Singen mal anders – britisches Profi-Ensemble gibt Workshop in Paderborn

Mitglieder der Domchöre Paderborns probten gemeinsam mit den Sängerinnen und Sängern des britischen Vokalensembles „Voces8“ im Musikforum der Michaelsschule in Paderborn. Foto: Patrick Kleibold

Wer singt, so sagt man gelegentlich, der betet doppelt. Ein Satz, der hier und da gern zitiert wird. Aber was er wirklich bedeutet, das erkannte man jetzt, als das britische Vokalensemble „­VOCES8“ gleichsam vom Himmel stieg und für Mitglieder der Paderborner Domchöre einen Workshop ausrichtete.

Von Claudia Auffenberg

Paderborn. Wem dieser Einstieg in den Text zu pathetisch ist, der möge die Lektüre kurz unterbrechen und ins Internet gehen (und dann natürlich weiterlesen). Auf der Homepage des Ensembles finden sich Videos und der Tourneeplan: Gent, New York, Conneticut, Toronto, Baltimore … das sind die nächsten Stationen. Neulich also Paderborn, Michaelsschulen.

Der „Rolls Royce“ der Ensembles

Bis Ende September lief in der Bischofsstadt das neue Musikfestival ­IMAD. Drei Wochen lang wurden in den Kirchen der Stadt hochrangige Konzerte in Serie geboten. Eine der Aufführenden war das britische Ensemble „VOCES8“, im Programm angekündigt als „Rolls Royce unter den britischen A-cappella-­Ensembles“. Und nun steht dieser Rolls Royce da im Musikforum der Michaelsschule, acht junge Briten, leger gekleidet und sprühen vor Lob für die Paderborner Sängerinnen und Sänger: ­beautiful ­voices, ­lovely, brilliant, ­fantastic …

Kontakt zum Publikum halten

Der Workshop beginnt mit Vorsingen. Zunächst sind Mitglieder der Mädchenkantorei dran. Sie singen „Frohlocket, ihr Völker“ aus den „Sechs Sprüchen“ von Mendelssohn. Und natürlich klingt es wunderbar, man muss es einfach sagen. Aber man muss auch sagen: Als Barnaby Smith, einer der Briten, den Mädchen ein paar Minihinweise gibt, klingt es ganz anders und man traut sich zu sagen: Jetzt ist es wunderbar, eben war es – im Vergleich – gut. Was ist passiert, was ist das Geheimnis? Smith hat im Grunde nichts erklärt, was nicht auch Patrick Cellnik, der Leiter der Mädchenkantorei, vermutlich in jeder Probe predigt: gemeinsam atmen, gemeinsam anfangen, auf den Text achten und den Kontakt zum Publikum nicht verlieren. Letzteres passiert schnell, wenn Chorsängerinnen und -sänger in die Noten schauen und dabei gelegentlich auch noch vergessen, dass vorne ein Dirigent steht, der Einsätze gibt bzw. geben will.

Warum habt ihr Noten?

Beim Workshop singen die Mädchen ohne Dirigenten. Pa­trick Cellnik sitzt im Publikum und fühlt sich „im Land der Seligen“, wie er später sagen wird. „Ich bin unheimlich stolz auf das, was die Mädchen leisten.“ Die Mädchen singen nicht nur ohne Dirigenten, sondern bald auch ohne Noten, nachdem Smith gefragt hatte: „Warum habt ihr Noten???“ Damit beraubten sie sich der Energie des Publikums, sagt er, eine Energie, die sie selbst produziert haben und die das Publikum zurückgibt. Also singen sie ohne Noten und – oh Wunder – es klappt. „Was fühlt ihr?“, fragt Smith. „Confidence“, sagt eine der Sängerinnen, Vertrauen. Genau, sagt Smith, „das Publikum wird euch groß machen!“

„Eben habt ihr noch Noten gesungen“

Nach den Mädchen sind einige Herren des Domchores dran. Auch hier geht es erst mal ums Atmen und das heißt beim Chor: ums gemeinsame Atmen und um ein Einatmen, das dem Charakter des zu singenden Liedes entspricht. Somit geht es auch um den Text. Den kann man sprechen oder deklamieren, auch beim Singen, und es macht einen gewaltigen Unterschied. „Langsam singt ihr einen wunderbaren Text mit einer wunderbaren Melodie“, sagt Smith, „eben habt ihr Noten gesungen.“ Der Text, das sind nicht nur die Wörter, die unter den Noten stehen, sondern der Inhalt. Um was geht es in dem Lied? Will es Gott loben, einer Frau die Liebe erklären oder den Tod eines Menschen beklagen? Dies soll schon das Einatmen prägen. Kommt ein schnelles Lied, dann heißt es: schnell einatmen, was eine Art verschrecktes Einatmen ist. Bei einem ruhigen Lied kann man ruhiger einatmen. Das Einatmen jedenfalls beeinflusst den weiteren Gesang und das auf erstaunliche Weise.

„Die Energie“ machte den Unterschied

Fast zwei Stunden hatten sich die Stars aus Großbritannien Zeit genommen; zwei Stunden, in denen sie Tipps gaben, mit den Paderborner Sängerinnen und Sängern Lieder erarbeiteten und zusammen mit ihnen sangen. Mittlerweile ist das Festival zu Ende und „VOCES8“ längst in Übersee, doch die zwei Stunden wirken nach. Hannah, eine der Sängerinnen aus der Mädchenkantorei, ist jedenfalls Tage später noch ganz beseelt. „Total besonders“ sei der Workshop gewesen, sagt sie. Und was war aus Sicht der Sängerinnen das Geheimnis, wieso singen sie von einer Sekunde auf die andere so ganz anders? „Die Energie, als sie mit uns gesungen haben. Die kam von allen Seiten!“ Eine Energie, die noch bis in die Proben der Kantorei nach dem Workshop reicht. Man merke schon, so Hannah, wer von den Mädchen dabei war. „Wir singen mit mehr Energie, mit mehr Freude und wir lächeln viel.“

Singen also, um das abschließend zusammenzufassen, ist viel mehr, als Luft durch die Stimmbänder aus dem Körper zu entlassen. Singen beginnt mit dem Atmen, es geht um Inhalte und um Kontakt zum Umfeld. Oder um es noch kürzer zu sagen: Singen braucht Konzentration. Langsam ahnt man, was Augustinus meinte, als er schrieb: Wer singt, betet doppelt.

https://www.derdom.de/2022/08/30/louder-than-before-jugendfestival-in-hardehausen-der-dom/
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