Mit Anstand und Klarheit – Dr. Florian Böllhoff blickt auf die Kirche

Über die Zukunft der verfassten Kirche wird nicht nur in der Theologie oder in kirchlichen ­Gremien geredet. Auch „normale“ Katholiken machen sich Sorgen und haben oft aufgrund ihrer beruflichen Expertise in anderen Bereichen etwas zu sagen, z. B. Dr. Florian Böllhoff. Mit Dr. Böllhoff sprachen ­Claudia Auffenberg, Andreas ­Wiedenhaus und Helena Mälck.

Herr Dr. Böllhoff, wie sehen Sie als ehemaliger Unternehmerberater die Kirche, die ja nach wie vor Ihre Kirche ist?

Dr. Florian Böllhoff: „Ausgesprochen facettenreich. Ich sehe zum einen die Kirche, in die ich als Kind hineingeboren wurde und an der ich bis heute festhalte. Ich sehe die Kirche aber auch als monolithischen Felsblock, der sich selbst durch beharrliches Bohren mit geistigen Presslufthämmern nur sehr schwer aufknacken lässt. Und drittens sehe ich etwas in der Kirche, was sie eigentlich überhaupt nicht sein sollte: nämlich eher ein Hemmnis für gutes Leben.“

Und welche dieser drei Kirchenformen würden Sie sich als Unternehmerberater als Erstes vornehmen wollen?

Dr. Florian Böllhoff: „Den monolithischen Block! Wenn es um Veränderungen geht, bleibt nur, beharrlich den Presslufthammer anzusetzen. Da die Kirche auf weltkirchlicher Ebene operiert, ist das allerdings nicht so einfach. Sie ist mit ihren 1,4 Mrd. Menschen eine so große Organisation, die man ohne eine konsequente hierarchische Grundstruktur kaum aufrechterhalten kann. Diese erleichtert aber auch Einflussnahme und Veränderung, erschwert sie aber auch zugleich, wenn man sich die Geisteshaltung und Struktur des Vatikans ansieht.“

Wo würden Sie den Presslufthammer ansetzen?

Dr. Florian Böllhoff: „Von oben, bei den Bischöfen, eindeutig! Nicht bei den Kirchenmitgliedern, die sind in keiner Weise das Problem. Dass die Kirche Mitglieder verliert, ist neben dem Zeitgeist eine Auswirkung bestimmter Entwicklungen, die in der Kirche passieren oder auch nicht passieren, und das hat in erster Linie etwas mit den Bischöfen und dem Klerus zu tun. Die wenigsten verlassen die Kirche aus tiefgreifenden Überzeugungen, denn die wenigsten haben ja wirklich Ahnung von der Kirche oder vom Glauben.“

Dr. Florian Böllhoff

Ist das jetzt nicht eine böse Unterstellung?

Dr. Florian Böllhoff: „Nein, das glaube ich nicht. Ich merke das in Gesprächen mit Leuten, die durchaus katholisch sind. Da bin ich manchmal sehr verblüfft, womit sie sich beschäftigen … Fragen Sie mal nach, dann werden Sie überrascht sein, wie wenig katholische Substanz Sie vorfinden, wohl aber findet man Kritik an Sexualmoral, Umgang mit Missbrauchsopfern, fehlendem Frauenpriestertum usw. Wenig hört man aber zur Bedeutung des Glaubens für das Leben und, last but not least, für das Sterben usw.“

Aber für diese Menschen ist die Kirche ja auch da.

