Noch viel zu tun bis 2030
Immer noch müssen zu viele Kinder hungern. Foto: KNA
Berlin (KNA). Ist das Glas nun halb voll oder halb leer? Laut Welthunger-Index 2016 haben immer noch fast 800 Millionen Menschen zu wenig zum Essen. Aber die Studie gibt trotzdem Anlass zu Hoffnung im Kampf gegen den Hunger.
Studie nennt Fortschritte und Defizite im Kampf gegen Hunger
von Joachim Heinz
In Haiti, immer noch von dem verheerenden Erdbeben von 2010 gezeichnet und gerade erst vom Hurrikan „Matthew“ getroffen, leidet fast die Hälfte der Bevölkerung an Unterernährung. Im ohnehin schon bettelarmen Jemen schränkt ein Bürgerkrieg die Versorgung der Menschen mit Lebensmitteln weiter ein. In der Zentralafrikanischen Republik ist politisches Chaos mitverantwortlich dafür, dass immer mehr Einwohner hungern müssen.
Das Land im Herzen Afrikas gehört mit dem Karibikstaat Haiti und dem auf der Arabischen Halbinsel gelegenen Jemen zu den Schlusslichtern des jetzt in Berlin vorgestellten „Welthunger-Index 2016“. Der Index wird seit 2006 jährlich vom International Food Policy Research Institute (IFPRI) in Washington, der Welthungerhilfe mit Sitz in Bonn sowie der irischen Organisation Concern Worldwide veröffentlicht. Die auf Basis von Datenmaterial der Vereinten Nationen erstellte Rangliste soll Auskunft geben über den Anteil an Unterernährten, an Auszehrung und Wachstumsverzögerungen bei Kindern unter fünf Jahren sowie über deren Sterblichkeitsrate.
Als „sehr ernst“ gilt die Lage – außer in Haiti, Jemen und der Zentralafrikanischen Republik – in den afrikanischen Staaten Sierra Leone, Madagaskar, Sambia und dem Tschad. In weiteren 43 Ländern ist die Situation nach Ansicht der Experten „ernst“. Weltweit haben immer noch 795 Millionen Menschen nicht genügend zum Essen. Es bleibt also noch einiges zu tun, um die Vorgabe Nummer Zwei aus dem Katalog der nachhaltigen Entwicklungsziele zu erreichen – ein Ende des Hungers bis 2030.
Möglich ist das gleichwohl, wie die Präsidentin der Welthungerhilfe, Bärbel Dieck-mann, betont. In den vergangenen Jahren habe es große Fortschritte gegeben. „Wir wissen, wie es geht“, sagte Dieckmann. Auch dafür liefert der „Welthunger-Index“ Belege. Der globale Indexwert fiel im Vergleich zum Jahr 2000 um 29 Prozent von 30,0 auf 21,3. Einzelne Länder wie das afrikanische Ruanda oder Myanmar in Südostasien konnten ihre Werte im gleichen Zeitraum um mehr als 50 Prozent verbessern. Von „bemerkenswerten Fortschritten“ spricht die Studie. Und nennt in diesem Zusammenhang 20 weitere Staaten, die es seit dem Jahr 2000 ähnlich weit brachten.
Um diesen Trend zu festigen, sind nach Ansicht der Herausgeber der Studie auch die Industrienationen gefragt. Ihre Agrarpolitik dürfe nicht auf dem Rücken der Entwicklungsländer ausgetragen werden, sagte Dieckmann bei der Vorstellung des „Welthunger-Index“. Sie fügte mit Blick auf den großflächigen Anbau von Pflanzen zur Herstellung von Agrartreibstoffen hinzu: „Die Landwirtschaft muss zuerst die Ernährung sichern und nicht für unsere Energiebilanz verwendet werden.“
Um mit gezielten Maßnahmen den Kampf gegen den Hunger voranzubringen, brauche es mehr Daten und Informationen aus den jeweiligen Ländern, ergänzte IFPRI-Vertreter Klaus von Grebmer. „Gleichzeitig bieten verlässliche Zahlen die Möglichkeit, die Fortschritte bei der Hungerbekämpfung zu überprüfen.“ So fanden diesmal 13 Staaten aufgrund von Lücken in der Statistik keine Aufnahme in den Index, darunter Syrien, Kongo und Papua-Neuguinea. Nicht nur anhand dieser drei Beispiele wird deutlich: Es sind die drei „K“, die immer wieder für Rückschläge im Kampf gegen den Hunger sorgen – Korruption, Klimawandel und Krieg.
Für Dieckmann ist, wie sie sagte, denn auch der „größte Schatten“ in der Bilanz, „dass oft Erfolge, die eingetreten sind, durch kriegerische Auseinandersetzungen, durch Bürgerkriege wieder aufgehoben werden, sodass Menschen wieder in Hungersituationen kommen, die eigentlich schon in einer besseren Situation waren.“ Kuwait konnte den umgekehrten Weg gehen. 1992 stieg der Index-Wert als Folge des Golfkrieges auf 26,0 – aktuell liegt er bei 4,9. Da werden es die Kuwaitis verschmerzen können, dass ihr Land der einzige Staat ist, in dem der Wert zwischen 2000 und 2016 leicht anstieg.