07.07.2021

Recht und Barmherzigkeit

Gerade hat die katholische Kirche ihr Strafrecht reformiert. Es gibt aktuell auch Diskussionen um Strukturreformen, etwa um die Einführung nationaler kirchlicher Verwaltungsgerichte.
Foto: KNA

Paderborn. Die Berufung kam überraschend: Weihbischof Dr.Dominicus Meier OSB ist von Papst Franziskus zum Richter am Obersten Gericht der Apostolischen Signatur ernannt worden. Zu den Aufgaben der Apostolischen Signatur gehört die Überprüfung von Entscheidungen der Römischen Rota, des zweithöchsten Kirchengerichtes, und über Verwaltungsstreitsachen der Weltkirche. Der Dom sprach mit Weihbischof Dominicus über die verschiedenen Bereiche der kirchlichen Rechtssprechung und über die Frage, warum die katholische Kirche überhaupt einen umfassenden Justizapparat braucht.

Herr Weihbischof, Richter am höchsten kirchlichen Gericht, der Apostolischen Signatur – das klingt nach großer Macht!

Ob das so ist? Ich weiß es nicht! Da spielen sicher Vorstellungen über eine Institution der Kirche mit, über die man sonst recht wenig hört. Das Thema Macht interessiert natürlich viele, ist aber in diesem Zusammenhang meines Erachtens nicht angebracht: Die Apostolische Signatur entscheidet ja nur in allerletzter Instanz über ganz bestimmte Formen von Rechtsstreitigkeiten in der Weltkirche.

Der Gedanke an Macht liegt nahe, wenn man an Institutionen wie den Europäischen Gerichtshof oder das Bundesverfassungsgericht denkt. Ist die Päpstliche Signatur mit weltlichen Gerichten vergleichbar?

Nein, denn sie hat mit der Rechtsordnung der katholischen Kirche zu tun und nicht mit der weltlichen! Abgesehen davon gliedert sich die Signatur in verschiedene Bereiche auf. Es gibt höchstrichterliche Entscheidungen, denen Berufungsgänge vorangegangen sind, zum Beispiel in Eheverfahren. Es gibt verwaltungsgerichtliche Urteile, Prüfungen von bischöflichen Entscheidungen oder Entscheidungen einer Kongregation, daraufhin, ob sie rechtskonform sind. Die Signatur ist aber auch eine Justizbehörde, die die Regelungen für alle Offizialate weltweit trifft. Die Aufgabenfülle ist immens groß, und ich bin gespannt, in welchem Bereich ich eingesetzt werde! Zurzeit weiß ich davon noch nichts.

Wie haben Sie denn von der Ernennung erfahren?

Am Montagmorgen um zehn Uhr lag ein brauner Umschlag mit dem Absender der Apostolischen Nuntiatur Berlin in der Post! Ich hatte keine Ahnung, um was es gehen könnte. Nach dem Öffnen kam ein weiterer Umschlag zum Vorschein: Weiß, mit dem Siegel des Vatikanstaates und dem Hinweis „Streng vertraulich“ in rot. Solch einen Umschlag kannte ich von meiner Bischofsernennung. Darin war ein weiteres Kuvert mit einem Schreiben des Staatssekretärs Parolin, dass der Heilige Vater mich dem Kollegium der Apostolischen Signatur „zugerechnet“ hat. Jetzt warte ich auf weitere Informationen.

Sie wissen noch nicht viel aus Rom, aber in Rom wusste man offensichtlich viel über Sie!

Meine Habilitationsschrift dürfte dort bekannt gewesen sein. Ihre Thematik ist verbunden mit dem Synodalen Weg. Auch an der Vorlage der Bischofskonferenz für eine nationale kirchliche Verwaltungsgerichtbarkeit war ich beteiligt. Das könnte ebenfalls dahinterstehen.

Warum braucht eine Institution, die die Nächstenliebe in den Mittelpunkt stellt, überhaupt so einen umfangreichen Justizapparat?

Überall, wo Menschen zusammenkommen, gibt es trotz aller Liebe und Barmherzigkeit Themen und Bereiche, die strittig sind, wo man so nicht übereinkommt. Dann braucht es eine geordnete Form von Streitschlichtung. Überhaupt sind klare Formen und Vorgaben nötig, damit nicht wie früher das Faustrecht die Ordnung bestimmt. Auch bei kirchlichen Streitfällen oder Diskrepanzen braucht es diesen Weg, braucht es eine Verfahrensgerechtigkeit ohne Ansehen von Person oder Stellung. Nur so ist es möglich, im Zweifelsfall auch einem Bischof deutlich zu machen, dass er mit einer Entscheidung zu weit gegangen ist und gegen Recht verstoßen hat.

Könnte so ein Rechtsstreit mit einem Bischof ein Fall sein, der in Rom landet?

