Teamwork – Wie aus einer Mannschaft ein Team wird
Fußball ist die in Deutschland mit Abstand beliebteste Sportart. Teamgeist ist dabei keine Selbstverständlichkeit, sondern muss intensiv erarbeitet werden. Eine Reportage über die Herrenfußballmanschaft der DJK Westfalia Dortmund-Kirchlinde. (Foto: Patrick Kleibold)
Fußball ist die in Deutschland mit Abstand beliebteste Sportart. Über sieben Millionen Menschen sind Mitglied in einem der über 24.000 Fußballvereine. Fußball ist zugleich ein Mannschaftssport, in dem der Einzelne nichts erreichen kann, wenn er keine Unterstützung vom Team erhält. Ein Stürmer kann noch so gut sein, ohne Vorlagengeber kann er keine Tore erzielen. Der Torwart mag noch so reaktionsschnell sein, wenn seine Vorderleute den gegnerischen Angreifer zum Schuss kommen lassen, wird es auch für ihn fast unmöglich, ein Gegentor zu verhindern. Ein Team kann nur dann Erfolg haben, wenn alle an einem Strang ziehen und mit vollem Einsatz auch bereit sind, Fehler der Mitspieler auszubügeln. Teamgeist ist dabei keine Selbstverständlichkeit, sondern muss intensiv erarbeitet werden.
Von Andreas Wiedenhaus und Patrick Kleibold
Dienstagabend: Sportanlage auf dem Bärenbruch
Ein Dienstagabend im November, kurz vor halb acht auf der Sportanlage am Bärenbruch in Dortmund-Kirchlinde. Die Luft ist klirrend kalt und unter dem Schein der Flutlichtmasten rund um den Fußballplatz zeichnet sich ein leichter Nieselregen als grauer Schleier ab. Die feinen Wassertropfen legen sich auf Haare und Kleidung, ruckzuck hat man das Gefühl, völlig durchnässt zu sein. Eigentlich kein Wetter zum Fußballspielen, eher zum gemütlichen Fußballgucken vor dem heimischen Fernseher.
Doch die widrigen Bedingungen können die Kicker der ersten Herrenfußballmannschaft der DJK Westfalia Dortmund-Kirchlinde nicht schocken. Pünktlich um 19.30 Uhr betreten sie ihren Trainingsplatz im Dortmunder Westen. In den nächsten eineinhalb Stunden ist von ihnen hundertprozentiger Einsatz gefordert. Nach einem durchwachsenen Auftritt am vergangenen Spieltag heißt es heute, sich richtig reinzuhängen: Spielzüge trainieren, Laufwege optimieren und die Kommunikation untereinander verbessern.
Es geht primär ums Teamwork
Schon am kommenden Wochenende steht ein wichtiges Heimspiel gegen Rot Weiß Germania an. Was es braucht, um diese kampfstarke Truppe – die in der Tabelle vor dem DJK steht – zu besiegen, weiß Trainer Dr. Jan Hendrik Wiethoff nur zu genau. Für ihn geht es primär um Teamwork. Und dazu muss er aus dem Kader von 24 Fußballspielern eine eingeschworene Truppe formen, in der jeder bereit ist, für seine Mitspieler bis an die körperliche Leistungsgrenze zu gehen.
Derart bedingungsloser Einsatz ist heute Abend aber erst mal nicht gefordert, los geht es eher locker: Acht Spieler bilden einen engen Kreis, zwei bewegen sich innen und müssen versuchen, den Ball zu erobern, der zwischen den Spielern im Kreis die Runde macht. „Ich geh rein“, melden sich die ersten beiden freiwillig. Fängt einer den Ball ab, wird getauscht und der, der das runde Leder verloren hat, muss in den Kreis. Selbst auf diesen wenigen Quadratmetern kristallisieren sich schnell die verschiedenen Spielertypen heraus: der Techniker, der den Ball elegant zu seinem Gegenüber lupft; derjenige, der auf Schnelligkeit setzt; andere, die es mit Kraft versuchen. Nicht alles haut so hin wie gedacht. Die meisten nehmen es locker, wenn es sie erwischt und sie in den Kreis wechseln müssen. Anschließend steht entspanntes Lauftraining quer über den Platz auf dem Plan.
Der Charakter zeigt sich auf dem Spielfeld
Doch dann geht es ans Eingemachte: Bei der nächsten Übung heißt es, seine Sprintstärke unter Beweis zu stellen: Drei Teams treten in einer Staffel gegeneinander an. Die einzelnen Spieler müssen hin und her spurten, die Strecke wird dabei immer länger. Das schlaucht gewaltig, beschleunigt Puls und Atem. Wer durch ist, lässt sich auf den Rasen fallen. Jeder hängt sich rein, doch nicht alle sind begeistert. Hier und da gibt es leisen oder auch lauteren Protest. Statt darauf einzugehen, reiht der Trainer sich ein und sprintet selbst in der Staffel mit: „Wenn gemeckert wird, zeigt man am besten, dass man das, was man von seinen Spielern verlangt, auch selbst bringt. Dann gibt es auch keine Diskussionen!“, sagt Wiethoff über sein Patentrezept in solchen Situationen.
