29.04.2016

Mit Sensibilität Gast sein in Krakau

Abschlussgottesdienst mit BDKJ-Seelsorger Thomas Bensmann am Mahnmal. Rechts: Ausstellung mit zahlreichen Informationen zum Nationalsozialismus.

Erzbistum. Herrschaftlich ragt die Wewelsburg über das Paderborner Land, als Florian Eikenberg, Annika Dierkes und Jacob Heemann mit dem Auto eine Gasse zur Burg hochfahren. So wie sie kommen an diesem Samstag 40 Jugendliche und Erwachsene aus dem gesamten Erzbistum zu einem Workshoptag an diesen historischen Ort. Das mittelalterliche Bild der Burg trügt dabei – Florian, Annika und Jacob wollen sich nicht etwa mit Rittern, sondern mit dem Nationalsozialismus auseinandersetzen. Um sich auf den Weltjugendtag 2016 vorzubereiten.

Der 24-jährige Florian, die 17-jährige Annika und der gleichaltrige Jacob betreten mit ihrer Gruppe aus Neuenbeken ein langgezogenes beiges Steinhaus auf dem Vorplatz der Burg – die „Erinnerungs- und Gedenkstätte Wewelsburg“. Der Bau erinnert an eine alte Schule, ist aber ein ehemaliges Wachgebäude der „Schutzstaffel“ (SS). Der Ort rund um die bekannte Dreiecksburg sollte im Dritten Reich zum Hauptquartier der SS werden. Dafür wurde auch das Konzentrationslager Niederhagen direkt nebenan gebaut.

Es ist kurz nach zehn Uhr, als die 40 Teilnehmer des Weltjugendtages sich im hellen Foyer der Gedenkstätte treffen und angeregt unterhalten. Die Freude, die ersten Mitfahrer nach Krakau kennenzulernen, ist geradezu zu spüren. Thomas Bensmann, BDKJ-Diözesanseelsorger, unterbricht die lockere Stimmung, als er die Jugendlichen zum Workshoptag an der Wewelsburg begrüßt. „Durch den Tag sollt ihr euer Wissen über die Zeit des Nationalsozialismus vertiefen und euch so auf den Weltjugendtag vorbereiten. Nur mit Sensibilität für die deutsch-­polnische Geschichte können wir dort bewusst Gast sein“, erklärt Bensmann. Er ist ebenfalls Mitglied der Steuerungsgruppe, die den Workshoptag und die Fahrt zum Weltjugendtag organisiert.

Beklemmende Stimmung im Nordturm

Das KZ Niederhagen oder der Kult der SS – zwischen diesen Schwerpunkten können sich die Jugendlichen entscheiden. Die Gruppe aus Neuenbeken spricht sich kurz ab – und teilt sich auf. Florian will mehr über die Häftlinge im KZ Niederhagen erfahren, Annika und Jacob wollen in die Lebenswelt der SS eintauchen.

Im ersten Abschnitt des Tages besuchen die Gruppen dann getrennt voneinander die Ausstellung „Ideologie und Terror der SS“ in dem ehemaligen Wachgebäude der SS. Dabei erfahren sie von zwei pädagogisch geschulten Leitern alles zum Standort Wewelsburg für die SS sowie zur Geschichte des Burggeländes und des anliegenden Konzen­trationslagers.

Die Gruppe von Annika und Jacob betritt einen unterirdischen Raum des Nordturmes, der zur Ausstellung gehört. Nur wenig Licht kommt he­rein, der Hall aus den Stimmen der Jugendlichen schwebt förmlich in dem kuppelförmigen Bau. Als Schlussstein hängt ein großes Hakenkreuz unter der Wand. Dieser Raum war für die „Helden“ des Dritten Reiches als Gedenkstätte gedacht, erfahren Annika und Jacob. Mit expressionistischen Bildern von Tod, Zerstörung und Leid an der runden Wand wird heute genau das Gegenteil ausgesagt. Ein beklemmendes Gefühl hat Annika Dierkes trotzdem. „Es ist seltsam sich vorzustellen, was damals in diesen Räumlichkeiten passiert ist, welche Menschen hier waren und welche schlimmen Gedanken sie hatten. Umso unverständlicher und schlimmer ist es zu hören, dass Neonazis noch zum Nordturm quasi pilgern und von den Räumen begeistert sind“, sagt die 17-Jährige emotional gerührt. Nach zwei Stunden endet die Einführung.

