Nach dem Tornado – Zuhören ist das Wichtigste
Die Aufräum- und Reparaturarbeiten laufen auf vollen Touren. Ein Handwerker flickt Löcher am Dach der Kirche des Michaelsklosters in Paderborn, das vom Tornado fast vollständig abgedeckt wurde. (Foto: Patrick Kleibold)
Die verheerenden Zerstörungen im Raum Paderborn durch einen Tornado sind deutlich zu sehen. Auch seelisch spüren die Menschen Verletzungen. Wie die Notfallseelsorge und die Betroffenen im Michaelskloster die Naturkatastrophe erlebt haben, darüber sprachen sie mit der Dom-Redaktion.
Paderborn. Der Himmel wurde dunkel, der Wind nahm schlagartig zu und schon flogen die ersten Gegenstände umher. Was sich während des Tornados ereignet hat, dauerte zwar nur wenige Minuten, hinterließ aber eine Schneise der Verwüstung. Und das quer durch die Stadt. Immer noch sind viele Menschen schockiert und können kaum fassen, mit welcher Wucht der Tornado gewütet hat. Innerhalb weniger Augenblicken wurden Dächer und Fenster zerstört, Autos demoliert und unzählige Bäume entwurzelt. Und das Schlimmste: Über 40 Menschen wurden verletzt, einige sogar schwer.
Eine Notfallseelsorgerin im Einsatz
„In Anbetracht der Schwere des Unwetters ist es jedoch erstaunlich, dass nicht mehr Menschen verletzt wurden“, sagt Hiltrud Droll (59). Sie war am Tag der Katastrophe als Notfallseelsorgerin im Stadtgebiet unterwegs. Gemeinsam mit 24 weiteren aktiven Freiwilligen engagiert sie sich in der Notfallseelsorge der Stadt Paderborn und leistet in plötzlich auftretenden Krisensituationen menschlichen Beistand und bietet den Betroffenen Begleitung an. „Eine Katastrophe wie diese hinterlässt nicht nur Schäden an den Gebäuden, auch die Menschen erleiden seelische Verletzungen, die behandelt werden müssen“, berichtet Droll.
Gemeinsam mit ihren Kolleginnen und Kollegen von der Notfallseelsorge wurde sie am Abend des Unwetters und am Sonntag darauf in zwei Straßen Paderborns geschickt. Ihre Aufgabe war klar: Kontakt zu den Menschen aufzunehmen und ihnen in dieser schwierigen und unübersichtlichen Lage zur Seite zu stehen. „Es hat nicht lange gedauert, bis wir mit ersten Betroffenen ins Gespräch kamen“, schildert die erfahrene Notfallseelsorgerin, die „leider reichlich Erfahrungen an unterschiedlichen Einsatzorten gesammelt hat“, wie sie selbst sagt. Nach der Massenkarambolage in der Neujahrsnacht 2016 auf der A 33 bei Paderborn kümmerte sie sich um Verletzte und deren Angehörige – ebenso war sie nach der Amokfahrt in Münster, als ein 48-Jähriger im Zentrum mit einem Kleinbus in eine Gruppe von Menschen raste, im Einsatz.
„Die Menschen möchten über das Erlebte reden“
Auch wenn die Feuerwehrleitstelle die Seelsorgerin vor einem Einsatz über die Lage eines Unglücks informiert, so weiß sie doch nie genau, was sie an einem Unglücksort erwartet. „Vor jedem Einsatz bin ich angespannt und nervös. Ich denke, das ist normal“, sagt Droll. Sehr erleichtert war sie, als sie erfuhr, dass es keine Todesopfer zu beklagen gab. Auch wenn jeder Einsatz anders sei, eines bleibe immer gleich: „Die Menschen möchten über das Erlebte reden, sich austauschen und wünschen sich, dass man ihnen zuhört. Dafür bin ich da, um kurzfristige Hilfe und Stabilisierung in Krisensituationen zu leisten“, sagt sie. Dies geschieht in Zusammenarbeit mit der katholischen und evangelischen Kirche sowie der Stadt Paderborn.
„Unter anderem kam eine junge Familie mit Kindern zu mir, die evakuiert werden musste, und auch eine ältere Dame, die niemanden zum Reden hatte. Ich habe ihnen zugehört, die Hand gehalten, sie in den Arm genommen“, schildert Droll ihre Erfahrungen. Konkret konnte sie der jungen Familie helfen, eine Bleibe für die kommenden Wochen zu finden. „Das Wichtigste ist, den Menschen zuzuhören. Wenn es gelingt, zu helfen, dann geht man abends glücklich nach Hause. Irgendwie geht es für alle immer weiter, auch wenn es in dem jeweiligen Moment nicht so ausschaut“, sagt Droll.
