Lied der Hoffnung
Ein Zilzalp. Foto: pixabay
Jetzt im September hört man gelegentlich noch den einen oder anderen Vogel singen, z. B. den kleinen Zilpzalp. Warum tut er das noch? Die Brutzeit ist vorbei. Manche sagen, es habe mit den Lichtverhältnissen im September zu tun, die dem des März ähnlich seien. Deswegen singe der Zilpzalp in der irrigen Annahme, es sei Frühling.
von Claudia Auffenberg
Nun, das mag sein. Aber viel schöner ist doch die Vorstellung, dass der Zilpzalp nicht aus Versehen, sondern in voller Absicht im September noch mal singt, weil er nämlich tief unter seinem Gefieder fühlt, dass nach dem unmittelbar bevorstehenden Winter ganz sicher der Frühling wieder kommt. Er gehört zu den Zugvögeln und da darf man, nein, da will man einfach mal diesen herbstlichen Gesang als eine Art „Bis bald!“ verstehen.
Das ist natürlich ziemlich menschlich gedacht. Wer weiß schon, ob Vögel oder die Tiere insgesamt eine Hoffnung hegen können, die sich nicht nur auf das Leckerli in Herrchens Jackentasche richtet. Aber der Mensch kann es. Letztlich leben wir doch alle von der Hoffnung. Allerdings nicht von diesem billigen „Alles wird gut!“, mit dem einem die Dauergutgelaunten schon morgens auf die Palme bringen können. Es geht auch nicht um das achtlos dahingetätschelte „Wird schon wieder!“, was Mut machen soll, aber eigentlich nur Desinteresse signalisiert.
Die Hoffnung der Christen ist größer, viel größer. In uns und wahrscheinlich in allen Menschen keimt diese Sehnsucht nach dem Guten, dem Großen, nach Geborgenheit und Erlösung, und dieser Sehnsucht antwortet der biblische Gott mit der Verheißung einer absoluten Zukunft – einer Zukunft, die weit über das eigene kleine Leben hinausragt. Von dieser Verheißung, so könnte man es deuten, kündet der Zilpzalp, wenn er im September noch mal singt. Sogar, wenn er es wirklich nur aus Versehen tut.