13.06.2018

Über Nacht …

Auch wenn der Mensch schläft, ist die Erde in Bewegung. Vieles geschieht „über Nacht“, wie es die Bibel formuliert. Foto: Nik / photocase

Wachsen braucht Zeit. So ist es auch beim Reich Gottes.

von Katharina Hartleib

Fast alle Menschen lieben Geschichten. Und so erzählt Jesus denen, die mit ihm unterwegs sind und ihm zuhören, immer wieder Geschichten und Gleichnisse, um seine Botschaft an die Frau und an den Mann zu bekommen. Das heutige Evangelium ist der Abschluss des Gleichniskapitels im Markusevangelium, in dem es um das Reich Gottes geht.

Die Menschen haben damals schon gefragt, was es denn mit dem Reich Gottes auf sich hat. Die Sehnsucht nach einem Messias, der das Volk Israel von der römischen Herrschaft befreien wird, war tief in den Menschen verwurzelt. Sie glaubten, erst darin das Kommen des Reiches Gottes zu erleben. Deshalb war es schwierig für Jesus, zu erklären, was es damit wirklich auf sich hat. Die beiden Gleichnisse an sich brauchen keine Erklärung. Jeder Mensch in der agrarisch geprägten Welt konnte das verstehen. Aussaat, Wachsen, Werden und Ernten waren im täglichen Erleben präsent.

Wir heute können wissenschaftlich gut erklären, was mit dem Korn in der Erde geschieht, wie es aufquillt und den Keim treibt und wie das Grün entsteht und die Frucht ansetzt. Aber das Erleben dessen, dass es Zeit braucht und Geduld, ist uns eher in diesen Bereichen fremd, weil wir es nicht mehr unmittelbar erleben. Was wir, um ein heutiges Beispiel für Wachsen und Werden zu nehmen, vielleicht verstehen können, zumindest die Fußballfans unter uns, dass die großen Fußballer, die zurzeit um den WM-Pokal spielen, nicht als perfekte Fußballer auf die Welt gekommen sind. Auch Messi und Neymar und Thomas Müller brauchten viele Jahre Training und Übung und Taktikschulung, bis sie zu den Meistern ihres Faches wurden. Und viel Geduld, Talent, gute Bedingungen und Ausdauer von ihnen selbst, ihren Trainern und Mitspielern.

Und uns geht es eher so, wie es den Menschen damals ging. Wir suchen das Reich Gottes als einen Ort, wie zum Beispiel „im Himmel oben“ oder in einem abgegrenzten Staatsgebilde mit einem Präsidenten. Oder wir suchen und vermuten es in einer kommenden Zeit, wie „nach dem Tode“ in der Zukunft, die nicht exakt benannt werden kann. Aber Jesus sagt nicht, wo oder wann das Reich Gottes kommen wird, sondern er sucht Beispiele und Vergleiche für das WIE. Denn dass das Reich Gottes schon da ist und weiterhin wächst und gedeiht, steht für Jesus außer Zweifel. Er will in seiner Verkündigung klar machen: Das Reich Gottes wächst unaufhaltsam. So wie das Korn, wenn es einmal gesät ist, unaufhaltsam wächst und reift, so wird das Reich Gottes mit Sicherheit kommen. Aber es kommt eben nicht mit großem Getöse und von jetzt auf gleich. Sondern es wächst aus kleinen unscheinbaren Anfängen.

Wo finde ich heute solche unscheinbaren Anfänge vom Reich Gottes? Wo Menschen in Liebe miteinander leben und füreinander da sind. Wo Eltern ihren Kindern mit Geduld und Ausdauer eine gute Erziehung und christliche Werte mit auf den Weg geben. Wo Kranke und Alte mit Liebe und Fürsorge versorgt und begleitet werden. Wo junge Leute Erzieher oder Altenpfleger werden, obwohl diese Berufe keinen hohen Stellenwert haben. Wo gegen Hass und Feindschaft in sozialen Netzwerken und im realen Leben immer wieder Güte und Friedfertigkeit gesetzt werden. Wo nicht nur negative Nachrichten schnell verbreitet werden, sondern auch die kleinen wunderbaren Geschichten erzählt werden, die das Leben als lebenswert deutlich zeigen. Ich bin auch eher jemand, der es immer nicht schnell genug geht und die gern die Geduld sofort bekommen möchte. Mit wachen Sinnen und offenem Herzen kann ich aber schon heute ein bisschen mitbekommen, was Jesus verspricht: Das Reich Gottes ist schon längst im Wachsen, Werden und Kommen. Garantiert!

Zur Autorin:

Sr. Katharina Hartleib ist Olper Franziskanerin und geistliche Begleiterin im Konvent San Damiano in Olpe.

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