Schöne, schreckliche Arbeitswelt 4.0
Veranstalter und geladene Fachleute der 5. Sozialkonferenz in Paderborn: (von links) Antonia Kühn (DGG NRW), Stefan Marx (DGB), Susanne Bornefeld (Diakonie Paderborn-Höxter), Rainer Fromme (Dekanat Paderborn), Udo Wichert (Steag Fernwärme GmbH), Dechant Benedikt Fischer, Almut Ranft (OWL Maschinenbau), Moderatorin Sylivia Hohmann, Superintendent Volker Neuhoff, Professor Dr. Günter Wilhelms, Astrid Bartols (DGB OWL) und Bürgermeister Michael Dreier.Foto: Karl-Martin Flüter
Paderborn. Der Siegeszug von Computer und Internet ist unaufhaltsam. Mit den Folgen hat sich die 5. Sozialkonferenz in Paderborn auseinandergesetzt. Fachleute diskutierten mit den zahlreich erschienen Zuhörern im Audimax der Theologischen Fakultät über das Thema: „Wert der Arbeit, Wert des Menschen – Schöne neue Arbeitswelt 4.0“ .
von Karl-Martin flüter
Paderborns Bürgermeister Michael Dreier hat mit der schönen neuen Arbeitswelt der digitalen, international vernetzten Wirtschaft schon ungute Erfahrungen gemacht. Vor einem Jahr kündigte der japanische Computer-Konzern Fujitsu die Schließung seiner Paderborner Filiale an. 600 Mitarbeiter verloren ihren Job. Für die Stadt und die Region war das ein herber Schlag, vor allem, weil vor Ort niemand auf die Entscheidung Einfluss nehmen konnte. Die 600 Arbeitsplätze seien „aus dem Konzern in Japan heraus vernichtet“ worden, erinnert sich der Bürgermeister immer noch mit Bitterkeit an seine Machtlosigkeit.
Globalisierung und das nicht kontrollierbare Agieren weltweiter Konzerne sind Phänomene, die mit der Vernetzung und Digitalisierung an Bedeutung gewonnen haben.Fachleute haben diese Veränderungsprozesse unter dem Stichwort „Arbeitswelt 4.0“ zusammengefasst. Gemeint ist die enge digitale Verzahnung von Menschen und Maschinen, Herstellern und Kunden. Sie kommunizieren über die moderne Informations- und Kommunikationstechnik direkt miteinander. Das beschleunigt Produktions- und Abstimmungsprozesse. Welche Rolle der Mensch dabei in Zukunft spielen wird, ist nicht klar. An vielen Stellen fällt die menschliche Arbeitsleistung weg, weil Roboter und Computer alles allein erledigen. Übrig bleiben die Jobs für hochqualifiziertes Führungspersonal und niedrig qualifizierte, schlecht bezahlte Arbeit.
10 bis 15 Prozent der jetzigen Tätigkeiten könnten in Europa im Laufe dieser umfassenden Automatisierung überflüssig werden. Antonia Kühn, Leiterin der Abteilung „Hochschulen, Wissenschaft und Forschung“ im DGB Bezirk NRW, zitierte in Paderborn dieses Ergebnis einer aktuellen Studie. Ganze Berufszweige könnten aussterben. Bedroht sind vor allem die qualifizierten Jobs von Facharbeitern. Um die Folgen aufzufangen, setzt Antonia Kühn auf die gewachsene Sozialpartnerschaft der Tarifparteien. Doch dass es gerade den Mittelstand trifft, die wirtschaftliche und soziale Basis der Bundesrepublik, ist beunruhigend. Wenn diese soziale Schicht erodiert, ist der soziale Frieden bedroht.
Schreckensszenarien wie diese sind nur eine Seite der Arbeitswelt 4.0. Es gibt andere, positive Einschätzungen. Almut Ranft ist eine von denen, die mit dem „Internet der Dinge“ die Hoffnung auf einen gewaltigen Innovationsschub für eine moderne, leistungsfähige Wirtschaft und eine attraktive Arbeitswelt verbindet.
Ranft leitet beim Branchen- und Innovationsnetzwerk „OWL Maschinenbau“ ein Projekt, das dem Mittelstand in Ostwestfalen-Lippe den Einstieg in die Arbeitswelt 4.0 erleichtern soll. Selbst kleinere Firmen können sich der Entwicklung nicht entziehen. Die weltweite Konkurrenz lässt das nicht zu.
Auch Bürgermeister Dreier weiß ja – neben seiner Frustration über den Weltkonzern Fujitsu – die Vorteile des digitalen Fortschritts zu schätzen. Das mobile Datenmanagement hat die Stadtverwaltung erobert, das „E-Government“ erleichtert den Kontakt zwischen Bürgern, städtischer Bürokratie und Politik.
Diese Ambivalenz der Arbeitswelt 4.0 betont Günter Wilhelms. Der Professor für Christliche Sozialethik an der Theologischen Fakultät Paderborn verwies auf der Sozialkonferenz darauf, dass die digitalisierte (Wirtschafts-)Welt zugleich Chancen und Risiken birgt. Sie kann die Arbeitswelt humanisieren, aber sie kann auch soziale Ungleichheit forcieren. Sie fördert Wohlstand und verstärkt das Wohlstandsgefälle, weil nur eine kleine Elite von der Arbeit der Maschinen profitiert. Sie schafft die Voraussetzungen für die Zusammenarbeit weltweit, lässt aber auch Megakonzerne entstehen.
Für noch weitreichender hält Günter Wilhelms die Veränderungen, die bis in die Psyche der Individuen hineinwirken. Die immer komplexer werdende, für die meisten Menschen undurchschaubare digitale Welt führt, so Wilhelms, zurück in ein „voraufklärerisches“ Zeitalter, in dem Entscheidungen hingenommen und kaum noch hinterfragt werden. Ein kleiner Kreis von Entscheidungsträgern kann unkontrolliert schalten und walten. Die vielbeschworene Freiheit des Internets schlägt um zu ihrem Gegenteil: die Handlungsspielräume der Menschen schwinden, die rationale Auseinandersetzung mit Ursachen verliert an Bedeutung.
Diese Thesen blieben auf der Sozialkonferenz nicht unwidersprochen. Wilhelms selbst spricht von denkbaren extremen Polen des digitalen Fortschritts: Alles ist möglich, im Guten wie im Schlechten.
Dass es durchaus Grund für ernsthafte Bedenken gibt, machte die DGB-Regionalgeschäftsführerin Astrid Bartols klar. Sie habe sich vor einiger Zeit einen Film anschauen müssen, der einen Roboter bei der Pflege von Menschen zeigt. „Ist es das, was wir wollen?“, fragte Bartols, um selber die Antwort zu geben: „Ganz bestimmt nicht.“