Dr. Florian Böllhoff: „Natürlich! Die Kirche ist besonders für die Opfer und für diejenigen da, die noch nicht drin sind, für die, die weggehen und wiedergeholt werden müssen. Die Kirche ist auch nicht dazu da, nur Friede und eitel Sonnenschein zu vermitteln. Daher sage ich: Der Schlüssel für positive Veränderungen liegt bei denen, die die wesentlichen Strukturen der Kirche repräsentieren, und das sind nicht die Laien, das ist der Vatikan und das sind die Bischöfe und der Klerus. Was mich bei aller Sorge, die mich umtreibt, immer tröstet: Kirche ist nicht nur eine spirituelle, fromme, sondern auch eine menschliche Veranstaltung, und da gibt es immer mal wieder Dinge, die mit dem eigentlichen Auftrag von Kirche schlecht oder sogar gar nicht vereinbar sind. Im Augenblick geschieht das allerdings ziemlich häufig, häufiger jedenfalls als früher. Das liegt auch daran, dass mehr öffentlich wird. Wie der Papst mit Kardinal Woelki und mit den Bischöfen überhaupt umgeht, was unter den Bischöfen an Streit läuft u. a. entspricht nicht gerade dem, was uns von Kindesbeinen an zum Umgang mit den Mitmenschen gelehrt worden ist. Die Kirche hat also Ansprüche, die sie im Augenblick sehr klar missachtet.“

Wie würden Sie denn als Unternehmerberater jetzt konkret vorgehen?

Dr. Florian Böllhoff: „Ich habe gelegentlich den Versuch unternommen und mit Repräsentanten der Kirche über meine Gedanken gesprochen. Man hat mir zwar immer zugehört, aber die Hauptargumentation darauf blieb dann – salopp formuliert – für mich nebulös. Ich bin kein Theologe, ich kann solche theologischen Diskussionen nicht ohne Weiteres mitmachen. Ich kann stärker organisatorisch argumentieren und sagen: Wenn ihr nicht an bestimmten Dingen wie z. B. euren Strukturen und Systembedingtheiten dreht und sie nicht auf den Prüfstand stellt, dann wird das mit der Kirche in Deutschland keinen guten Verlauf nehmen. Aber aus meinem Berufsleben weiß ich: Man kann schlecht mit denen über Veränderungen reden, die in dem zu verändernden System Schlüsselpositionen innehaben. Wenn ich einen Unternehmer beraten habe, dann wusste ich manchmal, dass der gar keine Veränderungen will. Er war davon überzeugt, dass er weiß, wie der Hase läuft und was zu tun ist. In gewisser Weise hat er damit recht, denn sonst hätte er sein Unternehmen nicht so weit aufgebaut.“

Und wie bringt man ihn zur Einsicht?

Dr. Florian Böllhoff: „Man muss einerseits Vertrauen aufbauen und andererseits – auch von außen – Druck erzeugen. Im unternehmerischen Bereich bedeutet das: Die Zahlen sind schlecht, die Banken werden nervös oder die Kunden kommen nicht mehr. Dann beginnt ein Unternehmer zu überlegen, dass er sich mal mit jemandem von außen unterhalten soll. Wenn man mal von Rom absieht: Dieses Instrument fehlt mir in der Kirche: Es gibt niemanden, der von außen positiven Veränderungsdruck aufbauen könnte. Das ZdK vielleicht. Der Vatikan, der könnte es. Ja! Aber der denkt in erster Linie rückwärts und fällt z. Zt. daher für diese Rolle aus. Daher können nur kompetente Mitglieder der Kirche, Laien wie Kleriker, wie vielfach geschehen, beharrlich sagen: ‚Ihr könnt das so nicht machen. Ihr durftet nicht im Missbrauchsskandal so unverantwortlich handeln, wie ihr das getan habt. Das treibt Hunderttausende aus der Kirche hinaus.‘

