09.01.2019

Viel versteckte Armut

Trafen sich zur Präsentation des Abschlussberichtes „Lotse“-­Projekt (v. l.): Ulrike Thierfeld (Streetworkerin), Birgit Unger (Vorstand Frauenforum), Jonas Picht (Streetworker), Regina Adams (­Diakonie), Zora Lachermund (Streetworkerin), Christa Stich-­Umann (­Diakonie), Anke Brink (Streetworkerin), Ralf Plogmann (Caritas­verband) und Tanja Scheuermann (Streetworkerin). Foto: Caritas

Kreis Unna (CV/emp). Betroffenheit, so kann man eine der Reaktionen beschreiben, die das Ende des „Lotse“-­Projektes zum 31. Dezember 2018 auslöste. Mit Ablauf der Fördermittelzahlung aus dem Europäischen Hilfsfonds für die am stärksten benachteiligten Personen (EHAP) ist eine Fortführung des Projektes nicht mehr möglich. Und dabei gibt es „unerwartet viel versteckte Armut“, so lautet die Kurzfassung der Schlussbilanz.

Sie gingen hin zu den Menschen ohne Bleibe, suchten den Kontakt, boten unterschwellig Hilfe an, zeigten Alternativen zum Leben auf der Straße auf, wenn es gewünscht wurde. Tanja Scheuermann gehörte zu den ersten Streetworkern, die ihre aufsuchende Arbeit 2016 aufnahmen. Damals wusste niemand genau, wie groß die Not derer ist, die nicht den Weg in die etablierten Anlaufstellen finden oder aus verschiedenen Gründen nicht auf sich nehmen möchten.

Heute sagt die Streetworkerin: „Wir haben unerwartet viel versteckte Armut und Wohnungslosigkeit vorgefunden“ und schildert beispielhaft das Schicksal eines 55-jährigen Mannes. „Er übernachtete im Auto und duschte sich im Regen.“ Kennengelernt hatte sie ihn auf Hinweis einer Anwohnerin, die auf ihn aufmerksam geworden war, weil sie hingeschaut hat.

Schritt für Schritt gewann Tanja Scheuermann das Vertrauen des Mannes. Schließlich erklärte sich der gelernte Kfz-Mechaniker bereit, sein Auto zu räumen. Er zog es zunächst vor, in der Übernachtungsstelle des Caritasverbandes zu schlafen. Über die Beratungsstelle erhielt er außerdem eine vorläufige Zustell­adresse und konnte so Anträge für Leistungen vom Jobcenter stellen. Inzwischen hat der sowohl körperlich als auch psychisch stark beeinträchtigte Mann an Stabilität gewonnen und einen Platz in einer Pflegeeinrichtung bekommen.

Das Streetwork-Projekt, das gemeinsam vom Caritasverband für den Kreis Unna, dem Frauenforum im Kreis Unna, der Diakonie Dortmund und Lünen und dem Kreis Unna mithilfe von Fördermitteln aus dem EHAP und mit Bundesmitteln getragen wurde, zeigt deutlich: Armut ist noch weiter verbreitet, als die täglichen Erfahrungen im öffentlichen Stadtbild erwarten lassen. Zudem lieferte das Projekt eine weitere Erkenntnis: Frauen sind viel öfter von (drohender) Wohnungslosigkeit betroffen, als bisher angenommen wurde. 35 Prozent der aufgesuchten Menschen waren Frauen. „Das hat uns schon überrascht“, so Ralf Plogmann, Vorstand des Caritasverbandes für den Kreis Unna.

Während der dreijährigen Laufzeit des „Lotse“-Projektes wurden 1 246 wohnungslose oder von Wohnungslosigkeit bedrohte Menschen im Kreis Unna betreut beziehungsweise in Hilfesysteme vermittelt. Nun ist wieder völlig offen, welche Unterstützung Betroffene künftig erhalten können. Dabei geht es doch sowohl um Menschen wie den 55-Jährigen, der in seinem Auto lebte, als auch um diejenigen, die oft aufgrund von Schicksalsschlägen – bedroht sind, ihre Wohnung zu verlieren und auch nicht mehr in der Lage sind, sich selbst Hilfe zu suchen. Ohne die entsprechenden Streetwork-Strukturen werden die meisten von ihnen keine Hilfe in den bewährten Systemen erfahren, befürchtet der Vorstand des Caritasverbandes.

Das Fazit: Alle beteiligten Träger sind sich einig, dass die Arbeit fortgesetzt werden müsste. Birgit Unger, Vorstand des Frauenforums, kündigte an, den Aufbau eigener Streetwork-Strukturen zu prüfen. Wie es in einem offensichtlich so wichtigen Bereich wie der aufsuchenden Hilfe überhaupt im Kreis Unna weitergeht, ist indes völlig offen.

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