Pilgern auf einsamen Wegen
Hier zweigt hinter Lalling der Pfad bergauf zum Guntherstein ab. Dort hatte der Einsiedler seine erste Klause. (Fotos: Andreas Drouve)
Auf den Spuren des legendären Einsiedlers und „Rodungsmönchs“ Gunther, der als Benediktiner und Einsiedler lebte, verbindet der Gunthersteig Bayern und Tschechien. Die rund 160 Kilometer lange Strecke des Wanderweges führt durch die faszinierende Natur zweier Nationalparks.
Hier also war es. Hier endete sein irdischer Lebensweg am 9. Oktober des Jahres 1045. Hier stand seine letzte Klause, inmitten des entlegenen Böhmerwaldes zwischen den heutigen Dörfern Prášily und Dobrá Voda. Erhalten hat sich nichts – dazu war ein knappes Jahrtausend einfach zu lang. Doch eine Kapelle und daneben ein kreuzgekrönter Fels erinnern an ihn. Die Rede ist von Gunther, ein historisch verbürgter Volksheiliger, um den sich Rätsel und Mythen ranken. Dazu passt die Aura um die Kapelle, deren weiß-rosa Anstrich mit der Natur kontrastiert. Der Böhmerwald ist ein wahrer Zauberwald. Baumwurzeln spreizen sich wie Monsterklauen ab. Gespenstisch rauscht der Wind durch die Wipfel. Boden und Steine sind mit leuchtgrünem Moos überzogen.
Das Altarbild in der Kapelle zeigt St. Gunther als alten Mann mit verklärtem Blick, barfuß, gehüllt in dunkle Ordenstracht. Er war Benediktiner und Einsiedler, ein Vermittler zwischen den Völkern und als sogenannter „Rodungsmönch“ ein Pionier in Sachen Erschließung des Bayer- und Böhmerwaldes. Genau dort hindurch führt der Gunthersteig, ein neu aufbereiteter Pilger- und Fernwanderweg von Niederalteich in Bayern nach Blatná in Tschechien. 160 Kilometer, unterteilt in neun Tagesetappen, bislang sehr wenig frequentiert und definitiv ein Geheimtipp. Doch vorab ein offenes Wort für die, die gleich die Wanderstiefel schnüren und aufbrechen wollen: Die letzten drei Etappen lohnen kaum und haben keinen Bezug zu Gunther mehr, weshalb sich als Endpunkt das tschechische Städtchen Sušice empfiehlt; ab dort kommt man problemlos mit Bus und Bahn zurück nach Deutschland.
Start in der Donauebene
Unübersehbar weist in Niederalteich das Turmdoppel der barocken Basilika auf den Beginn des Weges in der Donauebene. Im Ortskern startet der Gunthersteig – allerdings nicht klassisch markiert als „Kilometer Null“, sondern mit dem modernen Guntherbrunnen neben dem Gotteshaus. Bronzereliefs zeigen Szenen aus dem Leben des Heiligen, der laut Überlieferung einem thüringischen Adelsgeschlecht entstammte, dem weltlichen Leben entsagte, am Weihnachtstag 1005 um Aufnahme ins Benediktinerkloster im hessischen Hersfeld bat und all seine Güter verschenkte. Durch den Einfluss seines väterlichen Freundes, des Abtes Godehard, kam er ins Kloster von Niederalteich, wie es heißt.
Allerdings wirft sein oft kolportiertes Geburtsjahr 955 (mitunter sogar datiert auf 950) erhebliche Zweifel auf. Der Heimatforscher und vormalige Grundschullehrer Josef Dengler (68) aus dem Etappenort Rinchnach, der als Koryphäe zum Thema St. Gunther gilt, geht „eventuell“ vom Geburtsjahr „erst um 985“ aus. Das ließe die Vita deutlich schlüssiger erscheinen. Legte man eine Geburt 955 oder 950 zugrunde, dürfte Gunther mit Anfang oder Mitte Fünfzig einer der ältesten Novizen im Mittelalter gewesen sein.
Der Heilige mit der Hacke
Die Einstiegsetappe Niederalteich–Lalling (19 km) bewegt sich zunächst unter dem Einfluss von dem, was wir Zivilisation nennen. Bebauung. Gewerbegebiete. Straßenlärm. Doch es gibt Lichtblicke: erste Bach-, Wiesen- und Waldstücke. Kurz vor dem Dorf Auerbach erhebt sich Gunther als übermannsgroße Holzskulptur. In Sicht höckert sich der vordere Bayerische Wald auf – und genau darauf geht es zu. Lalling ist bekannt für seine Streuobstwiesen und alles, was sich aus Äpfeln machen lässt.