Natürlich gibt es Missbrauch auch anderswo, aber die katholische Kirche ist inzwischen konnotiert mit Missbrauch. Und warum? Weil die Bischöfe nicht geklärt haben: „Wer hat Missbrauch begangen? Raus mit dem, ohne Wenn und Aber, endgültig.“ Und die Geschädigten vernünftig entschädigen. Ich bin überzeugt davon, dass die Kirche das allein nicht hinbekommt. Sie muss den Staat bitten, den ganzen Komplex an sich zu ziehen und rigoros aufräumen, ri-go-ros! Bitte keine halben Sachen mehr. Wenn ein Geistlicher missbraucht hat, wird er sofort des Amtes enthoben, wenn er noch ein kleines Almosen zum Überleben bekommt, einverstanden. Aber da hat die Kirche zu sehr an sich gedacht und zu wenig an die Opfer. Das sollte einer Kirche, die der Nächstenliebe verpflichtet ist, wesensfremd sein. Jede Institution, jede Organisation hat in ihren Reihen Mitglieder, die schwer gegen ihre Prinzipien verstoßen. Aber die kann man nicht schützen wollen.  Die muss man eliminieren – mit Anstand, aber auch mit Klarheit.“

Als Unternehmerberater haben Sie ja nicht nur mit dem Chef zu tun, sondern auch mit Leuten auf den unteren Ebenen: Mitarbeitende, Abteilungsleiter. Das sind vielleicht die Willigeren …

Dr. Florian Böllhoff: „Mit denen muss man die Veränderungen umsetzen, aber auch vielfach initiieren. Auch hier ist zunächst der Aufbau von Vertrauen wesentlich. Aber das ist leichter, wenn sie wissen, dass der Chef dahintersteht. Dann habe ich als Berater eine andere Ausgangsposition. Wenn aber die Mitarbeiter nicht mitspielen oder mir die notwendigen Informationen verheimlichen, die ich als Berater brauche, dann erfährt das irgendwann die oberste Etage und dann gibt es von dort eine Ansage. Auch dieses Instrument fehlt in der Kirche. Wenn man schon die Bischöfe nicht dazu bekommt, dass bestimmte Dinge getan werden müssen, wie soll dann ein Pfarrer vor Ort oder gar die Laien das tun? Der Pfarrer hat ja eine große Unabhängigkeit darin, wie er mit seiner Gemeinde umgehen kann. Auch die Bischöfe haben eine gewisse Unabhängigkeit gegenüber dem Papst. Dass diese Spielräume nicht oder nur von wenigen genutzt werden können, ist aus meiner Sicht ein großes Problem für die Glaubwürdigkeit der Kirche.“

Wieso das?

Dr. Florian Böllhoff: „Wenn bestimmte Dinge nicht von Flensburg bis Passau durchgezogen werden, sondern der eine Bischof es so und der andere es anders oder nur ein bisschen macht, dann hat das keine Wirkung – weder nach innen noch nach außen. Und Kirche braucht Wirkung nach außen. Sie hat doch was zu verkaufen. Sie ist doch kein Schrottladen – im Gegenteil! Alle reden heute z. B. von Menschenrechten, aber wo kommen die her? Das ist doch eine christliche Grundaussage: Der Mensch, jeder Mensch, ist Abbild Gottes. Und da gäbe es noch vieles mehr, was Kirche zu einer attraktiven Veranstaltung machen würde.“

Das heißt also: Das Angebot ist gut, aber es gibt ein Problem auf der Führungsebene und damit auch bei den Mitarbeitern?

Dr. Florian Böllhoff: „Ja, genau!“

Wie lange würden Sie einem Unternehmen in so einer Lage noch geben?

Dr. Florian Böllhoff: „Das kam sehr stark darauf an, wann ich gerufen wurde. Um kurz vor 12 kriegt man das so gerade eben noch hin. Kurz nach 12 ist es zu spät. Übertragen auf die Kirche: Die Kirche hat genügend Substanz, um auch die vier Krisen, von denen Franz Xaver Kaufmann in seinem neuen Buch „Katholische Kirchenkritik“ schreibt, nämlich die Glaubenskrise, die Strukturkrise, die Pastoralkrise, zu überwinden. Das hat sie in ihrer zweitausendjährigen Geschichte immer wieder bewiesen. Aber sie muss sich ändern und anstrengen! Eine Ausnahme davon ist allerdings die vierte, die Gotteskrise, die kriegt man mit Beratung nicht weg, sondern nur durch Handeln und Vorbild. Dazu könnten die Theologen mehr sagen. Jemand wie P. Leppich in den 50er-Jahren, der konnte das.“

Aber der würde doch heute nicht mehr funktionieren.

