Patchwork
Und wenn es nur Patchwork – Flickwerk – zu sein scheint… Foto: kallejipp / photocase
Was im Leben wie im Glauben als „Flickwerk“ erscheint, fügt sich zusammen aus der Perspektive von Gott her.
Zum Evangelium dieses Sonntags fällt mir zuerst der Begriff „Patchwork“ („Flickwerk“) ein. Nach den eindrücklichen Kindheitserzählungen Jesu bis hin zur Taufe durch Johannes im Jordan schiebt die Leseordnung erst heute das Vorwort des Evangelisten im ersten Kapitel nach, um anschließend unvermittelt mitten ins vierte zu springen, nämlich zum Bericht über das erste Auftreten Jesu in Galiläa und in seiner Heimatstadt Nazareth.
Ähnlich geht es mir manchmal im Bücherladen. Da fällt mir beim Stöbern ein bis dato unbekanntes Buch in die Hand. Aus Neugierde fange ich an zu lesen. Und schon bin ich dabei hängen geblieben und habe mehrere Seiten verschlungen. Denn das Buch ist sachkundig und zugleich fesselnd geschrieben, das Thema spricht mich an. Aber bevor ich das Buch kaufe, möchte ich nun doch etwas mehr über den Autor erfahren, und auch darüber, warum er dieses Buch geschrieben hat. Letztendlich steht für mich dahinter die Frage: Lohnt sich die Investition, hat der Autor auch wirklich kompetent recherchiert, ist das alles auch zuverlässig und wahr?
Solche und ähnliche Fragen bewegten vor fast zweitausend Jahren offenbar auch einen vornehmen und gebildeten Menschen namens Theóphilus. Dabei ging es nicht um irgendein Buch, sondern um nichts weniger als die frohe Botschaft des Rabbi Jesus aus Nazareth. Zwar war Theóphilus in dessen Lehre unterwiesen worden. Er hatte also christlichen Religionsunterricht genossen, aber bisher wohl eher im Stil eines unsystematischen Patchworks. Unsichere, widersprüchliche Überlieferungen zusammen mit fehlenden Hintergrundkenntnissen bewirkten mehr Fragen als Antworten und als Resultat sogar Verunsicherung und Zweifel. Möglicherweise stand für Theóphilus sogar die Entscheidung für die Taufe und damit für Christus auf dem Spiel. Da entschließt sich Lukas endlich, Ordnung ins Chaos zu bringen, mit intellektuellem Anspruch von Grund auf und sorgfältig zu recherchieren und alles der Reihe nach aufzuschreiben, um den ins Wanken geratenen Glauben seines „Gottesfreundes“ Theóphilus wieder auf ein festes Fundament zu stellen. Ob es ihm gelungen ist? Jedenfalls hat Lukas auch noch ein zweites Buch, nämlich die Apostelgeschichte, für Theóphilus verfasst.
Seine Recherchen könnten Lukas auch nach Nazareth geführt haben. Im Gegensatz zu den heutigen Heilig-Land-Fahrern, die dort mit der Synagogenkirche aus der Kreuzfahrerzeit vorlieb nehmen müssen, hätte Lukas an derselben Stelle vielleicht noch die ursprüngliche Synagoge gesehen. Dahinein soll Jesus also gewohnheitsmäßig am Sabbat gegangen sein. Ich stelle mir vor, dass der Besuch der Synagoge am Sabbat für Jesus keinesfalls eine lästige, sondern vielmehr eine liebe Gewohnheit war. Gewohnheiten, erst recht im religiösen Leben, scheinen auf den ersten Blick vor allem langweilig und von gestern zu sein. Dabei gibt es durchaus gute Gewohnheiten wie z. B. die als „Sonntagspflicht“ zugegeben etwas unglücklich bezeichnete Einladung zur regelmäßigen Mitfeier der Sonntagsmesse. Immerhin war es für Jesus, von dem damals in der ganzen Gegend gesprochen wurde, offenbar kein Widerspruch, mit innovativer Geisteskraft erfüllt zu sein und zugleich eine gute Gewohnheit zu pflegen.
Gute Gewohnheiten können von immer neu zu treffenden Einzelfallentscheidungen entlasten und so Raum schaffen für unvorhergesehene geistvolle Begegnungen. Nach Lukas findet Jesus in der Schrift die Jesaja-Stelle – oder müsste man besser sagen: die Stelle findet ihn? In allem, was mir gelingt und auch nicht gelingt, noch mehr in dem, was mir unerwartet begegnet und worin ich mich wiederfinde, darf ich glaubend Gottes gute Verheißung sich erfüllen sehen – und scheint es noch so sehr „Patchwork“ zu sein.
Ansgar Wiemers
Pastor Ansgar Wiemers ist Diözesanpräses des Kolpingwerkes Paderborn.