Missbrauch – Wo bleibt die Empathie?
Mit Interesse hat Rainer Harnisch, Sprecher der Paderborner Betroffenenvertretung, die Stellungnahme des Münsteraner Bischofs Felix Genn verfolgt. Für ihn ergeben sich daraus auch Forderungen an das Erzbistum Paderborn.
Erzbistum (-berg). Zum ersten Mal habe er von einem Amtsträger etwas von Reue und Umkehr vernommen, so Harnisch gegenüber dem Dom. Auch dass Genn von einer „unauflösbaren Unzufriedenheit“ gesprochen habe, sei zu begrüßen. „Es geht eben nicht so einfach: Wir klären auf und dann wird alles gut.“ Es gebe Sachverhalte, die man nicht aufklären könne und die nachwirkten. In Paderborn habe er bislang keine Anerkenntnis des Leids oder gar etwas von Umkehr gehört. „Dies ist auch nicht zu erwarten, wenn man sich dazu nicht bekennt.“
Einzig vom Generalvikar habe er so etwas wie Empathie erlebt. Alfons Hardt habe sich mit ihm und Heinz Sprenger, dem zweiten Sprecher der Betroffenenvertretung im Erzbistum, getroffen. Der Generalvikar habe sein Bedauern ausgedrückt, aus seiner eigenen Vita erzählt und „Türen geöffnet, die es uns möglich machen, die organisatorischen Strukturen aufzubauen“.
Akteneinsicht gefordert
Alle deutschen Bistümer hatten sich im April 2020 mit dem damaligen unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, Johannes-Wilhelm Rörig, dazu verpflichtet, Aufarbeitungskommissionen einzurichten und Missbrauchsbetroffene strukturell daran zu beteiligen. Im Erzbistum Paderborn hat sich im Februar eine Betroffenenvertretung gegründet, am vergangenen Dienstag hat die Aufarbeitungskommission ihre Arbeit aufgenommen. Neben Personen, die zum einen das Land NRW und zum anderen das Erzbistum benannt hat, wird auch Rainer Harnisch darin mitarbeiten. Er wolle in dieser Kommission dafür sorgen, dass die Amtszeit des jetzigen Erzbischofs untersucht werde und dass Betroffene Akteneinsicht bekämen. Letzteres hatte Genn für Münster zugesagt. Er selbst, so Harnisch, habe bislang noch keine Akten seines eigenen Falls einsehen dürfen. Betroffene müssten sich derzeit an Prof. Nicole Priesching wenden, die im Auftrag des Erzbistums eine ähnlich angelegte Studie wie in Münster erarbeitet.
Wenig Verständnis hat Harnisch für die Art, wie der Münsteraner Bischof seine Verantwortung wahrnehmen möchte. Er wolle niemandem gute Absichten absprechen, aber „wer Schuld auf sich geladen hat, wie will der denn unvoreingenommen Dinge verändern“? Dass Dinge sich ändern können, hält er durchaus für möglich. Es gebe etliche Kleriker, die den alten Weg nicht mitgehen wollen, aber oft in der Hierarchie gefangen seien.
Missbrauch für viele in der Kirche noch immer kein Fakt
Insgesamt ist nach seiner Wahrnehmung der Missbrauch für viele in der Kirche noch immer kein Fakt. Dazu brauche es offenbar wissenschaftliche Studien, die von unabhängiger Seite die Aussagen von Betroffenen belegen. Harnisch verwies auf die Erleichterung des Münsteraner Betroffenensprechers, dass nun nicht mehr sie, die Betroffenen, ihre Geschichte begründen müssten, sondern Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dieses leisten. Dennoch kann er nicht verstehen, warum die Kirche nicht längst selbst damit begonnen habe, Licht ins Dunkel zu bringen und stattdessen Juristen und Wissenschaftler damit beauftrage. „Die Kirche hat doch die Akten und die Informationen. Die Wissenschaftler holen sich das ja auch aus Kirchenakten.“ Wichtig sei, dass Namen von Tätern und Verantwortlichen genannt würden, „damit nicht nur die Betroffenen mit ihrem Namen da stehen“.
Für von Missbrauch Betroffenen wird derzeit eine umfassende Internetplattform aufgebaut. Die Seite wird zwar vom Erzbistum finanziert, aber sie wird nicht auf einem kirchlichen Server liegen, sondern von einem privaten Dienstleister verwaltet. Da entstehe durchaus ein „mächtiges Werkzeug“, so Harnisch, mit dem Betroffene sich austauschen können.