Ein herrliches Waldstück auf der zweiten Etappe Lalling–Rinchnach (19 km) führt bei einem Kurzabstecher zum kreuzbesetzten Guntherstein, bei dem es sich in Wahrheit um einen kapitalen Felsen handelt. Da dem Heiligen die Härte des Klosterlebens nicht genügte, zog er sich dort ab 1008 als Eremit zu Gebeten und Kontemplation zurück. Es war seine erste Klause im Bayerischen Wald, gefolgt von einer weiteren auf der dritten Etappe Rinchnach–Zwiesel (15 km): dort, wo nunmehr das Wallfahrtskirchlein Frauenbrünnl liegt.
Der Winter 1011/12 ging Gunther an die Substanz. Er erkrankte schwer und entkam haarscharf dem Tod. Orgelempore und Decke in dem barocken Sakralbau sind ausgemalt, wobei der Künstler nicht den höchsten Weihen entsprach. Seine Hinterlassenschaften, darunter das Motiv von Gunthers Sterbestunde, tragen naive Züge. Die Skulptur in goldenem Gewand im Altarraum zeigt den Heiligen mit seinem typischen Attribut, das auch das Logo des Gunthersteigs ziert: die Hacke „als der, der den Wald rodet“, so Experte Dengler.
Klang der Stille
Besonderheiten auf den deutschen Abschnitten des Gunthersteigs sind Impulstafeln, die die Gedanken ins Rollen bringen. Da geht es um das Wesentliche, für das wir dankbar sein sollten, und um Wege, die in Parallelbildung zum eigenen Leben nicht gradlinig verlaufen. Am Rand der Glasstadt Zwiesel liest man kurz hinter der Brücke über den Fluss Regen: „Herr, gib mir Mut zum Brückenbauen, zum Friedenstiften, zur Versöhnung, zum Weitergehen.“
Ein Highlight auf der vierten, nun grenzüberschreitenden Etappe Zwiesel–Prášily (21 km) ist das Bauernhausmuseum in Lindberg. Der Gunthersteig führt genau daran vorbei und weiter über den alten Glashüttenstandort Spiegelhütte in den Nationalpark Bayerischer Wald. Fortan fühlt man sich von der Einsamkeit verschluckt. Ein Traum. In den Klang der Stille mischen sich Vogelkonzerte und das Rauschen eines Bachlaufs, der die Grenze zwischen Deutschland und der Tschechischen Republik markiert. Einst verhinderte der Eiserne Vorhang das Fortkommen. Der Weg, nun im tschechischen Nationalpark Šumava, steigt auf über 1 000 Meter an. Die Höhenluft ist frisch und unverbraucht. Prášily empfängt mit Häusern, denen sogenannte Biberschwanzdächer aufsitzen, und den wiederhergestellten Grundmauern der zu Kommunismus-Zeiten gesprengten Kirche St. Prokop.
Glasaltar und Fresken
Idyllisch wird es auf der fünften Etappe Prášily–Hartmanice (14 km) in der Senke des Flüsschens Krˇemelná, das moorschwarzes Wasser führt. Da fühlt man sich nach Kanada oder Skandinavien versetzt. Nach einem Abstecher zur eingangs erwähnten Guntherkapelle und dem Guntherfelsen ist Dobrá Voda erreicht. Dort soll Eremit Gunther oft aus einer Quelle geschöpft haben, die nun in einen oktogonalen Schutzbau gefasst ist. Sehenswert in Dobrá Voda sind der moderne Glasaltar in der St.-Gunther-Kirche und eine Dauerausstellung zum Heiligen im Simon-Adler-Museum. Dort begegnet man ihm als spätgotische Gnadenstatue und in Form von bunten Hinterglasmalereien.
Ein Glanzlicht auf der sechsten Etappe Hartmanice–Sušice (16 km) setzt St. Maurenzen, die älteste Kirche im Böhmerwald, ausdekoriert mit Fresken. Das benachbarte Beinhaus lässt erschaudern. Man vermutet, dass der Kirchenvorläufer auf eine Gründung Gunthers zurückgeht. Danach fällt der Weg ins Tal des Flusses Otava ab – und verflacht hinter Sušice zum Böhmischen Becken hin vor allem vom Erlebniswert her. Die drei Folgeetappen bis zum Wasserburg-Städtchen Blatná würden nur Sinn machen, falls der Gunthersteig irgendwann weiter bis Prag fortgesetzt würde. Dort liegt der Heilige im Benediktinerkloster Brˇevnov begraben.
Andreas Drouve
Info
Ausführliche Infos zu den Etappen des Gunthersteigs unter: www.gunthersteig.com
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