Orientierung
Foto: Rainer Sturm / pixelio
Der Mensch ist ein kreatives Wesen! Was und wie viel und wie schnell zu aktuellen Themen an Karikaturen, witzigen Bildern und Sprüchen durchs soziale Netz fliegt, ist wirklich erstaunlich. In den letzten Wochen war natürlich die Hitzewelle ein großes Thema.
von Claudia Auffenberg
Es gab Videos von Katzen unterm Wasserhahn, Fotos von zu Sandalen umfunktionierten Eiswürfelbehältern und sehr lustige Sprüche. Beispiel: „Jahrelang haben wir den Kindern beigebracht, alles aufzuessen, damit es schönes Wetter gibt. Und was haben wir jetzt: dicke Kinder und Hitzewelle!“
Großartig, oder? Der Spruch hat sogar einen wahren Kern. Nicht, dass die dicken Kinder Schuld am Klimawandel wären, sondern dass es Konsequenzen hat, wie man mit ihnen umgeht, genauer: was man ihnen vorlebt. Eine Studie hat jüngst gezeigt, dass die Kinder gern lesen, deren Eltern ihnen regelmäßig ein Buch geben und nicht selbst stets die Nase am Smartphone kleben haben. Das freut unsereins natürlich, nicht nur, weil man sein Geld mit bedrucktem Papier verdient.
Das Eigenartige ist, dass die Keimzeit der elterlichen Saat oft ziemlich lange dauert, manchmal Jahrzehnte. Wahrscheinlich, weil man die Umweltreize, auf die manche Samen zur Keimung warten, erst später wahrnimmt, wenn man eben selbst erwachsen ist. Der große Martin Walser zum Beispiel, 91 Jahre alt, sagte in einem Interview anlässlich seines 90. Geburtstages, er würde nichts tun, wogegen seine Mutter etwas haben könnte. Deswegen sei er, obwohl lange nicht mehr gläubig, nie aus der Kirche ausgetreten. Das kann man albern finden, wenn man es so sieht, dass ein lebenserfahrener Mann sich nicht von seiner Mutter emanzipiert hat. Es kann aber auch nachdenklich machen, wenn man sich selbst fragt: An wem orientiere ich mich, wenn es wirklich darauf ankommt?