Missbrauch, Fehde oder beides?
Close-up of Priest collar with black background.
Eine dürftige Faktenlage, tiefe persönliche Kränkung und eine sensibilisierte Öffentlichkeit – das sind offenbar die Zutaten einer Geschichte, die seit Wochen die Gläubigen im Dekanat Gütersloh in Atem hält und über die die regionale Presse mittlerweile ausführlich berichtet hat.
Erzbistum (-berg/-haus). Was ist geschehen? Diese Frage zu beantworten ist für den Fall, um den es hier geht, äußerst schwierig. Es gibt nur wenige gesicherte Fakten, kaum einer will reden und niemand sich zitieren lassen.
Was man sicher weiß: Ein heute 47-jähriger Priester des Erzbistums, die Presse nennt ihn Peter O., beschuldigt einen älteren Mitbruder, dieser habe ihn vor knapp 30 Jahren sexuell missbraucht. Damals war Peter O. Ministrant in seiner Heimatgemeinde, der Beschuldigte dort Vikar. Der Vorfall soll sich im Haus des Vikars nach reichlich Alkoholgenuss ereignet haben. Jahre später – Peter O. ist inzwischen selbst Priester – wird er Pastor in der Gemeinde, in der der Vikar von einst Pfarrer und somit sein Chef ist. 2020 erhebt er gegenüber dem Erzbistum erstmals die Beschuldigung gegen den Mitbruder.
Bewertungen gehen auseinander
Ab jetzt gehen die Bewertungen auseinander. Den Vorfall von einst habe er lange völlig verdrängt, sagt Peter O. heute. Vor zwei Jahren gehört er in der Gemeinde einer Arbeitsgruppe an, die ein Schutzkonzept für den pastoralen Raum schreibt, er ist intensiv mit dem Thema sexueller Missbrauch befasst. Im Bericht über einen amerikanischen Kardinal liest er zu jener Zeit vom „Bier auf der Bettkante“, mit dem der Kardinal Seminaristen gefügig gemacht haben soll. Diese Formulierung löst nach eigenen Angaben in ihm bruchstückhafte Erinnerungen an den Vorfall von vor knapp 30 Jahren aus und er wendet sich an das Erzbistum. Peter O. sagt, das Erzbistum habe ihm Zusagen gemacht und Hilfe angeboten, doch später nichts davon eingehalten. Statt des Pfarrers sei er versetzt worden, was für ihn mit erheblichen Belastungen verbunden sei.
Das Erzbistum sagt, man habe den Sachverhalt gründlich geprüft und sei zu dem Ergebnis gekommen, dass es sich „um keinen Fall sexuellen Missbrauchs im Sinne der Leitlinien der Deutschen Bischofskonferenz“ handele. Denn Peter O. war zu dem Zeitpunkt des Vorfalls 18 Jahre und somit nicht mehr minderjährig. Auch die Glaubenskongregation in Rom sei zu diesem Ergebnis gekommen. Dies sei den beteiligten Personen bekannt und beiden seitens des Erzbistums Paderborn hinreichend kommuniziert. „Es handelt sich also um keinen Missbrauchsfall, sondern um einen Konflikt zwischen zwei Personen.“ Beiden Parteien stehe der Rechtsweg offen, so das Erzbistum auf Anfrage des Dom.
Hilfe der Öffentlichkeit
Mit dieser Sichtweise ist Peter O. nicht einverstanden. Er unternimmt nun viel, um zu bekommen, was ihm seiner Ansicht nach zusteht: die Finanzierung einer Therapie nach seinen Vorstellungen durch das Erzbistum. Hilfsangebote des Erzbistums lehnt er ab. Er schreibt Briefe, u. a. an den Vorsitzenden der Bischofskonferenz und den Papst. Seit einiger Zeit sucht er die Öffentlichkeit, zunächst über Facebook, inzwischen redet er freimütig mit der Presse, auch mit dem Dom. Der beschuldigte Pfarrer dagegen bittet um Verständnis dafür, dass er sich nicht äußern will. Im Pfarrgemeinderat hat er dem Vernehmen nach den Vorwurf des Missbrauchs als frei erfunden bezeichnet und über einen heftigen Streit mit seinem Vikar berichtet. Zudem soll er auf psychische Probleme des jüngeren Mitbruders hingewiesen haben. Diese verschweigt auch Peter O. nicht.
Ob das Erzbistum mit dem beschuldigten Pfarrer gesprochen und gegebenenfalls Maßnahmen gegen ihn ergriffen hat, ist offiziell nicht zu erfahren. Hinter den Kulissen ist aber große Sorge um die Gemeinde und zugleich eine gewisse Ratlosigkeit zu vernehmen. Denn es ist nach wie vor nicht klar, ob die ganze Wahrheit schon auf dem Tisch liegt, was also wirklich passiert ist, an jenem Abend im Haus des Vikars und vor allem in den Jahren danach.
Wie weiter?
Das Argument des Erzbistums, Peter O. sei zum Zeitpunkt des geschilderten Vorfalles nicht mehr minderjährig gewesen, deswegen könne man für ihn im Sinne der Leitlinien nichts tun, ist zwar korrekt, wirkt in der aktuellen Großwetterlage allerdings kühl und bürokratisch. Auch die Aussage, dass es sich um einen Konflikt zwischen zwei Personen handelt, ist wohl nicht mehr zu halten. Zwar sind in den Medien bislang keine Namen und Orte genannt worden, in der betroffenen Gemeinde wissen allerdings mittlerweile viele, dass von ihrem Pfarrer und ihrem ehemaligen Pastor die Rede ist. Beide Priester haben und hatten auch schon vorher ihre Kritiker. Der aktuelle Konflikt dient einem zukünftigen gedeihlichen Miteinander jedenfalls nicht.
So dürftig die Faktenlage ist, eins scheint klar: In dieser Sache wird es wohl nur Verlierer geben. Schon jetzt ist der Schaden groß.
Weitere aktuelle Berichte aus dem Erzbistum Paderborn finden Sie in der aktuellen DOM-Ausgabe.