Unmenschlichkeit und ­Pseudoreligiosität

Nach der Mittagspause befassen sich Florian Eikenberg und seine Gruppe mit dem Alltag im Konzentrationslager. Aufgabe der Gefangenen war es im KZ, die Wewelsburg nach Vorstellung der SS-Führung zu errichten. Die Gruppe schaut ein Video, bei dem zwei ehemalige Gefangene und gute Freunde offen und emotional über die menschenunwürdigen Bedingungen, ihre Ängste und Hoffnungen sprechen. Florian erzählt gefesselt: „Die Überlebenden sprachen vom ständigen Geruch verbrannter Leichen. Einer musste sogar ansehen, wie Leichen von toten Häftlingen ‚wie Holz‘ in einem Keller gestapelt waren. Das sollte kein Mensch erleben.“

Mit der Situation der Häftlinge in Wort und Bild vor Augen geht die Gruppe von Florian zurück in die Ausstellung. „Dort habe ich mir Briefe von Häftlingen aus dem KZ durchgelesen, die an ihre Familien geschrieben waren. Es war sehr ergreifend zu lesen, wie die Gefangenen versucht haben, Hoffnung und Mut zu transportieren, obwohl ihr Alltag so schrecklich war“, sagt Florian.

Wie muss man sich einen typischen Mann in der SS vorstellen? Mit dieser Frage beschäftigen sich Annika und Jacob indes. Groß, sportlich, gebildet und natürlich deutsch – das sind die ersten Antworten der Gruppe. Um die Stereotypen zu prüfen, lesen sich Annika und Jacob gemeinsam mehrere detaillierte Biografien von Mitgliedern der SS durch. „Ich war erstaunt, wie unterschiedlich die Lebensläufe waren. Vom Doktor über einen Philosophiestudenten bis zu einem einfachen Arbeiter waren fast alle Klassen vertreten“, sagt Annika überrascht. Jacob ergänzt sie: „Neu war für mich, dass niemand in der SS zu etwas gezwungen wurde und man jederzeit austreten konnte. Das verdeutlicht, welche Motivation und Ideologie die Menschen gehabt haben mussten.“ Außerdem fand der 17-Jährige aus Neuenbeken es spannend, die Denkweise und den Kult der SS nachzuvollziehen. Die SS habe eine Pseudoreligiosität vermittelt, erzählt Jacob. Die Menschen sollten gottgläubig, aber nicht christlich sein. Entgegen den christlichen Feiertagen wurden beispielsweise germanische Traditionen wie das Julfest eta­bliert. „Das stärkt mich aber eigentlich nur in meinem christlichen Glauben, denn der hat eine 2 000 Jahre lange Tradition und ist nicht erfunden“, sagt Jacob.

Würdiger Abschluss am Mahnmal

Um diesen festen Glauben an Gott zu zeigen und zu feiern, geht die Gruppe zum Abschluss gemeinsam auf das ehemalige KZ-Gelände. Mitten im Dorf, wo früher der Appellplatz des Konzentrationslagers war, feiert die Gruppe am dreieckigen Mahnmal einen Wortgottesdienst.

„Es war sehr gelungen, den Tag so abzuschließen“, sagt Florian Eikenberg. „Still zu werden, für die Toten zu beten und zu besingen, dass wir ‚Von guten Mächten wunderbar geborgen‘ sind, war sehr würdig und hat aus der bedrückenden Stimmung geholfen.“ Annika Dierkes fasst durch den Abschluss Mut: „Wir Christen stehen für Werte wie Nächstenliebe und Barmherzigkeit ein, schauen nicht weg und packen an, wo Hilfe benötigt wird. Wenn wir das beherzigen, kann so etwas wie der Nationalsozialismus nie wieder geschehen.“

Jacob Heemann kann nach dem geistlichen Impuls kaum noch auf den Weltjugendtag warten: „Dann stehen die Herkunft und Hautfarbe nicht mehr im Vordergrund. In Krakau kommen wir wegen unserer Religion zusammen und spüren hoffentlich, wie der gemeinsame Glaube an Gott verbindet und eben nicht ausschließt.“

Tobias Schulte

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