Dann wird endlich Fußball gespielt: Aus dem Trainingskader formieren sich zwei Mannschaften, Wiethoff pfeift an. Es geht laut zu und direkt, bei Lob und Kritik. „Komm!“ Diese Aufforderung schallt heute Abend immer wieder über den Platz. Als Zuschauer weiß man nicht sofort, wer gemeint ist. Fraglich ist auch, ob derjenige, der angesprochen ist, in diesem Moment das Kommando wirklich mitbekommt. Mancher Ausruf klingt eher wie eine Motivation an sich selbst.
Auch ist derjenige, der am lautesten schreit, nicht unbedingt der, auf den alle anderen hören. „Es gibt immer Leader in einem Team, die braucht man natürlich“, weiß Stürmer Hendrik Krah. Doch diese Rolle wechselt, sie ist von der Leistung abhängig, macht der Trainer deutlich: „Der Charakter eines Spielers zeigt sich auf dem Fußballfeld, bei einem wichtigen Match.“ Und wenn ein Leistungsträger schlecht spiele, werde er auch mal ausgewechselt: „Man signalisiert ihm damit, dass er eine Vorbildfunktion hat, dass er sich mehr einbringen muss.“ So bilde sich die Hierarchie in der Mannschaft immer wieder neu.
Eigensinnig oder mannschaftsdienlich – Entscheidend fürs Teamwork
Mit schnellen Spielzügen und langen Bällen rasch in die gegnerische Hälfte kommen. Diese Devise hat Wiethoff für das Trainingsspiel ausgegeben. So wie schon beim letzten Liga-Match. Da hat diese Taktik allerdings nur mit Einschränkungen funktioniert: „Genau das, was ich in der Halbzeitpause gefordert hatte, hat die Mannschaft nicht gemacht“, fasst Wiethoff die Leistung zusammen und schüttelt auch Tage später noch den Kopf. Mit einer 1:0-Führung ging es in die Pause: „Da hatten einige wohl das Gefühl, den Sieg schon in der Tasche zu haben.“ Ernüchternd dann der Ausgleich nach dem Seitenwechsel. „Dann ist die Mannschaft Gott sei Dank wieder wach geworden und hat noch den Siegtreffer erzielt“, fasst der Coach den Spielablauf zusammen. „Aber das hätte nicht sein müssen!“
Heute im Training klappt es besser: Nach wenigen Ballwechseln ist der gegnerische Strafraum erreicht, einige gute Chancen vor dem Tor sind das Ergebnis. „Super!“ Wenn es läuft, spart der Trainer nicht mit Lob. Jan Hendrik Wiethoff beobachtet genau, was auf dem Platz passiert, wer wie agiert, sich einsetzt, eigensinnig oder mannschaftsdienlich spielt. Im Training kann er auch mal unterbrechen und eingreifen. Beim echten Spiel ist das etwas anders, doch letztlich geht es auch dann darum, die Mannschaft dahin zu motivieren, alles zu geben.
Teamwork setzt gute Kommunikation voraus
Kommunikation ist ein großes Thema: Im Spiel funktioniert das mit kurzem Zuruf und eindeutigen Gesten, nach dem Schlusspfiff in der Kabine das erste kurze Resümee, dann folgt die detaillierte Analyse durch den Coach. Und die kann auch mal deutlich ausfallen. Für Spieler Timo Bednorz kein Problem: „Hin und wieder kann es in der Kabine oder auch auf dem Platz schon mal rauer werden, das ist ganz normal.“ Wichtig sei, die Kritik anzunehmen und sich die Argumente anzuhören: „Da reagiert jeder anders.“ „Es gibt emotionale und rationale Spieler“, sagt Kevin Dege: „Die emotionalen werden schon mal lauter und lassen ihrer Wut freien Lauf. Die rationalen gehen eher auf den Spieler, der einen Fehler gemacht hat, zu, um ihn dann aufzumuntern.“ Als Trainer müsse er sich immer fragen, wen er vor sich habe, ergänzt Wiethoff: „Bei sensiblen Spielern ist eine knallharte Ansage mitunter kontraproduktiv.“ Und letztlich, sagt Bednorz, sei es halt so, dass nicht bei jedem Match alle elf Spieler ihren besten Tag hätten: „Damit muss man leben.“
Hinzu kam bei der DJK Westfalia zu Beginn der aktuellen Kreisligasaison, dass sich die Mannschaft erst einmal finden musste: Neun neue Spieler waren aus der Jugend gekommen und neun Spieler aus anderen Vereinen zur DJK gewechselt. Der Kader ist zwischen 18 und 32 Jahren alt. Für den Erfolg einer Mannschaft braucht es laut Trainer „eine gute Mischung aus jungen und erfahrenen Spielern“.