Anteilnahme und Hilfsangebote
Ähnlich wie die Notfallseelsorgerinnen und -seelsorger, die die seelischen Verletzungen heilen, sind Tausende von Ehrenamtlichen, Freiwilligen und Handwerkern im Einsatz, um die Schäden an den Gebäuden und Parks zu beseitigen. „Wir waren richtig überwältigt von der Anteilnahme und den Hilfsangeboten vieler Menschen“, sagt Schwester Gabriela (65) von den Augustiner Chorfrauen im Kloster St. Michael. „Manche brachten Kuchen vorbei und bis heute erreichen uns Hilfsangebote per Mail. Das kennt man ja sonst nur aus dem Fernsehen.“
„Ich dachte zuerst, es ist ein Erdbeben“, erinnert sie sich an den hereinbrechenden Tornado. „Man hörte den Nachmittag über schon so ein Grummeln wegen der Gewitter, aber dann gegen 17.20 Uhr war es plötzlich, wie wenn jemand einen Schalter umlegt.“ Es sei eine Druckwelle spürbar gewesen, während draußen plötzlich alles umherflog – Dachziegel, Äste usw., sagt die Ordensschwester, die seit 44 Jahren im Kloster St. Michael lebt.
Fenster wurden zertrümmert oder eingedrückt, fast die gesamte Klosterkirche und Teile des Konventbaus verloren die Dachbedeckung. Im Augenblick der Katastrophe seien alle Schwestern zusammengelaufen, so Gabriela. „Die Sorge umeinander hat uns über die erste Schockstarre hinweggebracht.“ Nach ein paar Minuten hätten ein paar instinktiv angefangen aufzuräumen. „Man denkt, man muss ja irgendwas machen.“
Neben der Organisation der Reparaturarbeiten versuchen die Schwestern derzeit wieder ihren Alltag zu gestalten. „Unsere Aufgabe ist es, die Messe zu feiern und zu beten“, sagt Gabriela. „Vor allem für die Arbeiter, die uns jetzt helfen, damit ihnen nichts passiert.“
Der Glaube wurde durch den Tornado nicht erschüttert
Da die Kirche wegen Einsturzgefahr gesperrt ist, haben sich die Augustiner Chorfrauen im Oratorium, einem kleinen Gebetsraum neben der Kirche, eingerichtet. „Hier haben wir unsere Osterkerze aufgestellt und können uns räumlich wie geistlich wieder sammeln“, sagt Gabriela. Den Glauben habe die Katastrophe nicht erschüttert, aber man lese die eine oder andere Bibelstelle anders, wenn man so etwas erlebt habe.
Auch für sie ist es heilsam, untereinander über die Ereignisse zu sprechen. „Es ist egal, ob man das Gleiche zweimal oder dreimal wiedergibt. Es hilft einfach.“ Eine Mitschwester habe erzählt, es fühle sich an wie ein Traum, den sie erst jetzt realisiert, viele Tage nach dem eigentlichen Tornado. „Trotz allem hatten wir Glück“, resümiert Gabriela. „Wir haben ein großes Gebäude, das uns schützt. Mir tut es wirklich leid um die großen alten Bäume im Paderquellgebiet nebenan. Die werden wir nie wieder so sehen können.“
Durch das Unwetter hat sich innerhalb von Minuten das Gesicht Paderborns verändert. Stark betroffen ist eine Vielzahl an kirchlichen Gebäuden. Dazu gehören neben dem Michaelskloster auch das Gymnasium St. Michael, das erst kürzlich renovierte Liborianum, die Katholische Erwachsenen- und Familienbildung sowie das Medienzentrum, aber auch noch weitere Häuser. Derzeit werden die entstandenen Schäden noch erfasst und die Sicherung der beschädigten Gebäude und Aufräumarbeiten haben Vorrang. Vorsichtige erste Schätzungen des Erzbistums beziffern die durch den Tornado angerichteten Schäden an kirchlichen Gebäuden im Raum Paderborn auf eine Summe zwischen fünf und zehn Millionen Euro.
Dank für großartigen Einsatz
„Der großartige Einsatz der Helferinnen und Helfer und der Handwerksbetriebe ist nicht hoch genug zu schätzen“, sagt Diözesanbaumeisterin Carmen Matery-Meding. „Das Handwerk arbeitet unermüdlich daran, die Schäden zu beheben, die Sicherheit und Bewohnbarkeit der Gebäude wiederherzustellen und die Lebensqualität für die Anlieger zu erhöhen. Dafür möchte ich von Herzen Danke sagen!“
Patrick Kleibold und Martin Schmid