15.08.2021

Mit Fantasie

Maria Himmelfahrt

Auf den heutigen Sonntag fällt das älteste Marienfest, das das Kirchenjahr zu bieten hat: Maria Aufnahme in den Himmel. Gelegenheit also, ein bisschen über diese Frau nachzusinnen, die von so vielen Menschen verehrt wird, von Menschen, die – das ist interessant – miteinander im Streit liegen. Die ganz Frommen und die Rebellinnen wissen sie an ihrer Seite. 

Faktenlage über historische Maria sehr dürftig

Die historische Maria gibt ziemlich wenig her, im Neuen Testament wird sie nur an sehr wenigen Stellen erwähnt und wenn, dann im Zusammenhang mit Jesus. Sie ist immer „“die Mutter von…“. Um sie selbst geht es nicht. Wenn man mal zusammennimmt, was im Evangelium erzählt wird und was sich aus den historischen Zusammenhängen ableiten lässt, ergibt sich ungefähr folgendes Bild: aufgewachsen in der Provinz, jung schwanger geworden, vermutlich mit Ende 40 gestorben, da war sie etwas jünger als man selbst. Wahrscheinlich Witwe und verwaiste Mutter. Der Sohn, den sie begraben musste, war zwar erwachsen, aber was heißt das schon? Das Verhältnis der beiden war kompliziert, aber sie war bis zum Schluss bei ihm und nach seinem Tod gehörte sie zu seinem Freundeskreis. Das wars auch schon so ungefähr. Die Faktenlage ist also reichlich dürftig und bietet entsprechend Raum für Interpretation. Also lassen wir der Fantasie freien Lauf:

Worüber würde man mit ihr reden können? Was könnte man sie fragen? Vielleicht, und das mag jetzt überraschen: Woran glaubst du, Maria? Kannst du mir von deinem Gott erzählen? Ist das der aus dem Magnifikat, das Lied, mit dem du zitiert wirst? Der Gott der kleinen Leute, den Macht und Reichtum nicht beeindrucken? Hast du dich wirklich getraut, so zu beten– in einer autoritären Männerwelt, geprägt vom Kaiserkult und staatlicher Willkür?

Die furchtlose Frau aus Belarus

An dieser Stelle kommt einem eine andere Maria in den Sinn, die man derzeit im Fernsehen sieht: Maria Kolesnikowa. Die furchtlose Frau aus Belarus, die den Diktator das Fürchten lehrt. „Er stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöht die Niedrigen“, so haben sie es der Maria aus Nazareth in den Mund gelegt. Ein Satz, der bis heute nachhallt, womöglich bis nach Belarus. So absurd es klingt: Seit jeher sind es die Mächtigen, die sich fürchten, die sich verbarrikadieren und brutal werden. Womöglich kriecht ihnen irgendwann die kalte Erkenntnis im Nacken hoch, dass etwas in ihrem Leben falsch ist, dass Gott auf die Niedrigen schaut und nicht auf sie, auch wenn sie sich noch so machtvoll inszenieren.

Maria– wir interpretieren immer noch– hatte kein Amt und keine Macht und deshalb keine Angst. Sie saß auf keinem Thron und womöglich würde sie sich dagegen wehren, wenn man sie auf einen ebensolchen setzen wollte. Ihr Lebensraum– oder wie soll man sagen– war die Gegenwart Gottes. Dort fand sie Aufnahme, ganz und gar. So möchte man sich das vorstellen und so würde man gern in ihrer Nähe sein. 

Ihre
Claudia Auffenberg

Weitere interessante Beiträge von Chefredakteurin Claudia Auffenberg unter: https://www.derdom.de/kategorie/editorial/kommentar/

https://www.derdom.de/2021/08/08/waechterfunktion/
https://www.derdom.de/2021/08/01/glaubenszeugen/
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