Freundschaft ist keine Voraussetzung für gutes Teamwork
Und was ist mit dem geflügelten Wort von den „elf Freunden“, wie es Sportreporter-Legende Sammy Drechsel in seinem Fußball-Roman Mitte der Fünfzigerjahre formuliert hat? „Das gibt es auch im Amateur- und Juniorenbereich schon lange nicht mehr“, meint Timo Bednorz. Natürlich erlebe man auch Ausnahmen, aber Freundschaft sei keine Voraussetzung für ein gutes Team. Kevin Dege: „Es gibt immer sicherlich Mitspieler, mit denen man sich nicht so gut versteht, das ist einfach so.“ Dann heiße es: „Zusammenreißen und cool bleiben“ – insbesondere wenn dieser Mitspieler mal einen schlechten Tag habe. Einen anderen Aspekt nennt Hendrik Krah: „Wenn ein Freund in der gegnerischen Mannschaft spielt, dann ist das manchmal so, dass man sich gegenseitig weh tut, trotz der Freundschaft.“
Dr. Jan Hendrik Wiethoff ist im Zivilberuf Richter am Landgericht. Doch nicht nur deshalb achtet er darauf, dass es bei der DJK gerecht zugeht: „Ich spiele seit meiner Kindheit Fußball, hier in Kirchlinde hat schon mein Vater gespielt, der Verein ist so etwas wie ein Zuhause für mich.“ Eine Erfahrung, die er allen Aktiven im Verein wünscht. Deshalb ist auch allen ganz klar, wo die Grenzen sind. Wenn es auf dem Platz unsportlich wird oder innerhalb des Teams Spieler gemobbt werden: „Das lassen wir nicht zu!“ Und dann wird durchgegriffen– bis zur Entlassung eines Trainers, der seine Machtposition ausgenutzt hatte: „Wenn immer nur der Erfolg im Mittelpunkt steht, bleiben Spieler auf der Strecke. Das geht nicht!“
Fairness ist oberstes Gebot
Kevin Dege ergänzt: „Natürlich geht es beim Fußball ums Gewinnen. Verlieren drückt auf die Stimmung.“ Das habe der schlechte Saisonstart gezeigt. Doch dem Erfolg dürfe man nicht alles unterordnen. „Fairness ist oberstes Gebot“, sagt Dege und berichtet von einem Mitspieler, der, nachdem er einen Gegner übel beleidigt hatte, für drei Spiele gesperrt worden war: „Absolut richtig!“
Genauso einig ist man sich bei der DJK Westfalia im Dortmunder Westen beim Thema Geld: Wenn schon bei den Amateuren der ein oder andere Spieler ein paar Hundert Euro pro Monat verlangt, sei das der verkehrte Weg. Wobei es auch in Kirchlinde finanzielle Anreize gibt – allerdings in sehr bescheidenem Rahmen: 2,50 Euro gibt es pro Trainingseinheit und 5 Euro pro Spieltag.
Plötzlich ein kurzer Aufschrei. „Mist!“, schallt es vom Platz herüber. Ein Spieler humpelt vom Feld, lässt sich hinter der Linie neben Trainingsjacken und Wasserflaschen auf den Kunstrasen fallen und hält sich den Knöchel. „Kein Foul, ich bin umgeknickt“, keucht er mit schmerzverzerrtem Gesicht.
Die Mannschaft ist ein Abbild der Gesellschaft
Der Trainer eilt hinüber zur Kabine, holt etwas, um die Verletzung zu kühlen. Jetzt ist er als Betreuer gefragt. Die Spieler nutzen die kurze Unterbrechung, um zu verschnaufen. „Unsere Mannschaft ist ein Abbild der Gesellschaft im Dortmunder Westen“, hatte Timo Bednorz vor dem Training in der Kabine gesagt. Da kickt der Jura-Student neben dem Angestellten, ein dunkelhäutiger Spieler neben einem blonden. Früher habe man vielleicht mehr zusammen unternommen. Auch das gemeinsame Bier nach dem Spiel sei nicht mehr selbstverständlich – allein schon wegen der muslimischen Spieler. Doch der „guten alten Zeit“ trauert hier aber niemand nach. Der Blick richtet sich nach vorn, schließlich steht ein schweres Match an.
In wenigen Minuten wird Wiethoff das Spiel abpfeifen und das Training für heute beenden. Dann geht es unter die Dusche. Und vielleicht ist dann auch noch Zeit für ein Bier oder eine Cola. Auch wenn morgen fast alle wieder zur Arbeit oder zur Uni müssen. Sicher ist, dass sie in zwei Tagen, am Donnerstagabend, wieder hier sein werden für die nächste Trainingseinheit.