Meine Güte …! – Ein Editorial von Claudia Auffenberg

Die Statue von Kardinal Franz Hengsbach, emeritierter Bischof von Essen, ein Werk der Künstlerin Silke Rehberg, wird aufgrund von Missbrauchsvorwürfen abgebaut, am 25. September 2023 auf dem Domplatz in Essen. (Foto: KNA)

„Wohin soll ich mich wenden, wenn Schmerz und Gram mich drücken?“, heißt es in einem Lied der Schubert-­Messe. Seit Dienstag vergangener Woche möchte man dieses Lied, zumindest diesen ersten Vers, lauthals anstimmen. Die Meldungen zu Kardinal Hengsbach haben Schockwellen ausgelöst, in Paderborn und noch mehr in Essen. Und man weiß ja wirklich nicht, was einen mehr schmerzt und grämt: die Meldung an sich oder wie noch 2010 und 2011 mit entsprechenden Vorwürfen umgegangen worden ist oder wie heute kommuniziert wird? Die Bistümer Paderborn und Essen verschickten am Dienstag vergangener Woche Presseerklärungen zur Causa, die auf den ersten Blick transparent und angemessen zerknirscht klingen, doch bei jeder weiteren Lektüre tun sich Fragen auf, auf die es keine Antworten gibt. Die, die etwas wissen, erinnern sich nicht so richtig oder haben spürbar mit sich selbst zu tun. Jedenfalls gibt es in Paderborn niemanden, der öffentlich Verantwortung übernimmt und in Essen braucht der Bischof, nachdem er die Erklärung verschickt hat, drei weitere Tage, um sich bei den Gemeinden für eigene Versäumnisse zu entschuldigen. 

Claudia Auffenberg: „Das ist auch im Jahr 5 nach der MHG-­Studie erschütternd.“

Zu all diesem Drama schmerzen noch die Reaktionen aus dem eigenen Umfeld, die von Erstaunen über Mitleid bis Häme reichen: „Wie jetzt – hast du echt immer noch gedacht …?“ Ja, bitte, man hat! Man hat sich bestimmte Dinge nicht vorstellen können, vielleicht nicht vorstellen wollen. Dass ein Weihbischof und sein Priesterbruder eine 16-­Jährige drangsalieren? Das ist auch im Jahr 5 nach der MHG-­Studie erschütternd. Aber offenbar ist genau das ein Teil des Problems: dass man selbst und viele von uns nicht sehen wollten, was letztlich nicht sooo unwahrscheinlich ist. Hengsbach ist nicht der erste Bischof, der beschuldigt wird. In Hildesheim gibt es Vorwürfe gegen den früheren Bischof Janssen († 1988) und manche werden sich noch an die Affäre um den einstigen Kardinal von Wien, Hermann-­Josef Groer († 2003), erinnern, der nach Missbrauchsvorwürfen 1995 zurücktrat. Die Affäre löste damals in Österreich das Kirchenvolksbegehren aus. 

Heute ist man zermürbt und will sich nicht zum 157. Mal empören. Und so langsam spürt man, dass das alles, nein, nicht am eigenen Glauben, aber doch am Glaubensvollzug nagt. 

Wohin also soll man sich wenden? Das Lied bietet eine Antwort: „Zu dir, zu dir, o Vater“. Heute kann man „Mutter“ ergänzen. Zu Gott also. Nicht, dass man es noch nie getan hätte, aber vielleicht muss man es noch mal ganz anders, konzentrierter machen: lesen, was die Geschichten des Alten Bundes erzählen, was die Propheten reden und was Jesus getan und gelehrt hat. Und dann – gern mit anderen – darüber nachsinnen, was es auf sich haben könnte mit diesem Gott und seiner Kirche. 

Ihre Claudia Auffenberg

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