Ohr mit Mensch daran
Foto: A. R. / pixelio
Die junge Frau im Bus redet ein bisschen laut, sodass man ungewollt mithört. Sie spricht in diesem Jugendslang, so ein Deutsch mit türkischer Färbung – inklusive: „Isch schwör!“ Und sie redet im energischen Tonfall der Jugend, in dem immer etwas Empörung mitschwingt.
von Claudia Auffenberg
In ihrem Fall ist es eher Verzweiflung, denn sie erzählt der etwas älteren Frau, die ihr gegenübersitzt, von einem offenbar schwer kranken Menschen in ihrer Familie und einer bevorstehenden Hochzeit. Über dem fröhlichen Ereignis schwebt das Damosklesschwert der Krankheit, vielleicht des nahen Todes. Es ist eine dieser Geschichten, die davon erzählen, wie einem das Leben manchmal in die Parade fährt, wie es einen aus dem Nichts von den Beinen holt.
Man kann solchen Geschichten nicht ausweichen, weil sie aus dem Hinterhalt kommen. Man kann nur versuchen, damit irgendwie umzugehen. Aber wie? Was braucht der Mensch dazu? Ganz sicher ein Ohr, am besten eins mit einem Menschen dran. Einen, der zuhört. Und es sind nicht nur die Tragödien, es sind auch die Glücksmomente, die erzählt werden wollen.
Ein hörendes Herz wünschte sich der junge König Salomo von Gott, um das Volk regieren zu können.
Wie viele ungehörte, vielleicht sogar unerzählte oder gar unerzählbare Geschichten mag es in der Welt geben? Oder machen wir es etwas kleiner: in der Nachbarschaft, in der Gottesdienstgemeinde? Ob sie im Himmel gehört werden?
Die Geschichte der Frau hatte eine Zuhörerin, sogar mehrere. Vielleicht hat sie deshalb so laut gesprochen. Vielleicht muss man manchmal einfach lauter sprechen, wenn einem der Himmel so weit weg vorkommt.