Dr. Florian Böllhoff: „Vermutlich, aber warum hat er damals funktioniert? Er hatte etwas, das die Menschen faszinierte. Er war glaubwürdig, man nahm ihm ab, was er sagte. So jemand ist im Augenblick nicht in Sicht, aber wir haben genügend Ansatzpunkte. In Paderborn Libori etwa, das ist doch ein Phänomen – sage sogar ich als Bielefelder. Da kommen Hunderttausende Menschen, um den Schrein zu sehen, Messen und Gottesdienste zu besuchen, Predigten zu hören, die Pfauenwedel und Schützenbrüder zu erleben usw.“

Warum kommen die Leute dahin?

Dr. Florian Böllhoff: „Sie finden etwas, das sie vermissen, wie Symbole und prachtvolle Inszenierungen und einen Sinn. Eine Beerdigung wie die der Queen wäre in Deutschland zwar unvorstellbar, aber schön. Nun, von wem sollen spirituelle Impulse, Zeichen und Symbole zum Leben und zum Sterben kommen? Die Gazetten sind voll von diesen Themen. Bedürfnisse nach Erklärungen und nach Hilfen in diesen Dingen gibt es zur Genüge. Die Kirchen hätten durchaus ein Spielfeld, aber sie bespielen es nicht zeitgemäß. Die Evangelikalen und auch die Popkultur machen es doch vor. Den Repräsentanten der Kirche fehlt es, Begeisterung für das Evangelium zu wecken.“

Was denken Sie über den Synodalen Weg? Ist das eine sinnvolle Initiative, um noch etwas zu retten?

Dr. Florian Böllhoff: „Auf Ebene der katholischen Kirche in Deutschland ja, aber einen Vorwurf mache ich den Bischöfen: Warum lehnen sie sich so weit aus dem Fenster, wohl wissend, dass Dinge im Weltkirchenmaßstab noch nicht durchsetzbar sind. Wenn man eine Spaltung nicht begünstigen will, muss man so etwas mit der Kurie anders vorbereiten. In Rom haben sie doch eine klare Meinung von deutschen Bischöfen: „Die wollen mal wieder eine Reforma­tion.“ Und da geht man in Rom auf die Hinterbeine und weist die Bischöfe in die Schranken. Genau das ist ja beim Ad-limina-Besuch passiert. Dass die Bischöfe das vorher nicht erkannt haben und den Synodalen Weg entsprechend eingestielt haben, werfe ich ihnen vor.“

Dr. Florian Böllhoff

Aber was wäre die Alternative gewesen? Die Bischöfe sitzen doch in der Zwickmühle: Druck aus Rom und zu Hause Druck der Gläubigen.

Dr. Florian Böllhoff: „Ja, aber der Synodale Weg ist m. E. in Deutschland viel zu schnell begonnen worden. Man muss ja die Römer erstmal in kleinen Schritten dahin bringen, überhaupt Veränderungen in Betracht zu ziehen. Beispiel 1: Man kann das an der langen Vorbereitungszeit des von Papst Franziskus eingeleiteten weltweiten synodalen Prozesses sehen! Beispiel 2: Frauenpriestertum. Dafür ist es meines Erachtens noch zu früh. Das wird jetzt nicht kommen. Ein Schritt in die richtige Richtung wäre: Macht doch die Frauen erstmal zu Diakoninnen. Dann gebt ihr ihnen und den Diakonen die Gemeindeleitung und den immer weniger werdenden Priestern eine neue spirituelle Rolle. Zugleich schlagt ihr den Priestern vor, mehr zusammenzuleben, damit diese armen Leute nicht mehr einsam in ihren Pastoraten sitzen und keine Gesprächspartner haben. Wenn auf verschiedenen Ebenen solche strukturellen Änderungen angegangen werden, wird das eine Wirkung haben. Dann kommt vielleicht auch irgendwann das Frauenpriestertum. Der Heilige Geist wird schon dafür sorgen. Also beim Umgang der Bischöfe mit dem Synodalen Weg ist m. E. einiges falsch gelaufen. Da hätten sie sich etwas mehr Zeit lassen müssen.“