Durchaus, denn die Apostolische Signatur bzw. ihre entsprechende Sektion ist derzeit das einzige Verwaltungsgericht. Deshalb würden solche Fälle dort verhandelt. Eine Instanzenstruktur, wie wir sie von der weltlichen Rechtsprechung kennen, gibt es derzeit mit Blick auf die kirchliche Verwaltungsgerichtbarkeit nicht. Die Bischofskonferenz setzt sich derzeit für eine Berufungsinstanz auf nationaler Ebene ein.

Die katholische Kirche kennt ja auch keine Gewaltenteilung. Was bedeutet das für Ihre Arbeit?

Aber es gibt die funktionale Gewaltenunterscheidung zwischen Bischof, Generalvikar und Offizial. Wenn ein Verfahren hier am Offizialat anhängig ist, können der Bischof oder der Generalvikar nicht mehr eingreifen.

In wessen Namen wird bei kirchlichen Gerichten eigentlich Recht gesprochen?

Nicht im Namen des Volkes, sondern im Namen des jeweiligen Gerichtsherrn, d.h. des Bischofs oder des Papstes. Bei kirchlichen Gerichten geht es ja nicht nur um Rechtsprechung zwischen zwei Parteien oder um die Frage eines Verstoßes, sondern unter Umständen auch um die Gültigkeit von Sakramenten, zum Beispiel bei Verfahren um die Annullierung einer Ehe. In diesem Moment kommt eine ganz andere Dimension hinein.

Wer ist die letzte Instanz in der kirchlichen Rechtsprechung?

Das ist der Papst! Jeder Katholik und jede Katholikin hat das Recht, sich an den Papst zu wenden, wenn er oder sie zum Beispiel meint, ein Bischof habe ihm oder ihr gegenüber einen Rechtsbruch begangen. Der Papst ist höchster Gerichtsherr und Gesetzgeber. Der Papst wird aber kaum selbst entscheiden, sondern den Fall zum Beispiel an die Apostolische Signatur geben.

Sollte sich ein Richterspruch immer mit dem Anspruch der Barmherzigkeit vereinbaren lassen?

Bei meiner Tätigkeit ist es mir wichtig, dem Menschen das ihm durch das Gesetz verbriefte Recht zukommen zu lassen, seine Interessen mit den Interessen anderer abzuwägen. Hinzu kommen die Unterschiede zwischen den Verfahrensgegenständen: Die Frage der Nichtigkeit einer Ehe hat einen anderen Stellenwert als die, ob ein Bischof bei einem Verwaltungsakt alle Normen bedacht hat oder nicht. Strafverfahren sind nochmals eine andere Kategorie. Von daher braucht es verschiedene Kriterien, damit umzugehen.

Sie sind Seelsorger und Richter. Darf man das voneinander trennen oder muss man das sogar?

Ich fühle mich als Seelsorger mit einem kirchenrechtlichen Handwerkszeug. Hier an diesem Tisch, an dem wir jetzt sitzen, sitzen auch ganz oft Menschen, die ich in Ehenichtigkeitsverfahren zur Sache befrage. Das ist oft die erste Gelegenheit, bei der jemand über seine zerbrochene Ehe spricht. Dann bin ich in erster Linie der zuhörende Seelsorger. In diesen Vorgesprächen bin ich der Begleiter, der helfen kann, Dinge klarer zu sehen und so vielleicht auch dazu beitragen kann, einen Rosenkrieg zu verhindern. Es ist ja hier nicht so, dass man wie im Zivilrecht gegeneinander klagt, unsere Sichtweise ist eine andere. Bei diesen Gesprächen geht es erst einmal um die Frage, was der Mensch in dieser Situation braucht. Darauf muss ich reagieren und es in Verbindung bringen mit den rechtlichen Vorgaben und Strukturen.

Sie haben eben die Idee der Bischofskonferenz angesprochen, eine eigene nationale Berufungsinstanz in Sachen Verwaltungsgerichtbarkeit zu schaffen. Was ist das Ziel dieser Initiative und wie weit ist sie?

Die spezifischen nationalen Gegebenheiten sollten besser berücksichtigt werden. Die Bischofskonferenz hat im Frühjahr vergangenen Jahres einen entsprechenden Entwurf nach Rom geschickt. Darin geht es auch darum, neue Strukturen in der Strafgerichtsbarkeit zu schaffen. Statt der aktuellen 27 Gerichte in den Diözesen soll es fünf Gerichte geben, die in diesem Bereich ihren Schwerpunkt haben. Gerade mit Blick auf die Missbrauchsverfahren wäre das sinnvoll. Auch weil schnell der Vertuschungsvorwurf kommt, wenn in der eigenen Diözese verhandelt wird. Auch ein neues Disziplinarrecht für Kleriker ist beantragt. Aktuell warten wir auf die Rückmeldungen aus Rom.

Vielleicht bekommen Sie den Vorgang ja demnächst selbst auf den Tisch?

Mal sehen! Jetzt warte ich auf den Termin der Vereidigung und darauf, wie die praktische Arbeit aussehen wird und natürlich, wie oft ich nach Rom muss in den kommenden fünf Jahren.

Mit Weihbischof Dominicus sprachen Martin Schmid und Andreas Wiedenhaus

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