08.03.2018

Liebt Gott diese Welt?

Kriegsgräber – Wo war, wo ist Gott? Foto: Rudolpho Duba

Der Blick auf das Kreuz Jesu hilft uns, an die Liebe Gottes angesichts des Leids in der Welt zu glauben.

von Wolfgang Dembski

„Wie kann Gott das zulassen?“ Wie oft habe ich diese Frage schon gehört! Oder: „Wenn ich Bilder von den Kindern in Syrien sehe, die in den Trümmern ihre Eltern suchen, oder die Flüchtlinge in den überfüllten Booten, dann frage ich mich: Warum lässt Gott so viele Menschen leiden?“ Oder auch die Fragen eines Vaters: „Warum musste unsere kleine Tochter sterben? Wie soll ich da noch an Gott glauben können?“

Gespräche über solche Fragen fallen mir schwer. Wenn es um andere schwierige theologische Themen geht, z. B. die Unfehlbarkeit des Papstes oder die Jungfrauengeburt Jesu, kann ich Argumente vorbringen, die vielleicht über­zeugen. Aber wenn ich im Evangelium lese, dass Gott „die Welt so sehr geliebt“ hat, dann frage auch ich mich, was das für eine Liebe ist, die uns Menschen so viel Leid zumutet. Vielleicht war das auch eine der Fragen des Nikodemus. Ob er in dem, was ihm da gesagt wird, eine Antwort findet? Ich will das für mich versuchen.

Also schaue ich auf den, der „erhöht“ worden ist, auf Jesus am Kreuz. Und ich sehe einen blutenden Menschen, der unter Qualen mit dem Tode ringt. Und da ist sie wieder, die Frage: „Warum lässt Gott das zu?“ Jeder Vater würde seinen Sohn schützen und vor dem Tod retten. Aber Gott lässt es zu, dass sein geliebter Sohn unschuldig hingerichtet wird. Was ist das für eine Liebe?

Je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr wird mir bewusst, dass ich meine menschliche Vorstellung von Liebe als Maßstab anlege. Könnte es denn nicht sein, dass die Art, wie Gott die Welt liebt, eine andere Liebe ist als unsere? Menschliche Liebe ist immer begrenzt. Sie enthält meistens eine Menge Egoismus, stellt Bedingungen und hält bei Belastungen oft nicht durch: „Ich liebe dich nur, wenn du für mich liebenswert bist. Wenn du mir nicht das gibst, was ich haben will, ist es mit meiner Liebe vorbei.“ Bei Gott ist das anders. Seine Liebe ist ohne Eigennutz, gilt jedem Geschöpf und ist unerschütterlich. Vor allem aber ist es eine Liebe, die Freiheit schenkt, denn Liebe ohne Freiheit ist keine wirkliche Liebe. Also haben Menschen die Freiheit, das Gute zu tun, aber auch das Böse, die Schöpfung zu bewahren oder sie zu zerstören, die Liebe Gottes zu erwidern oder sie abzulehnen, ja und damit auch die Freiheit, seinen Sohn zu verspotten und zu töten.

Solche Gedanken helfen mir. Sie zeigen mir, dass wir keine Schachfiguren sind, die Gott hin und her schiebt. Sie zeigen mir, wie sehr Gott uns wertschätzt und mit welcher Würde wir ausgezeichnet sind. Aber werde ich auch an diese Liebe Gottes zu seiner Welt glauben können, wenn es mir schlecht geht, wenn ich die Last meiner Leiden nicht mehr tragen kann? Ich hoffe, dass mir dann wieder der Blick auf den am Kreuz erhöhten Got­tessohn hilft. Jesus ist vor dem Leiden nicht davongelaufen. Er hat die Boshaftigkeit der Menschen ertragen, sein Todesurteil hingenommen und schließlich auch den Tod. Er hatte in seinem Leid die Freiheit, sich von seinem Vater, von dem er sich verlassen fühlte, abzuwenden. Aber er blieb ihm treu. So groß sein Schmerz auch war, Jesus hat nicht aufgehört, an die unbegrenzte Liebe Gottes zu glauben; eine Liebe, die machtvoll ist und stärker als der Tod. Auch wenn andere den Kopf schütteln und sagen: „Wo ist denn jetzt dein Gott, der dich retten könnte?“, bleibt er beharrlich bei der Entscheidung: Gottes Liebe wird mich retten! – Und er ist gerettet worden.

Ich hoffe, dass ich auch gerettet werde. Ich habe die Freiheit, Gott anzuklagen, ihm Vorwürfe zu machen, auf ihn zornig zu sein und mich von ihm abzuwenden. Ich habe aber auch die Freiheit, trotz aller Zweifel in der tiefsten Fin-
sternis an das Licht seiner Liebe zu glauben und mit diesem Glauben seine Liebe zu erwidern.

Zum Autor:

Pfarrer i. R. Wolfgang Dembski war zuletzt Pfarrer in Dortmund-­Brünninghausen.

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