Vom Kranken lernen
Der Papst hat neulich kranke Priester besucht. Es war ein Termin anlässlich des Freitags der Barmherzigkeit im Jahr der Barmherzigkeit und es war ein Werk der Barmherzigkeit.
Und man darf vermuten, dass es einer der schöneren Termine war, die so ein päpstlicher Kalender aufzuweisen hat, auch wenn der Papst kein Ehrenamtler im klassischen Sinne ist.
Denn die, die ehrenamtlich kranke und/oder alte Menschen besuchen, sagen, diese Aufgabe gehöre zu den wirklich beglückenden Dingen, die man in seiner Freizeit tun kann. Weil man nämlich die Sinnhaftigkeit dieses Tuns schon im Tun erlebt, anders als z. B. in Gremiensitzungen.
Am Krankenbett erlebt man freudige Überraschung, auch Dankbarkeit: „Oh, toll, dass es sowas gibt!“ oder „Danke, dass Sie da waren!“ Das ist das eine. Das andere ist, dass ein Kranker eine andere Sicht auf das Leben hat. Er ist wie auch immer an eine Grenze geraten. Er stellt andere Fragen als ein Gesunder bzw. ein vermeintlich Gesunder. Er hat andere Prioritäten. Er hat nicht mehr die Dekoration des Lebens im Blick, sondern das Fundament des Lebens. Und wenn man ihm Gelegenheit gibt, dann redet der Kranke darüber, manchmal fragt er, manchmal klagt oder flucht er, manchmal weint er, manchmal spricht er über seine Erschütterung, seine Ängste und seine Hoffnungen. In seiner Gegenwart kann man auf andere, nämlich wesentliche Gedanken kommen. Ihm Gelegenheit geben, heißt, Zeit zu haben, und Zeit meint nicht Termin. Wer Zeit und ein hörendes Herz hat, kann viel erfahren von einem kranken und/oder alten Menschen. Über das Leben, über Gott.
Schade, dass wir unser Gesundheits- und Pflegesystem so organisiert haben, dass die Hauptberuflichen diese Zeit nicht mehr haben. Sie könnten so viel lernen. Vielleicht mehr als in mancher Fortbildung.
Claudia Auffenberg