Auslöser des Synodalen Wegs war die MHG-Studie zum Missbrauch durch Kleriker. Dadurch war der Druck so groß, dass die Bischöfe keine Zeit mehr sahen, jetzt erst noch mit Rom zu verhandeln.

Dr. Florian Böllhoff: „Aber dann stellt sich die Frage: Warum sind sie nicht den Weg der chilenischen Bischöfe gegangen und haben allesamt ihren Rücktritt angeboten? Das wäre ein Hammer gewesen, der eine unglaublich positive Wirkung für die Kirche entfaltet hätte.“

Das heißt, Ihre Diagnose lautet: Führungsversagen?

Dr. Florian Böllhoff: „Eindeutig! In einer hierarchischen Grundstruktur ist die Führung immer von oben.“

Nun haben wir viel über Bischöfe geredet. Was können wir Normalsterblichen denn tun?

Dr. Florian Böllhoff: „Ohne uns käme die Kirche gar nicht zurecht. Noch immer tun sehr viele Ehrenamtliche – übrigens in der Mehrzahl Frauen – treu und brav ihren Dienst, aber auch das erodiert. In den Familien haben sich die Erwerbsverhältnisse sehr verändert. Die frühere Struktur einer Familie, ein „Ernährer“ und die Ehefrau, die sich neben Haushalt und Kindern auch noch um die Kirche kümmern konnte, gibt es heute nicht mehr. Und das wird auch nicht wiederkommen, also muss man eine andere Lösung finden. Man muss wegkommen von der ausbeuterischen Kraft der Kirche, die hemmungslos Hunderttausende in ihren Dienst bringt, ohne ihnen eine angemessene ­finanzielle Anerkennung zu zahlen.“

Von wem reden Sie jetzt?

Dr. Florian Böllhoff: „Von den vielen Helferinnen in den Frauengemeinschaften und anderen Gruppen, die das Leben in den Gemeinden aufrechterhalten. Wenn überhaupt noch Vereinsleben existiert, dann dank der Ehrenamtlichen. Das Ehrenamt wird ja sehr propagiert von den Bischöfen – auch zu Recht, aber von einer Aufwandsentschädigung habe ich noch nicht viel gehört. Darüber müsste man aber nachdenken.“

Und wer soll das bezahlen?

Dr. Florian Böllhoff: „Das kann ja kein Geldproblem sein. Wenn in jedem Bistum 50 Priesteramtskandidaten vor der Tür ständen, würde die doch kein Bischof wegschicken. Alle wären froh, wenn es die gäbe und die würden auch finanziert.“

Aber es gibt sie nicht und weil es immer weniger Kirchenmitglieder gibt, gibt es irgendwann auch weniger Geld.

Dr. Florian Böllhoff: „Ja, richtig. Auf eine Konzen­tration auf die wirklich wichtigen Dinge wird es hinauslaufen. Aber dann startet die Kirche auch noch Strukturreformen, die das Ganze zusätzlich erschweren. In zwei Jahren, 2025, soll z. B. ganz Bielefeld in eine Gemeinde zusammengeführt werden. Da kann ich nur sagen: Leute, das kann doch nicht funktionieren. Wer soll das denn noch steuern können und inhaltlich den Gläubigen etwas von dem vermitteln, was sie bedürfen? Das geht nicht. Daher sage ich: Ihr müsst wieder in kleinen Einheiten denken, aber ihr müsst die Führung dieser kleinen Einheit angesichts des Priestermangels anders organisieren und z. B. den Diakoninnen und Diakonen überlassen, die ordentlich bezahlt, verheiratet und gut ausgebildet sind. Die Priester mit dem Weiheamt konzentrieren sich bitte auf die Eucharistie und die spirituelle Begleitung der Gemeinden und deren Akzentsetzung. Das ist dann auch mit weniger Priestern zu leisten.“

