Mein Freund, der Baum
Foto: Auffenberg
Zu den guten Nachrichten nach dem Brand von Notre-Dame gehörte, dass nahezu alle Kunstschätze gerettet werden konnten. So wurde man daran erinnert, dass es mal eine Zeit gab, in der Kunst und Kirche wirkliche Partner waren, ja, es gab sogar zu einer bestimmten Phase des Mittelalters gar keine andere Kunst als die in der Kirche.
von Claudia Auffenberg
Doch irgendwann kam das große Schweigen. Die Kirche kopierte die gute alte Zeit, baute und gestaltete im Neobarock oder in der Neogotik, für Künstler nicht gerade reizvoll. Kunst ist eben nicht Dekoration, jedenfalls nicht in erster Linie. Erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde der Dialog wieder aufgenommen, waren Kunst und Kirche bereit oder willens, einander zuzuhören. Dies hat sich auch der Paderborner Fundamentaltheologe Prof. Josef Meyer zu Schlochtern auf die Fahnen geschrieben und initiiert immer mal wieder Ausstellungen in dem altehrwürdigen Gebäude der Theologischen Fakultät. Er hat den Beckumer Künstler Ulrich Möckel eingeladen, seine Werke zu zeigen und der hat – wie vor ihm schon viele andere – gern angenommen. Denn das Katholische in diesen Räumen macht etwas mit den Werken, verändert den Blick auf das Werk und verändert auch den Raum, ein Dialog eben. Ein Beispiel ist das Objekt auf dem Foto rechts, das in einer Seitenkapelle der ehemaligen Jesuitenkirche hängt. In einer Kirche (und in einer Kirchenzeitung) erkennt der Betrachter natürlich sofort ein Kreuz. Aber es ist eigentlich kein Kreuz. Es ist der Bronzeabguss eines kleinen Astes. Wenn dies in einem Gartenmarkt hinge, würde man es anders sehen. Rund 30 Objekte hat Möckel für die Ausstellung ausgesucht, die meisten zeigen Umrisse von Bäumen, von echten Bäumen. Abgenommen hat er sie an der Stelle des Baumes, wo dieser vom Dunkel ins Licht kommt, also knapp oberhalb der Grasnarbe. Die Umrisse sind so individuell wie ein menschlicher Fingerabdruck. Das Thema Baum fasziniere ihn seit 30 Jahren, sagt der Künstler, und fast möchte man fragen: Wen nicht? Wer ist nicht fasziniert vom Baum? Schon Adam und Eva waren es derart, dass es sie und damit uns das Paradies gekostet hat. Ist es das, die Sehnsucht nach dem Verlorenen, das uns zum Baum treibt? Dieser Sehnsucht darf man trauen. Adam und Eva mussten das Paradies verlassen, damit sie nicht auch an den Baum des Lebens gehen. In den letzten Versen der Bibel wird den Menschen die Teilhabe an diesem Baum verheißen. Irgendwann werden wir wieder eintreten dürfen in das Paradies. Bis dahin lohnt ein Blick auf die Werke von Ulrich Möckel. Der Baum trägt das ganze Leben in sich, sagt er und meint nicht nur das Leben des Baumes, sondern auch das der Menschen. Denn: „Man kann sich druntersetzen, ihn in den Arm nehmen, der Baum wächst und stirbt.“ Früher wurde unter Bäumen gesungen oder Gericht gehalten, heute lassen sich manche dort beerdigen, vielleicht in der Hoffnung, dass sie so ein Teil von ihm werden. Dabei sind sie doch schon jetzt mit ihm verbunden. Möckel jedenfalls versteht sich als ein Teil der Natur, wie auch den Baum. Das klingt selbstverständlich, aber der Mensch hat sich nicht immer so gesehen. Manche tun es bis heute nicht, das ist das Problem.
Die Ausstellung „Von Brunnen und Bäumen“ ist noch bis zum 12. Juli rund um die Fakultät zu sehen.