Renovabis – Aktion „Sie fehlen. Immer. Irgendwo.“

Ilirian Prenga hat sich mit ­einer Lederwerkstatt selbstständig ­gemacht.

Das katholische Hilfswerk Renovabis macht in seiner diesjährigen Pfingstaktion auf die ­Kehrseite der Migration aufmerksam: Fachkräfte, die Deutschland aus anderen Ländern abwirbt, reißen in ihrer Heimat eine große Lücke. Sie fehlen nicht nur am Arbeitsplatz, auch in ihrer Familie. 

Seinen Vater hat ­Dodë ­Gjergji kaum gekannt. Der Bischof aus ­Pristina ist im Kosovo mit neun Geschwistern aufgewachsen – und mit einer alleinerziehenden Mutter. Sein Vater hat 25 Jahre auf Baustellen in Österreich gearbeitet. Nur Ostern, Weihnachten und den Sommer­urlaub verbrachte er bei seiner Familie. „Die Mutter war unsere Chefin“, sagt Bischof ­Gjergji, der gut Deutsch spricht. Der Vater habe alles finanziert, aber gefehlt.

Am 14. Mai war der Bischof aus ­Pristina Gast in Bremerhaven – bei der Eröffnung der Pfingstaktion des Hilfswerkes Renovabis. Vor dem Eisbrecher „Wal“ wurde im Hafen ein Gottesdienst gefeiert, zusammen mit dem Hildesheimer Bischof Heiner Wilmer und Renovabis-­Hauptgeschäftsführer Thomas Schwartz.

Die Seestadt war bewusst gewählt, denn Renovabis legt in diesem Jahr den Schwerpunkt auf die Arbeitsmigration aus Osteuropa – und Bremerhaven stieg Mitte des 19. Jahrhunderts zum größten Auswandererhafen Europas auf. Acht Millionen Menschen betraten hier ein Schiff und erhofften sich ein besseres Leben. Sechs Wochen dauerte die Überfahrt bis New York, gefährlich war sie auch. Wer heute aus dem Westbalkan nach Deutschland reist, fliegt sicher und braucht nur zwei, drei Flugstunden. 

Renovabis-Hauptgeschäftsführer Thomas Schwartz.
Renovabis-Hauptgeschäftsführer Thomas Schwartz.
Bischof ­Dodë ­Gjergji aus Pristina wird Gast von ­Renovabis in Bremerhaven sein.
Bischof ­Dodë ­Gjergji aus Pristina wird Gast von ­Renovabis in Bremerhaven sein.

Zum Leben bleibt wenig

Noch immer bringen wirtschaftliche Gründe junge Menschen zum Verlassen ihres Heimatlandes, um in Mitteleuropa auf der Baustelle, im Restaurant, im Hotel zu arbeiten. In Albanien liegt das monatliche Gehalt bei weit unter 600 Euro. Bei einer Miete von 300 Euro bleibt einer Familie zum Leben nicht mehr viel übrig.

Weil hierzulande Fachkräfte gebraucht werden, sind sie hochwillkommen. Doch Migration hat Schattenseiten. „Sie fehlen. Immer. Irgendwo.“ lautet daher das Motto der Renovabis-­Pfingstaktion. Denn Menschen, die ihre Heimat verlassen, fehlen dort nicht allein als Arbeitskräfte – sie fehlen auch in der Familie, den Alten und Kranken, den Kindern.

Moralisch verurteilen will Renovabis die Arbeitsmigration nicht, wie Hauptgeschäftsführer Schwartz erklärt – aber: „Die Menschen, die eigentlich die Zukunft des Landes selbst organisieren könnten, und dafür sorgen, dass sich auch Länder weiterentwickeln, die gehen verloren.“ Zudem hat das Herkunftsland viel Geld in die Ausbildung investiert. Renovabis versucht daher, gegenzusteuern. So mit dem Förderprogramm „­YourJob“, das 15- bis 29-­Jährige durch bezahlte Praktika fit für den Arbeitsmarkt macht und Existenzgründungen junger Unternehmerinnen und Unternehmer finanziell unterstützt. 

Metallkünstler Gjovalin Delia profitiert vom Förderprogramm „­YourJob“.
Metallkünstler Gjovalin Delia profitiert vom Förderprogramm „­YourJob“.

Davon profitiert etwa der Metallkünstler ­Gjovalin ­Delia. Funken stieben in seiner Werkstatt in der Stadt ­Shkodra zur Decke, die Hitze bringt das Metallstück zum Glühen, sodass es weich wird und mit dem Hammer geformt werden kann. Der 29-­Jährige hat als Gelegenheitsarbeiter in Luxem­burg gearbeitet, kehrte nach Albanien zurück und machte sich selbstständig. Renovabis förderte seine Existenzgründung. Nun führt er die Handwerkstradition seiner Familie in vierter Generation weiter und freut sich über die Freiheit, sein eigener Chef zu sein.

