Mit Software gegen Hass
Bundeswettbewerb Jugend forscht 2023 in Bremen Nutzung honorarfrei
Antisemitismus gibt es reichlich in sozialen Medien. Zwei Schüler des Gymnasiums St. Michael in Paderborn haben eine Software entwickelt, die ihn erkennt und sind damit Bundessieger bei „Jugend forscht“ geworden.
Paderborn (HEL). Es ist der 9. Oktober 2019. Der Rechtsextremist Stephan B. versucht, am höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur mit Gewalt in eine Synagoge in Halle einzudringen, um ein Massaker anzurichten. Es scheitert. Dennoch sterben durch ihn zwei Menschen. Stephan B. mordete aus Judenhass.
Während deutschlandweit der Schrecken groß ist, stellt das Attentat in Halle für Simon Rulle und Arthur Achilles den Schlüsselmoment dar, eine Software gegen Antisemitismus im Netz zu entwickeln. „Gerade die Nachbearbeitung zeigt die Gefahr der Verbindung von Verschwörungsmythen und deren Verbreitung im Internet“, erklärt Rulle im Gespräch. „Antisemitische Verschwörungsmythen sind prägendes Element demokratiefeindlicher Bewegungen“, fährt er fort.
Wenn Rulle spricht, dann klingt er nicht wie ein typischer 16-Jähriger. Sein Fachwissen beeindruckt. Gemeinsam mit Arthur Achilles (17) hat er die Software entwickelt, die ihnen den Bundessieg bei „Jugend forscht“ im Bereich „Mathematik/Informatik“ eingebracht hat. Doch in welchem Zusammenhang steht das Internet mit Antisemitismus und der Radikalisierung von Extremisten?
Das Internet und die Radikalisierung
Der Bundeszentrale für politische Bildung zufolge haben das Internet und die sozialen Netzwerke die Verbreitung und Radikalisierung von Antisemitismus milieuübergreifend befördert. Die Täter der letzten Jahre seien alle zuvor in Online-Communitys aktiv gewesen und hätten Verschwörungsmythen verbreitet. „Früher sagte man immer, jedes Dorf hat einen Depp. Durch das Internet können sich heute diese Deppen alle miteinander vernetzen“, sagt Rulle.
„Verschwörungsmythen werden ganz offen auf Twitter verbreitet. Und das nicht erst seit Elon Musk“, berichtet der Schüler. Welche Mythen genau dort zu finden sind, erzählt er eher ungern. Das Problem an Verschwörungsmythen sei, dass sie auch wirken, wenn man nicht an sie glaubt. Viele werden jedoch aus der NS-Zeit überliefert. Statt Begriffe wie „Finanzjudentum“, werden heute Wörter wie „Globalisten“ oder „Ostküste“ verwendet.
Rulle und Achilles finden diese Verschwörungstheorien. Hierfür haben sie das „Project Eagle“-Programm für Twitter entwickelt. Zuvor haben sie sich zwei Fragen gestellt: Wie können wir die Demokratie im digitalen Zeitalter wehrhaft machen? Wo tummeln sich die Menschen, die demokratiefeindlich sind und die, die so ein Gedankengut verbreiten? „Wir haben uns bewusst für ein populäres Medium entschieden und nicht für ein rechtes“, erzählt Rulle. Auf vertrauten Plattformen gebe es eine höhere Gefahr, dass jemand abdriftet. Für das „Project Eagle“ hat Twitter aber noch einen weiteren entscheidenden Vorteil.
So funktioniert die Software
„Twitter kann man als Graphen auffassen“, erklärt der 16-Jährige; mithilfe von Followern, Likes und Tweets lassen sich Verbindungen nachstellen. Am Anfang haben sie sich einen Account gesucht, bei dem sie wissen, dass dort Antisemitismus vorkommt, beispielsweise von Querdenkern oder bestimmten Politikern. Von dort haben sie sich dann entlang gehangelt und Kommentare analysiert. Das Programm kann Inhalte vom Kontext her unterscheiden, auch die publikumseigene Sprache, sogenannte Dog-Whistles, soll es erkennen.
Für die Software nutzen die Schüler künstliche Intelligenz, darunter einen Vorgänger von ChatGPT. Künstliche Intelligenz betrachtet Rulle jedoch nicht nur als Möglichkeit, Hass im Internet zu verringern. Gerade Missbrauch von künstlicher Intelligenz durch Länder wie China oder Russland sieht er kritisch.
Die Software der beiden Schüler kann Verschwörungsmythen in großen Mengen erkennen. Die Frage ist jetzt, wie man sie einsetzt. „In der Theorie würde unser Tool eine ganz andere Polizeiarbeit ermöglichen“, zeigt Rulle die Möglichkeiten für die Zukunft auf.
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