Aber die kleinen Einheiten sind womöglich zu klein, weil es zu wenige Leute gibt …

Dr. Florian Böllhoff: „Wenn mir jemand sagt, man findet keine Leute mehr, kann ich nur antworten: Solange ihr nicht aufräumt, solange ihr nicht eine Aufbruchstimmung erzeugt, solange ihr nicht eine strukturelle Verbesserung herbeiführt, werdet ihr auch keine Leute finden. Ich kann Ihnen von einer Gemeinde erzählen, in der es außer Messen nichts Wesentliches in der Gemeindearbeit mehr gibt. So wesentlich die Messe in der Kirche auch ist: Es gibt z. B. keine Ministranten, kaum noch Kommunionkinder. Ich habe nachgefragt, da hieß es, es gebe nur noch vier. Natürlich gibt es mehr Kinder dort, man erreicht allerdings nur noch vier. Und die waren nach der Erstkommunion weg. Warum? Weil niemand da ist, der sich kümmert, der etwa ein Zeltlager organisiert. Die Nachbargemeinde schafft das, da gibt es viermal so viele Kommunionkinder und zahlreiche Messdiener und noch ein hinreichend aktives Vereinsleben für Jugend, Frauen und Männer. Also, es geht, wenn man sich drum kümmert.

Mein Fazit ist: Die Sache der Kirche ist also nicht völlig chancenlos. Sie muss aber die Zeichen der Zeit erkennen und neue Wege gehen, ohne ihren exzellenten Kern aufzugeben.“

Zur Person

Dr. Florian Böllhoff wurde 1943 in Bielefeld geboren. Sein Studium der ­Soziologie und Betriebswirtschaftslehre in München und Münster schloss zunächst als Diplom-­Soziologe ab und promovierte 1975 zum Dr. sc. pol. Von 1970 bis 2015 war er u. a. als Geschäftsführer und als selbstständiger Unternehmerberater tätig. Heute lebt er als aktiver Pensionär mit langjährig vielfältigem kirchlich-­bürgerschaftlichem Engagement in Bielefeld.

Info

Es begann mit einem umfangreichen „internen Diskussionspapier“, das Dr. Florian Böllhoff uns in die Redaktion schickte. Thema: „Gedanken zur katholischen Kirchensituation in Deutschland“. Darin hatte sich Böllhoff, ehemaliger Unternehmensberater aus Bielefeld, seinen Frust und zugleich seine Vorschläge von der Seele geschrieben. Nicht alles war neu darin, aber dass jemand wie er es äußerte, dass er seine Sicht der Dinge einbringen möchte, das fanden wir interessant. Es gingen ein paar Mails hin und her, Dr. Böllhoff besuchte uns in der Redaktion, und danach war der Gedanke geboren: Wir suchen Menschen, die der Kirche verbunden sind, aber in der Öffentlichkeit nicht als Kirchenmenschen wahrgenommen werden, sondern für einen anderen Bereich stehen. Sie fragen wir danach, welche Erfahrungen aus diesem anderen Bereich sie einbringen könnten. Wir fragen sie nach ihrer Sicht der Kirche.

Schauen Sie doch mal in die aktuelle DOM-Ausgabe rein. Dort finden Sie eine Vielzahl an Berichten zur katholischen Kirche im Erzbistum Paderborn, deutschlandweit und auch weltweit. Es lohnt sich bestimmt.

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