Mati Zaguni, in dessen Gärtnerei rote Glanzmispeln wachsen, schätzt ebenfalls das selbstständige Arbeiten. Die Anregung für den Anbau der Zierpflanzen fand er in Italien, wo ein Großteil seiner Familie lebt. Heute verschafft der 28-­Jährige sechs Menschen Arbeit. „­YourJob“ stellte dem Jungunternehmer nach einem ausgefeilten Geschäftsplan Startkapital zur Verfügung. Damit baute er zwei Treibhäuser.

Aus dem Nichts

Zehn Quadratmeter umfasst die Lederwerkstatt von ­Ilirian ­Prenga im Dorf ­Gjader. Aus dem Nichts ist der junge Mann gestartet, hat im Schlafzimmer angefangen, mit selbst hergestellten Werkzeugen. Über Videos hat er sich fortgebildet – und nun schneidet und näht er Gürtel, Taschen, Geldbörsen und Visitenkartentaschen. Er hat in Italien gelebt, war in einer Landschaftsgärtnerei in Hamburg tätig. Dann kehrte er zurück und wagte den Sprung in die Selbstständigkeit.

Neben dem niedrigen Gehalt sind geringe berufliche Entwicklungschancen ein Pro­blem in Albanien und im Kosovo. Es frustriert ausgebildete Kfz-­Mechaniker, wenn sie nur Reifen wechseln dürfen. Noch störender ist die allgegenwärtige Korruption, so im Gesundheitswesen. Zwar existiert in Albanien auf dem Papier eine Krankenversicherung, doch eine Operation muss man teuer bezahlen. Und erst wenn die Krankenschwester einen Geldschein in die Hand gedrückt bekommt, verabreicht sie ein Schmerzmittel.

Immerhin: Die Regierung versucht, die Korruption einzudämmen, will Albanien doch der Europäischen Union (EU) beitreten. 2009 beantragte das Land die EU-­Mitgliedschaft, seit 2014 ist es Beitrittskandidat. Voraussetzung für Verhandlungen sind Fortschritte in wichtigen Kriterien. Im Rahmen einer Justizreform hat Albanien die Vermögensverhältnisse von rund 800 Richtern und Staatsanwälten überprüft, und viele haben die Überprüfung nicht überstanden. In der Tabelle von ­Transparency ­International liegt Albanien auf Rang 101 von 180 Staaten und zählt zu den Ländern mit der höchsten Korruption in Europa. Das Kosovo ist auf Rang 84 hochgerutscht. Doch nach wie vor ist Bestechung weit verbreitet.

Keine Sonderbehandlung

Das erlebt Don Dominik ­Querimi (51) oft. Der Salesianerpater leitet das Don-Bosco-­Gymnasium in Pristina, das von Renovabis-­Geldern profitiert. Die Schule in der Hauptstadt des Kosovo genießt wegen ihrer Disziplin und Qualität einen hervorragenden Ruf, bei der Anmeldung stehen Eltern Schlange. Auch hochrangige Politiker wollen ihre Kinder hier unterbringen und fragen hartnäckig nach. Eine Sonderbehandlung lehnt der Schulleiter aber strikt ab.

Immerhin, die Regierung des Kosovo hat im Kampf gegen Korruption leichte Fortschritte gemacht. Ein Lichtblick für das Land. In Albanien ist der größte Lichtblick der Tourismus. Badeorte an der Adria locken Touristen an. Eine Chance, dort auch in der heimischen Gastronomie zu arbeiten.

Vorbereitung auf die Gastronomie in der Lehrküche in Lezhë.
Vorbereitung auf die Gastronomie in der Lehrküche in Lezhë.

Darauf hat sich die Rogazionistenschule in der Stadt ­Lezhë eingerichtet, die Renovabis unterstützt. Die Schule entwickelt Kurse für Jugendliche, die im Tourismus- und Gastronomiegewerbe arbeiten wollen. In der Lehrküche lernen sie, wie man Fischsuppe, Schweinesteak und Desserts macht, aber auch, das Essen ansprechend auf dem Teller zu präsentieren. 

Ähnlich ist es in der Berufsschule St. Josef in ­Rrëshen, in die ebenfalls Renovabis-­Gelder geflossen sind. Hier lernt der 19-­jährige Kevis Jaca. Bei Hannover hat er auf dem Bau gearbeitet, dann ist er zurückgekehrt. Er will Betriebswirtschaft studieren, sich selbstständig machen. Einer der vielen ehrgeizigen jungen Leute, die den Ratschlag annehmen: „Bevor du das Land verlässt, versuch es hier.“

Christof Haverkamp

Info

Die Renovabis-­Pfingstaktion steht in diesem Jahr unter dem Motto „Sie fehlen. Immer. Irgendwo. Arbeitsmigration aus Osteuropa“. In den Kollekten am Pfingstsonntag, 28. Mai, wird in allen katholischen ­Gottesdiensten in Deutschland für das Hilfswerk Renovabis gesammelt. Spenden sind zudem online möglich über die Home­page ­renovabis.­de oder per Überweisung auf das Konto IBAN: DE24 7509 0300 0002 2117 77, BIC: GENODEF1M05 (LIGA Bank eG).

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