gott mit seiner Kraft alles umfasse. „Gott hat auch die Gesetzmäßigkeiten geschaffen“, sagte sie, „und er bewegt sich selbst darin.“ Dass Gott Leid zulasse, bedeute nicht, dass Gott das wolle. Wenn Luther ihr geschrieben hätte, würde sie ihm antworten, er müsse Gott nicht danken, aber einen Weg finden, damit fertig zu werden. Diese Haltung nennen Muslime Hingabe – und übrigens nicht Unterwerfung. Das Leben ist eine Herausforderung, die man aber in der Umfangenheit eines barmherzigen Gottes bestehen könne.
Die Rostocker Professorin Gesche Linde, die die Diskussion mit der Episode aus Luthers Leben eröffnet hatte, wehrte sich dagegen, den Leiderfahrungen allzu schnell einen Sinn zu geben, etwa nach dem Motto: Gott prüft. Dies gehe, wenn überhaupt, nur in der 1. Person Singular. „Ich kann für mich eine Erfahrung so deuten und vielleicht noch einem anderen anbieten, aber mehr nicht.“ Es sei unverzichtbar, an den liebenden Gott zu glauben, sagte sie, und doch wolle sie auch am allmächtigen Gott festhalten. Auch Luther schiebe keinen der beiden Aspekte zur Seite. „Gott kommt uns nicht immer freundlich entgegen, das müssen wir aushalten.“ Wenngleich sie bekannte: Die Allmacht Gottes stelle die Liebe Gottes infrage: „Ich habe keine allgemeingültige theologische Antwort.“ Immerhin hat die Theologie einen Begriff für dieses Rätsel: Deus absconditus, der verborgene Gott. Mit dem haben sich schon die biblischen Propheten herumgeschlagen und Geschichten, die im Alten Bund vielleicht tröstend oder ermutigend sein sollten, befremden uns heute, weil immer „massenhaft Tote auf der Bühne“ liegen, so Linde. Die Ägypter nach der Rettung der Israeliten am Schilfmeer etwa oder Hiobs Kinder. Was ist mit ihnen?
Es gibt keine Antwort, das war am Ende der Diskussion klar. Vielleicht ist es gut so, sonst wäre man womöglich allzu schnell fertig mit Gott. Aber vielleicht ist auch dieser Gedanke nur der Versuch, die Sache irgendwie glattzubügeln und Gott in Schutz zu nehmen. Vor wem? Vor den eigenen Zweifeln.