Ubi caritas et amor …?
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Es gibt ja Lieder, die man schon tausendmal in der Kirche gesungen hat, bis man auf einmal merkt: Achso, die haben ja einen Text! Was sing’ ich da eigentlich?
von Claudia Auffenberg
„Ubi caritas“ ist so eins. Ein kurzer Text, den man schnell auswendig kann, eine leichte Melodie und gleich ist man in einer schwebenden Stimmung. Aber auf einmal hakt es: Was meint der Text eigentlich? Ubi caritas et amor, deus ibi est. Wo Liebe und Güte sind, da ist Gott. Soll das etwa heißen, dass Gott als Voraussetzung für seine Gegenwart die Liebe braucht? Was ist mit den Orten, an denen es keine Liebe gibt, wo Lieblosigkeit herrscht? Da wäre Gottes Gegenwart doch viel nötiger! Dieses ganze Elend draußen in der Welt und in der Nachbarschaft. Diese Geschichten, die erzählen, was Menschen einander antun können, wie sich Fantasie und Kreativität mit Niedertracht vereinen. Eine solche Geschichte ist die eines Mannes, der in einer ostwestfälischen Firma seinen Kollegen die Frühstücksbrote vergiftet hat. Keiner weiß, warum. Doch die Raffinesse, mit der er vorgegangen ist, ließ sogar die Experten frösteln. Gestorben ist niemand, aber einige Menschen sind für ihr Leben gezeichnet. Ein junger Kollege liegt im Wachkoma und wird von seinen Eltern gepflegt. Bei der Urteilsverkündigung sagte der Richter, der junge Mann existiere nur noch als leibliche Hülle seiner selbst, alle Funktionen, die das Leben lebenswert machen, seien ausgeschaltet. Und dann sprach er einen bemerkenswerten Satz: „Aber er wird noch geliebt.“ Was für ein Satz, was für ein Argument! Der Richter hat, als er das sagte, die Eltern des Jungen angeschaut. Natürlich, sie lieben ihn.
Wo die Liebe ist, da ist Gott. Ist Gott am Bett dieses Jungen? An der Seite seiner Eltern? Man möchte so gerne „Ja“ sagen, man möchte es rufen: Ja, natürlich! Aber ehrlich gesagt, ist es ein zitterndes „Ja“, eins mit vielen Fragezeichen.
Ubi caritas et amor, deus ibi est. Was meint dieses Lied eigentlich?