29.04.2016

Schrei nach Segen

Wer einigermaßen Stehvermögen hat, möge sich die Szene im Internet anschauen. Das Video dauert 44 Sekunden, aber schon die ersten Sekunden sind herzzerreißend und kaum zu ertragen.

Man sieht Papst Franziskus auf Lesbos, er geht an Flüchtlingen vorbei, begrüßt sie. Dann bricht ein junger Mann schluchzend vor ihm zusammen und ruft immer wieder voller Verzweiflung: „Bless me, father, bless me, please, bless me!“ Segne mich, Vater, segne mich, bitte, segne mich. Der Papst bleibt stehen und segnet ihn.

Wie viel Not, wie viel Verlorensein in dieser Welt und doch auch welche Sehnsucht brechen sich Bahn in diesem Schrei – nicht nach Brot, nicht nach Freiheit, sondern nach dem Segen? In Europa ist es seit 1945 einigermaßen friedlich. Inzwischen wächst die dritte Generation heran, die – dem Himmel sei Dank – aus eigener Erfahrung nicht mehr weiß, was der Krieg mit den Menschen macht. Im Krieg gehen nicht nur Häuser oder Knochen kaputt, wie man es im Fernsehen sehen kann. Der Krieg zerstört auch Seelen, er zerstört Geschichten, er raubt Menschen die Lebensgrundlage und die ist eben nicht nur Brot. Zum Leben braucht der Mensch doch vor allem eins: die Gewissheit, leben zu dürfen. Die Zusage, einen Platz in dieser Welt zu haben und ihn einnehmen zu dürfen. Manchmal ist man in der Lage, sich gewissermaßen selbst damit zu speisen, manchmal braucht man von einem anderen einen Blick, ein Ohr, ein gutes, ein geradezu erlösendes Wort, einen Segen. Nicht nur im Krieg.

„Bless me, father!“ Wie oft erschallt dieser Ruf z. B. aus Krankenzimmern und Altenheimen, manchmal stumm? Und hat man ihn nicht selbst schon auf den Lippen gehabt? Der Papst kann nicht überall sein, aber es gibt ja womöglich noch andere Menschen, die mit dem Herzen hören können.

Claudia Auffenberg

Das Video ist bei Youtube zu sehen.

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